Patentschutz für Impfstoffe vorübergehend aussetzen!

Seite 4: Wäre eine vorübergehende Aussetzung des Patentrechts überhaupt zulässig?

Das Infektionsschutzgesetz (IfSG) bietet in der aktuell geltenden Fassung dem Bundesgesundheitsministerium die Möglichkeit, Ausnahmen von den Regelungen des Arzneimittelgesetzes und von anderen Gesetzen vorzusehen (§ 5 Abs. 2 Nummer 4 Buchstabe a) und b) IfSG), sowie Regelungen zur Preisgestaltung zu treffen (§ 5 Abs. 2 Nummer 4 Buchstabe f). Das Gesetz (§ 5 Abs 2 Nummer 5 IfSG) ermöglicht es, im öffentlichen Interesse anzuordnen, dass gemäß § 13 Abs. 1 des Patentgesetzes die Wirkung eines Patentes ausgesetzt werden könnte.

Das bedeutet, dass die Bundesregierung - wohlgemerkt bei einer angemessenen Vergütung - die Hersteller von Impfstoffen ausnahmsweise im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt veranlassen kann, Lizenzen an andere Firmen zu vergeben (§ 24 des Patentgesetzes), um die Produktionskapazitäten zu erhöhen. Die Politik könnte nach diesen Vorschriften auch über angemessene Preise für die Impfstoffe bestimmen.

Darüber hinaus eröffnen auch die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO), speziell das "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (Trips-Abkommen) die Möglichkeit, auf Verpflichtungen zum Schutz und zur Durchsetzung von Patenten vorübergehend zu verzichten.

So haben Südafrika und Indien, unterstützt von einer Vielzahl von Ländern im Oktober 2020 an die Welthandelsorganisation (WTO) den Antrag gestellt, einige Verpflichtungen des Trips-Abkommens Abschnitt 1 (Urheberrechte und verwandte Schutzrechte), Abschnitt 4 (gewerbliches Design) , Abschnitt 5 (Patente) und 7 (Schutz nicht offenbarter Informationen) des Übereinkommens so lange auszusetzen, bis die Weltbevölkerung eine Immunität gegen das Virus entwickelt habe.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass es zu einer Aussetzung bzw. Umgehung von Patentrechten der Pharma-Firmen käme. Das war auch schon in den 1990er-Jahren bei Medikamenten zur Aids-Bekämpfung so. Durch die Zulassung von Generika fielen die Preise für HIV-Medikamente um 99 Prozent. 2001 erstritten die Entwicklungsländer eine Doha-Erklärung zum Trips-Abkommen, die das Recht auf den Zugang zu Arzneimittel hervorhob.

Wirkstoffgleiche Präparate könnten günstiger angeboten werden

Derzeit beanspruchen Pharma-Unternehmen Patentrechte und kontrollieren damit die Produktion von Covid-19-Impfstoffen und legen auch frei den Verkaufspreis ihrer Medikamente in Verhandlungen mit den Abnehmern fest. Würde der Patentschutz vorübergehend ausgesetzt, könnten auch andere und damit mehr Hersteller größere Mengen des Impfstoffs produzieren und damit die Engpässe und Verzögerungen beim Impfen, die derzeit (noch massiv) bestehen, wenigstens ein Stück weit beseitigen.

Es könnten sogenannte Generika (wirkstoffgleiche Nachahmerpräparate) zu günstigeren Preisen angeboten werden und es könnten durch eine länderübergreifende Zusammenarbeit sowohl die Rohstoffe besser genützt als auch zusätzliche Produktionskapazitäten geschaffen werden. Es würden damit allerdings die Möglichkeiten zur Gewinnerzielung für die bisherigen Patentinhaber eingeschränkt.

Bislang blockieren die EU und hier vor allem Deutschland, Großbritannien und Japan den Vorstoß der ärmeren Länder in der WTO, eine Ausnahmeregelung zuzulassen (Siehe dazu die Karte der zustimmenden und ablehnenden Länder).

Am 5. Mai ging ein Treffen des Allgemeinen Rates der WTO ohne Ergebnis auseinander. Auch auf dem G20-Gipfel unter italienischem Vorsitz wurde am Freitag, dem 21. Mai keine Einigung erzielt: In der Abschlusserklärung stimmten die Teilnehmer dem Vorschlag einer vorübergehenden globalen Aufhebung des Patentschutzes für Corona-Vakzine nicht zu. Angesichts des Streits habe die internationale Gemeinschaft anerkannt, wie wichtig die Patentrechte seien, um die Produktion zu beschleunigen, erklärte EU-Kommissionschefin von Ursula der Leyen in Rom.

So stellt sich die Frage, ob die Erklärung des US-Präsidenten mehr ist als ein vorgeschobenes Propaganda-Argument gegen die Chinesen oder die Russen, die mit kostengünstigen Lieferungen ihrer Impfstoffe in ärmere Länder dort um politische Sympathie werben.

Die Verfahren der internationalen Handelsregeln die einen Verzicht auf Patente erlaubten, sind allerdings schwerfällig und wenig praktikabel, vor allem sind sie langsam. Entscheidungen in der WTO müssen darüber hinaus im Konsens fallen. Wenn die EU, die allein ein Paket von 26 Stimmen hat, bei einer ablehnenden Haltung bleibt, schließt das eine Einigung aus. Vielleicht ermöglicht ja der überraschende Vorstoß der USA nunmehr einen Durchbruch, doch das dürfte noch viel Zeit in Anspruch nehmen. Zwischenzeitlich sterben aber hunderttausende Menschen.

Um zu einer schnelleren Lösung zu kommen, fordert der Weltärztebund deshalb die Hersteller auf, ihre Patente eigenständig freizugeben. "Die Pharmaindustrie könnte jetzt die ganze Menschheit voranbringen, wenn sie freiwillig auf die Ausübung ihrer Patentrechte für die Impfstoffe verzichtet", sagte der Vorsitzende Frank Ulrich Montgomery. "Freiwilligkeit wäre auch der Schlüssel zur Vermeidung drastischerer Maßnahmen durch Regierungen und Welthandelsorganisation".

Der Curevac-Chef Franz-Werner Haas hat für eine solche Lösung geworben. Die Firma Biontech, die mit Unterstützung von hunderten von Millionen Dollar der Regierung von Singapur dort eine Produktionsstätte aufbauen wird6, will armen Ländern aber beim Preis entgegenkommen und hat derzeit schon gestufte Preise.

"Wir werden weiterhin Länder mit niedrigem oder unterem mittleren Einkommen mit unserem Impfstoff zu einem nicht gewinnorientierten Preis versorgen", teilte das Unternehmen in Mainz mit. Auch AstraZeneca hatte schon früh angekündigt, keinen Gewinn erzielen zu wollen.

Wenn also die Impfstoffhersteller bei den ärmeren Ländern keine gewinnorientierte Preise erzielen wollen, warum wehren sie sich dann aber gegen eine vorübergehende Freigabe des Patentschutzes?

Wolfgang Lieb studierte an der FU Berlin und an den Universitäten Bonn und Köln Rechtswissenschaften und Politik. Nach dem Staatsexamen und einer Promotion im Medienrecht war er Wissenschaftlicher Assistent an der neu gegründeten Gesamthochschule Essen und später an der Universität Bielefeld. Danach arbeitet er in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes in Bonn unter Kanzler Helmut Schmidt. Mit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl wechselte er in die Landesvertretung NRW. Unter Johannes Rau war er neun Jahre Regierungssprecher und später Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium.

Seit seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst ist er politischer Blogger der ersten Stunde und freier Autor

Dieser Text erschien in zuerst beim Blog der Republik.