Patentschutz für Corona-Impfstoffe: Warum die Argumente der Gegner vorgeschoben sind
- Patentschutz für Corona-Impfstoffe: Warum die Argumente der Gegner vorgeschoben sind
- Kann Patentschutzfreigabe die Produktion von Impfstoff erhöhen?
- Würde Aussetzung des Patentschutzes Lieferketten und Qualitätskontrolle gefährden?
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Es geht weder um Innovation noch die Sicherheit von Lieferketten oder Versorgung. Es geht um ein kapitalistisches Prinzip (Teil 2 und Schluss)
Die Hauptargumente der Gegner einer vorübergehenden, pandemiebedingten Aussetzung des Patentschutzes sind,
- dass damit die Investitionsbereitschaft und damit die Innovationsdynamik bei der Entwicklung von Medikamenten ausgebremst werde oder gar zum Erliegen komme,
- dass damit die Knappheit an leistungsfähigen Produktionsanlagen nicht überwunden werde und
- dass sichere Lieferketten für die Impfstoffherstellung und letztlich die Qualitätskontrolle der Impfstoffe nicht gewährleistet wären.
1. Patentschutz notwendig für Investitionen und Innovationen?
Die deutschen Pharmafirmen lehnen es ab, Impfpatente vorübergehend freizugeben. Friedhelm Ost zitiert in seinem Beitrag den Vorsitzenden des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller Han Steutel, der darauf hinweist, dass private Investoren und Pharma-Unternehmen große finanzielle Risiken eingehen müssten, "um wissenschaftliche Erkenntnisse weiterzuentwickeln und neue Technologien zur Marktreife zu bringen". So argumentiert auch Kanzlerin Merkel: "Ich glaube, dass wir die Kreativität und die Innovationskraft der Unternehmen brauchen." Dazu gehöre der Patentschutz.
Ohne Zweifel, Pharmaforschung ist riskant und nur ein Bruchteil vieler Forschungsprojekte, aus denen einmal neue Medikamente hervorgehen könnten, erreicht tatsächlich Marktreife. Der Anteil der Forschungsausgaben am Umsatz liegt in der Pharmaindustrie im Vergleich zu anderen Industriesparten am höchsten und oft im zweistelligen Prozentbereich.
Damit sich solche Investitionen bezahlt machen, lassen die Pharma-Unternehmen einen neu entwickelten Wirkstoff zehn bis fünfzehn Jahre lang durch Patente schützen. In diesem Zeitraum darf kein anderes Land und kein anderes Unternehmen ein entsprechendes Medikament herstellen - jedenfalls nicht ohne ausdrückliche Lizenz.
Wenn die Impfstoffhersteller nun argumentieren, sie würden gegenüber ärmeren Ländern auf gewinnorientierte Preise verzichten und sich auch dem Aufbau von Produktionsanlagen, wo dies auch immer möglich sei, nicht verschließen, dann dürfte hinter der Ablehnung einer vorübergehenden Patentfreigabe noch ein anderes Motiv bestimmend sein.
Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), Wolfgang Große Entrup, hat dies auch ganz offen ausgesprochen. Eine Patentfreigabe für Corona-Impfstoffe wäre "ein solcher politischer Dammbruch (und) würde eine Woge verheerender wirtschaftlicher und psychologischer Effekte für innovative Forschung in unserem Land freisetzen – und zwar nicht nur im Bereich Pharma".1
Die Sorge vor einem "Dammbruch" beim Patentschutz.
Diese Sorge erscheint jedoch vorgeschoben, denn auch die frühere Aufkündigung von Patentrechten hat nicht zu Auflösungserscheinungen des Patentrechts und den Regelungen der WTO geführt. Die Regelungen im Rahmen des Trips-Abkommens könnten auch so getroffen werden, dass damit kein Präjudiz geschaffen würde. Schließlich handelt es sich bei der Corona-Pandemie, anders als etwa bei früheren Ausnahmen für HIV-Medikamente, um eine bisher singuläre Pandemie mit einer Bedrohung für alle Menschen.
Auch was die Investitionskosten anbetrifft, ist die Entwicklung von Impfstoffen gegen die Covid-19-Erkrankung ein Sonderfall. Es waren keineswegs nur private Investoren bzw. die großen Pharma-Unternehmen und deren Aktionäre, die ihr Kapital für die Impfstoffentwicklung eingesetzt haben, weltweit flossen und fließen Mittel in Milliardenhöhe in deren Erforschung, Entwicklung und auch für deren Produktion. Angeblich sollen die Regierungen 2020 weltweit mindestens 88 Milliarden Euro für die Covid-19-Impfstoffhersteller bereitgestellt haben.
Einmal davon abgesehen, dass die Grundlagenforschung von der öffentlichen Hand finanziert wurde, ist z.B. Biontech keineswegs allein mit dem Kapital der früheren Hexal-Eigner Andreas und Thomas Strüngmann aufgebaut worden. Ihr Engagement für die Firma Biontech der Eheleute Ugur Sahin und Özlem Türeci in Mainz war sicherlich entscheidend, dass dort an mRNA-Impfstoffen weiter geforscht werden konnte; dabei ging es ursprünglich primär um Medikamente zur Bekämpfung von Krebskrankheiten.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat schon in der Gründungsphase Biontech maßgeblich unterstützt und die ersten Jahre der Ausgründung aus der Mainzer Hochschule gefördert. Die Firma wurde von 2012 bis 2017 als Gewinner eines Spitzen-Cluster-Wettbewerbs mit 12,9 Millionen vom Forschungsministerium unterstützt. Während der ersten Jahre habe die Firma circa 50 Millionen Euro Fördergelder aus unterschiedlichen Förderprogrammen auch der EU erhalten.
Auch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung hat 55 Millionen in die Firma investiert. Im Sommer 2020, als die Impfstoffentwicklung vorangetrieben werden sollte, hat Biontech weitere 375 Millionen Euro vom Bund für die mRNA-basierte Medikamente und für Produktionsanlagen erhalten. Und die EU hat über die Europäische Investitionsbank im Juni 2020 einen Kredit von über 100 Millionen ausgereicht.
Die Süddeutsche Zeitung zitiert die Fachzeitschrift The Lancet wonach auch die Hersteller Sanofi/Glaxo-Smith-Kline und Novavaxie 2,1 Milliarden Dollar, AstraZeneca/Universität Oxford 1,7 Milliarden Dollar, Johnson&Johnson 1,5 Milliarden Dollar und Moderna 957 Millionen Dollar an öffentlicher Unterstützung erhalten haben.2 Auch an Curevac beteiligte sich die Bundesregierung mit 300 Millionen Euro.3
Es war jedenfalls nicht der Patentschutz, der es den Firmen ermöglicht hat, in so kurzer Zeit wirksame Covid-Impfstoffe zu entwickeln.
Angesichts dieser hohen öffentlichen Zuschüsse, ist die Frage berechtigt, ob es sich bei den Covid-19-Impfstoffen nicht um ein Gemeingut handelt oder zumindest handeln sollte. Auch die Kanzlerin Angela Merkel nannte anfangs des Jahres Vakzine noch ein "globales öffentliches Gut".
Markus Grill und Georg Mascolo stellten in ihrem schon erwähnten Beitrag in der Süddeutschen Zeitung auch klar, dass die von der Pharmaindustrie für die Medikamente erhobenen Preise keineswegs nur entsprechend den vorausgegangen Investitionen kalkuliert werden, sondern (zumindest auch) danach bemessen werden, wie groß der Nutzen eines neuen Präparates ist, sprich, wie hoch die volkswirtschaftlichen Schäden ohne ein solches Medikament wären.
An dieser Preiskalkulation hätten jedenfalls Biontech/Pfizer das erste Preisangebot an die EU-Kommission mit 54,08 Euro pro Impfdose bei einer Abnahme von 500 Millionen Dosen ausgerichtet. Dass letztlich der Preis zunächst pro Dosis mit 15,50 Euro (und neuerdings angeblich mit 23,20 Euro) abgerechnet wurde, hat sicherlich mit dem Preiswettbewerb mit anderen Impfstoffherstellern, vor allem mit AstraZenca zu tun und natürlich auch mit der Verhandlungsmacht der EU mit 450 Millionen potentiellen Abnehmern.
Bei den Impfstoffherstellern herrscht Goldgräberstimmung
Die Firma Biontech, deren Adressangabe - Zufall oder nicht - "An der Goldgrube" lautet, erwartet für dieses Jahr einen Umsatz von 12,4 Milliarden mit seinem Covid-19-Vakzin. Der Nettogewinn betrug allein im ersten Quartal rund 1,1 Milliarden Euro.4 Nach der bisherigen Umsatzplanung könnte Biontech auf einen Vorsteuergewinn von mehr als 9 Milliarden und einen Reingewinn von sechs bis sieben Milliarden zusteuern und wäre damit das ertragsstärkste deutsche Pharmaunternehmen.5 Kosten und Bruttogewinn aus dem Impfstoff werden zwischen Pfizer und BioNTech zu 50 Prozent aufgeteilt.
Biontech-Chef Ugur Sahin hat noch Mitte des vergangenen Jahres versichert, dass seine Firma mit dem Corona Impfstoff keine "goldene Nase" verdienen wolle.
Man tut den wissenschaftlichen und unternehmerischen Leistungen des Forscherehepars Türeci/Sahin keinen Abbruch, wenn man darauf hinweist, dass die Gründer von BioNTech 17,3 Prozent der Aktien des Unternehmens mit einem Wert von knapp 5 Milliarden und laut Bloomberg noch Aktienoptionen mit einem Wert von rund 115 Millionen Euro besitzen und damit in kürzester Zeit zu den 500 reichsten Menschen der Welt gehören.
Auch für die Gebrüder Strüngmann hat sich das Engagement bei Biontech gut rentiert, sie besitzen die Hälfte der Anteile an dieser Firma kommen damit auf ein Vermögen von 12,2 Milliarden Dollar. Sie stiegen im Bloomberg-Reichen-Index auf Rang 166.
Auch die anderen Impfstoffhersteller haben Rekordergebnisse an der Börse notiert und ihre Umsätze und Gewinne erheblich gesteigert. AstraZeneca, das ja seinen Impfstoff nicht gewinnorientiert einsetzen wollte, erzielt 2020 einen Gewinn von rund 3,2 Milliarden Dollar. Im laufenden Geschäftsjahr rechnet Moderna auf Basis seiner bereits getroffenen Verkaufsvereinbarungen mit Erlösen von 19,2 Milliarden Dollar. Modernas Umsatz lag 2019 noch bei bescheidenen 60 Millionen Dollar, das Unternehmen ist inzwischen an der Börse über 57 Milliarden wert und damit größer als der Bayer-Konzern.6
Die Kosten für die Entwicklung und die Produktion der Covid-19 Impfstoffe haben sich bei den Herstellern schon jetzt reichlich amortisiert. Wenn diese Unternehmen jetzt ihren Patentschutz aussetzen und Lizenzen vergeben müssten, so hätten sie dennoch nicht schlecht verdient.
Außerdem bedeutete die Vergabe einer Zwangslizenz ja keineswegs, dass diese Firmen leer ausgingen. Sie könnten nur über ihre Preisgestaltung nicht mehr frei verfügen. Die vorübergehende Aufgabe von Patentrechten würde ja auch nicht bedeuten, dass damit die Kosten für die Erweiterung der Produktionskapazitäten und die Herstellung der Impfstoffe nicht mehr refinanziert werden dürften. Das sagte auch Chefin der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA), Emer Cooke, dem Handelsblatt auf eine entsprechende Frage7:
Ich wüsste nicht, warum es Auswirkungen auf die Herstellung und den Vertrieb haben sollte.
Schon die Ankündigung von Joe Biden möglicherweise "the waiver of IP protection on Covid-Vaccines" zu unterstützen, ließ die Aktienkurse der meisten Pharma-Unternehmen zweistellig, zwischen 13 bis 18 Prozent einbrechen.
Dieser Einbruch der Aktienwerte macht sehr deutlich worum es im Kern geht, nämlich dass es bei den Patenten - jedenfalls nicht mehr - um den Schutz des geistigen Eigentums, sondern vor allem um den Schutz der Aktionäre für weitere künftige Gewinne geht.
Und dass die Impfstoffproduktion auch in absehbarer Zukunft ein gutes Geschäft verspricht, ergibt sich schon aus der Zahl der noch notwenigen Impfungen und möglicherweise auch daraus, dass nach geraumer Zeit nachgeimpft werden muss.
Dafür, dass es vor allem auch um Gewinnerwartungen geht, spricht auch die Tatsache, dass - entgegen diesem Börsen-Einbruch bei Biontech/Pfizer und Curavec - die Aktien von AstraZeneca in London zulegten. Das Unternehmen hatte schon früh angekündigt, keinen Gewinn erzielen zu wollen.
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