Parteienlandschaft nach Wagenknecht-Beben: Neusortierung vor wichtigen Wahlen
Auswirkungen zuerst in Thüringen: Manche Pragmatiker der Linkspartei wechseln zum BSW. Was ein Mitarbeiter des Linke-Chefs fordert. Ein Kommentar.
Es läuft nicht schlecht für die Sahra Wagenknechts neues Parteiprojekt. Da es sich mit seiner Berufung auf Vernunft und gesunden Menschenverstand als unideologisch anpreist, zieht es viele Menschen an, die dort einfach ihre Karriere fortsetzen wollen. Das jüngste Beispiel ist die Ankündigung der gegenwärtigen Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen anzutreten.
Herausforderung für Bodo Ramelow und Die Linke in Thüringen
Damit ist klar, dass die neue Partei in dem Bundesland am 1. September gegen den einzigen Ministerpräsidenten mit dem Parteibuch der Linken antritt. Dazu muss man ein "noch" hinzuzufügen.
Denn Bodo Ramelow ist ein Parteiwechsel zuzutrauen, wenn seine Umfragewerte weiter sinken. Aber er würde wohl eher zur SPD als zu der Wagenknecht-Formation gehen. Schließlich hat er sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen.
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Der Schritt von Katja Wolf ist für Die Linke gerade deshalb ein Alarmsignal, weil sie ja die Pragmatiker in Amt und Würden als eine ihrer Säulen bezeichnete. Dazu gehörte Wolf, die sich in der innerparteilichen Diskussion zurückgehalten hat, auf jeden Fall. Die Begründung für ihren Wechsel lässt auch viele Fragen offen: Sie begründet ihn damit, dass unbedingt ein AfD-Ministerpräsident in Thüringen verhindert werden müsse.
Beitrag zur Schwächung der Linkspartei
Aber wäre es dann aus pragmatischen Gründen nicht viel einfacher, den Pragmatiker Ramelow zu unterstützen, der zudem durchaus noch hohe Umfragewerte erreicht, wenn er als Person abgefragt wird? Zu dieser Fragestellung regt ein Kommentar von Wolfgang Hübner im Neuen Deutschland (ND) an. "Gerade in Thüringen ist Die Linke um Ministerpräsident Ramelow ein Machtfaktor und Bollwerk gegen rechts", schreibt er.
Oder will das Wagenknecht-Projekt für die Ramelow-Linke eine ähnliche Rolle spielen wie die Werteunion für die AfD? Also Wähler einsammeln, die die jeweiligen Parteien nicht ankreuzen würden? Jedenfalls trägt die Entscheidung von Wolf gleich in mehrfacher Weise zur Schwächung der Linkspartei bei.
Sie verliert eine Bürgermeisterin, mit der der pragmatische Flügel immer angegeben hat – und sie bekommen eine Kontrahentin, die ihr Stimmen wegnimmt. Es ist nicht der einzige eher unerwartete Abgang seit der Wagenknecht-Gründung.
Austritt mit überraschender Begründung
Schon vor einigen Tagen hat die Sozialwissenschaftlerin Carolin Butterwege Die Linke verlassen, für die sie in NRW eine wichtige Rolle spielte. Dabei sind auch ihre Begründungen im ND-Interview verwirrend. So nannte sie als entscheidenden Grund für ihren Austritt eine positive Entscheidung bei der parteiinternen Abstimmung über ein bedingungsloses Grundeinkommen.
Dieser Grund überrascht bei einer Frau, die auch immer betont, Die Linke hätte sich von den Problemen der "einfachen Menschen" entfernt, wie eben beispielsweise Erwerbslosen, und hätte sich irgendwelchen Minderheiten zu stark geöffnet.
Abkehr von Interessen der Erwerbslosen und Jobber?
Nun ist aber das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens gerade bei aktiven Jobbern und Erwerbslosen entstanden, weil sie eben nicht unter einem Hartz-IV-System oder anderen Modellen von Jobcentern und Arbeitsagenturen schikaniert und kontrolliert werden wollen. Das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens ist also durchaus keine Kopfgeburt, sondern wurde oft in mühsamen Auseinandersetzung in die Linkspartei hineingetragen.
Wenn nun ein positives Votum für ein solches Konzept zum Parteiaustritt führt, zeigt sich, dass das Gerede über die "kleinen Leute", die von der Partei missachtet würden, vor allem polemisch ist. Zumindest die aktiven Erwerbslosen, die nicht ohne Grund für ein bedingungsloses Grundeinkommen kämpfen, sind damit nicht gemeint. Aber sie hätten sich auch größtenteils verbeten, als "kleine Leute" bezeichnet zu werden.
Spitzenkandidat des BSW befürwortet Grundidee von Hartz IV
Besonders fragwürdig wird es, wenn Butterwege erklärt, sie wolle sich das Wagenknecht-Projekt anschauen, aber mit keiner Silbe kritisch erwähnt, dass dessen Ko-Spitzenkandidat für die Europawahl, der ehemalige Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel, die SPD unter anderem mit der Begründung verlassen hat, dass sie nicht mehr strikt am Hartz-IV-Konzept des "Förderns und Forderns" festhalte – also Menschen im Bezug von Lohnersatzleistungen zu wenig sanktioniere.
Auch Wagenknecht hat sich schon ähnlich geäußert. Da muss es nicht verwundern, wenn sich aktive Erwerbslose durch ein bedingungsloses Grundeinkommen gegen solche Zumutungen verwahren wollen.
Der überraschende Rücktritt des Linken-Geschäftsführers
Auch der Rücktritt ihres Geschäftsführers Tobias Blank kam für Die Linke überraschend, weil Blank nie als Wagenknecht-Freund aufgefallen war.
Er hat allerdings auch angekündigt, in der Partei bleiben zu wollen. Wenn aber Blank als Begründung für seinen Rücktritt beklagt, Die Linke würde "fast alles auf Bewegungen außerhalb von Parlamenten sowie auf städtische Milieus konzentrieren und Wahlergebnisse scheinbar nicht mehr als Maßstab für politischen Erfolg sehen", dann klingt das wie ein Lamento jenes pragmatischen Reformflügels, für den auch Katja Wolf und andere stehen.
Die galten immer als möglichst weit entfernt von Wagenknecht, aber das beruhte auf der falschen Einschätzung, die Politikerin gehöre zum linken Flügel der Partei. Einen solchen Eindruck hatte Wagenknecht in der Zeit erweckt, als sie noch das Aushängeschild der traditionsmarxistischen Kommunistischen Plattform der Vorläuferpartei PDS galt.
Das Framing von Wagenknecht als autoritäre Linke
Die Lesart, dass Wagenknecht für den autoritären Flügel der Linken stehe, den die Partei nun endlich hinter sich lassen soll, bediente der Politikwissenschaftler Jan Schlemermeyer am Wochenende in einem Beitrag für das ND . Dort schreibt er auch, dass er Mitarbeiter des Linken-Ko-Chefs Martin Schirdewan ist, was seiner Position besonderes Gewicht verleiht, zumal der Hinweis fehlt, dass der Autor nur seine eigene Meinung vertrete.
Schlemermeyer war viele Jahren in autonomen Antifa-Gruppen in Frankfurt/Main aktiv und auch Mitverfasser eines Buches über die Antifa-Bewegung, das im Schmetterling-Verlag erschienen ist.
Seiner Postion gegen Wagenknecht und ihr politisches Umfeld blieb Schlemermeyer treu, denn die Antifa-Gruppe, die er angehörte, protestierte bereits vor 15 Jahren gegen einen Auftritt von Oskar Lafontaine, den heutigen Ehemann und politischen Berater von Wagenknecht in Frankfurt am Main. Steine des Anstoßes waren Lafontaines Äußerung über "Fremdarbeiter" und seine wichtige Rolle bei der Einschränkung des Asylrechts in seiner Zeit als SPD-Politiker.
Die Beschwörung des "Bruchs mit dem Stalinismus"
Neu ist jetzt, das Schlemermeyer als Mitarbeiter des Linken-Vorstands den Flügel um Wagenknecht als Teil der "autoritären Linken" bezeichnet, von der sich die Linkspartei unbedingt verabschieden müsse.
Dafür bietet der Wagenknecht-Abgang jetzt die Gelegenheit zu vollenden, was in der Linken mit dem Ende des Realsozialismus bereits Mehrheitsposition und Grundlage ihres demokratisch-sozialistischen Programm wurde.
Auf dem außerordentlichen Parteitag der damals erst in Gründung befindlichen PDS, Ende 1989 in der Dynamo-Sporthalle in Berlin, erklärte Professor Michael Schumann in seinem vielbeachteten Referat: »Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System.« Es ist Zeit, nun auch die letzten Reste der dazugehörigen Weltanschauung zu verabschieden.
Jan Schlemermeyer, ND am Wochenende
Positiver Bezug auf liberale Institutionen
Damit wird der Autor bei vielen dissidenten Linken durchaus auf Zustimmung stoßen. Doch auf sie bezieht sich Schlemermeyer nicht. Stattdessen müsse die Linke ein positives Verhältnis zu den liberalen Institutionen entwickeln, so seine Forderung. Dabei greift der Autor weit zurück in die Historie:
Der vermeintliche Linkskonservatismus entpuppt sich dann als ideologische Schaufensterpuppe, als aktuelle Variante eines alten Problems: linker Autoritarismus. Dieser meint im Kern den Versuch, soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, indem man Demokratie und Rechtsstaat aufgibt.
In Teilen der Linken hat das eine lange Tradition. Seit Robespierre und der französischen Revolution ist es eine Versuchung jeder emanzipatorischen Bewegung, dass der gute Zweck alle Mittel heiligen soll.
Dass demokratische Grundrechte und Verfahren im Zweifelsfall nur bürgerlicher Überbau sind, die im Dienst der antikapitalistischen Sache suspendiert werden müssen, war ein zentraler Punkt des Leninismus. Im Stalinismus wurde diese vermeintlich notwendige Härte dann zum Programm geadelt und ins massenmörderische Extrem getrieben.
Jan Schlemermeyer, Neues Deutschland
Autoritärer Kapitalismus wird ausgeblendet
Der Autor ist ein neues Beispiel für die Entwicklung eines Linksradikalen aus Frankfurt am Main zum Linksliberalismus. Aber noch ist er nicht da angekommen, wo Joschka Fischer angekommen ist. In seinen Text gibt es auch keinen positiven Bezug auf die Nato, wohl aber auf die EU.
Aber schon seine recht unkritische Bezugnahme auf die liberalen Institutionen in einer Zeit wirft Fragen auf. Zudem kommt in seinen Artikel nicht vor, dass kapitalistische Staat in den Jahren immer autoritärer auftritt, was man in verschiedenen Ländern beobachten kann.
Nötig ist eine unabhängige Linke
Nicht als linker Flügel des Liberalismus, sondern als unabhängige Linke, die sich sowohl von dem autoritären Staatssozialismus als auch von allen Formen des aktuellen Kapitalismus abgrenzt, hätte eine Linke eine Chance.
Dabei könnte sie auf historische Modelle wie den Rätekommunismus ebenso verweisen wie auf aktuelle Modelle der Zapatistas in Chiapas wie auch der kurdischen Bewegung in Rojava. Das war schließlich auch mal Konsens in der gesellschaftlichen Linken, der Schlemermeyer vor 15 Jahren noch nahe stand.
Es ist interessant, das sich davon wenig in seinem Artikel wiederfindet. Sein Vorschlag dürfe weitere Diskussionen in der Linkspartei auslösen, was ja nicht negativ ist. Auf jeden Fall besser als ein "Weiter so" aus Angst vor dem Untergang, der am Ende schleichend erfolgt.
Redaktionelle Anmerkung: Der folgende Satz wurde in der Ausgangsversion des Artikels als direktes Zitat von Wolfgang Hübner im ND gekennzeichnet, war aber kein solches: "Aber wäre es dann aus pragmatischen Gründen nicht viel einfacher, den Pragmatiker Ramelow zu unterstützen, der zudem durchaus noch hohe Umfragewerte erreicht, wenn er als Person abgefragt wird?" Die Korrektur erfolgte am 24. 01. 2024.