Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!

Seite 2: Zur Lage der Pandemie

Impfstoffe sind nach Überzeugung der übergroßen Mehrheit die wirksamste Waffe im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Diese weltweit verbreitete Infektionskrankheit wird auch hier erst eingedämmt sein, wenn sie überall auf der Welt eingedämmt ist. Niemand ist sicher, wenn nicht alle sicher sind. Je rascher die Pandemie zurückgedrängt werden kann, desto geringer ist das Risiko, dass sich neue Mutanten des Virus entwickeln, gegen die, die bisher entwickelten Impfstoffe, möglicherweise nicht mehr wirken könnten.

Die Pandemie kann in einer Welt, die eng vernetzt ist, nicht allein in einzelnen Staaten oder Kontinenten bekämpft werden, sondern nur global. Deshalb müssten wirklich alle Möglichkeiten genutzt werden, um kurzfristig ausreichend Impfstoffe herzustellen und das für einen Preis, der auch ärmeren Ländern den Zugang zu den Vakzinen ermöglicht. In diesen Zielen sind sich eigentlich alle einig.

Die Gesamtzahl der bestätigten Sars-CoV-2-Infektionen belief sich Anfang Mai 2021 auf weltweit 160 Millionen. Die Zahl der Todesopfer in Zusammenhang mit dem Coronavirus stieg auf mehr als 3,3 Millionen. Das Virus und seine inzwischen aufgetretenen Mutanten haben sich mittlerweile in mehr als 190 Ländern ausgebreitet. Derzeit werden aus Indien, Brasilien, den USA und Russland die höchsten absoluten Fallzahlen gemeldet.

Um die Erdbewohner mit Erst- und Zweitimpfungen gegen die Sars-CoV-2-Viren zu immunisieren, werden etwa 14 Milliarden Impfdosen benötigt. Bis heute wurden weltweit 1,34 Milliarden Impfungen gegen das Virus verabreicht. Davon entfielen auf China 333 Millionen, auf die USA 263 Millionen, auf Europa 179 Millionen und auf Indien 175 Millionen Impfungen.3

Gemessen an der Bevölkerungszahl liegt nach einer AFP-Zählung Israel in Führung, knapp 60 Prozent sind dort vollständig geimpft. Es folgen die Vereinigten Arabischen Emirate mit 51 Prozent der Bevölkerung, Großbritannien mit 49 Prozent und die USA mit 42 Prozent. Die EU-weite Impfquote liegt bei 21 Prozent. Spitzenreiter in der EU ist Malta, wo 47 Prozent der Einwohner bereits geimpft sind, gefolgt von Ungarn mit 37 Prozent. In Deutschland lag die Impfquote laut Robert-Koch-Institut am Freitag bei rund 39 Prozent der Bevölkerung - demnach waren 32,6 Millionen mindestens einmal geimpft und 10.9 Millionen Menschen bereits voll geschützt.

Covax: Lösung für weltweit gerechte Verteilung der Impfstoffe?

Um die Verbreitung des Virus unter Kontrolle zu bringen, müsste durch weltweite Impfungen eine Immunisierung eines Großteils der Weltbevölkerung erreicht werden und das möglichst rasch. Die Einschätzungen über den Prozentsatz der Impfungen für eine sogenannte "Herdenimmunität" gehen unter Fachleuten auseinander, sie liegen zwischen 60 und 80 Prozent Geimpften.

Auf europäischer Ebene hat Deutschland, zumal auf Drängen der Kanzlerin zunächst die Beschaffung von Impfstoffen der EU-Kommission übertragen. Die Argumente, dass damit ein Wettlauf innerhalb Europas verhindert werden sollte, bei dem die wohlhabendsten das Rennen gewonnen, damit aber die europäische Gemeinschaft durch einen aufkommenden Impfnationalismus gesprengt hätten, haben dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Ob die EU-Kommission gut mit den Herstellern verhandelt, eindeutige Verträge ausgehandelt und ob sie ausreichend Finanzmittel angeboten hat, sei an dieser Stelle nicht weiter diskutiert.

Die Chefin der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), Elmer Cooke geht davon aus, dass in ganz Europa 188 Millionen Dosen verteilt und 154 Millionen Dosen verabreicht wurden. Es sollen von der EU inzwischen auch 200 Millionen Dosen außerhalb Europas verteilt worden sein.4

Die Exporte gingen auch in reichere Länder, etwa nach Japan, Kanada, Mexiko, Saudi-Arabien, Chile, Singapur und Australien, selbst nach Großbritannien und in die USA - also auch in Länder, die selbst Impfstoff-Exporte, wenn nicht gestoppt, so doch behindert haben.

Um einen weltweit gleichmäßigen und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen zu gewährleisten, haben 165 Staaten zusammen mit der WHO, mit einer Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung (CEPI) und mit der öffentlich-privaten Impfallianz Gavi im April 2020 das Impfprogramm Covax (Covid-19 Vaccines Global Access) ins Leben gerufen.

Ziele dieses Projekts sind die Förderung von Impfstoffforschung, die gemeinsamen Impfstoffbeschaffung, die Beschleunigung des Zugangs zu Covid-19-Instrumenten sowie deren gerechte Verteilung. Covax ist sozusagen eine Einkaufsgemeinschaft von inzwischen 190 Teilnehmern. Diese Beschaffungs-Initiative kann auch von den beteiligten reicheren Ländern in Anspruch werden.

Geplant war, bis Mitte dieses Jahres rd. 330 Millionen und bis Ende 2021 zwei Milliarden Impfstoffdosen an die am stärksten gefährdete Bevölkerung - also etwa Risikogruppen oder medizinisches Personal - in 145 Ländern zu verteilen. 92 ärmere Länder wie etwa Nigeria, Indien, Ukraine, Syrien, Afghanistan oder der Jemen sollten bei der Beschaffung von Impfstoff bezuschusst werden, reichere Länder wie etwa Kanada sollten ihre aus dem Programm bezogenen Impfstoffe selbst bezahlen.

Sechs Milliarden Dollar kostete das Beschaffungsprogramm bisher, davon hat die EU 600 Millionen Dollar gespendet und Deutschland allein unterstützt die Initiative "Access to Covid-19 Tools Accelerator (ACT-A)" mit 1,5 Milliarden Euro, wovon ein Großteil an die Impfstoffplattform Covax gehen soll.

Das Problem von Covax ist, dass Dutzende reichere Länder nicht über diese Einkaufssammelstelle, sondern über bilaterale Verträge mit Herstellern ihren Impfstoff besorgt und sich so den Löwenanteil (80 Prozent) der überhaupt verfügbaren Impfdosen gesichert haben. So gab noch Rande des EU-Gipfels in Porto am 7. Mai 2021 die Kommissionschefin Ursula von der Leyen stolz die Bestellung von bis zu 1,8 Milliarden Impfdosen für die Europäische Union bekannt.

Über die bilaterale Beschaffung hinaus, besteht die paradoxe Situation, dass gerade die reichen Staaten wie die USA, Großbritannien oder die Europäische Union eine größere Nachfrage- und Verhandlungsmacht gegen die Anbieter haben und die Impfstoffe billiger beziehen können als viele ärmere Länder. Die Preisspanne soll bis zu 40 Dollar je Dosis reichen.

Da die Produktionskapazitäten knapp sind und einzelne Staaten wie die USA und Großbritannien Exportverbote für Impfstoffe oder für deren Bestandteile auferlegten, lief die Initiative erst im März dieses Jahres richtig an und liegt - jedenfalls was die ärmeren Länder anbetrifft - weit hinter den gesteckten Zielen.

Statt der ursprünglich geplanten 100 Millionen Impfdosen bis Ende März 2021, wurden tatsächlich gerade mal 38 Millionen verteilt, davon wurden 28 Millionen in Indien hergestellte (Zum Vergleich: Allein nach Deutschland wurden bis heute 41,3 Millionen Impfdosen geliefert). Covax konnte bislang keines seiner mit dieser Initiative verbundenen Versprechen halten.

Immunisierung als Privileg

Obwohl inzwischen auch in den meisten armen Ländern Impfkampagnen begonnen haben, ist die Impfung bislang vor allem ein Privileg der reichen Länder. Das zeigt auch eine interaktive Weltkarte über die Verimpfung und die geimpften Gruppen auf dem Portal Our World Data.

Zwölf Länder in der Welt sind bislang ohne jegliche Impfung. In Asien sind es nur 4,5 Prozent, in Afrika sind es gerade gut ein Prozent genauso wenig wie etwa in Vietnam, die geimpft sind. In den ärmsten Ländern sind bis heute gerade mal 0,3 Prozent der verfügbaren Impfstoffe angekommen.

Das Tragische ist, dass gerade ärmere Länder von den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in mehrfacher Hinsicht besonders betroffen sind. Etwa weil die Gesundheitsversorgung erheblich schlechter ist. Selbst in Deutschland musste ja für die intensivmedizinischen Versorgung von Covid-19-Patienten die Behandlung vieler anderer Krankheiten in den Kliniken zurückgestellt werden. Umso mehr trifft dies die Länder mit weiteren noch nicht beherrschten Krankheiten wie HIV, Tuberkulose oder Malaria. Schon aus Kostengründen leiden dort die anderen, nicht auf das Coronavirus ausgerichteten Impfprogramme.

Selbst in Indien, wo einerseits der dort größte Impfstoffhersteller, das Serum Institute, den Impfstoff Covaxin und auch das Vakzin der britisch-schwedischen Firma AstraZeneca produziert, wurde bisher nur eine Quote für die Erstimpfung von schätzungsweise knapp 10 Prozent erreicht.

Angesichts des akuten verheerenden Corona-Ausbruchs mit täglichen Infektionszahlen nach offiziellen Angaben (in absoluten Zahlen) um die 400.000 und gemeldeten Todesfälle an einem Tag um die 4.000 (die Dunkelziffer dürfte jedoch 5- bis 10-mal höher liegen) beansprucht Indien die landeseigene Impfstoff-Produktion neuerdings für sich selbst. Damit erhalten vor allem Hauptliefergebiete Indiens, nämlich ärmere Länder die versprochenen Dosen nicht.