Peak Food, Peak Water

Zur Neige gehende Energieträger, Klimawandel und Wassermangel lassen den globalen Spätkapitalismus an seine Entwicklungsgrenzen stoßen

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Diesmal ist Kalifornien an der Reihe: Nachdem im letzten Jahr weite Teile der südöstlichen und mittleren Vereinigten Staaten von einer lang anhaltenden, beispiellosen Trockenperiode heimgesucht wurden, musste am vergangenen Dienstag Gouverneur Arnold Schwarzenegger den gesamten Bundesstaat Kalifornien zu einem Dürregebiet erklären.

Die vergangenen Monate März, April und Mai waren die trockensten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im US-Westküstenstaat. Zudem leidet Kalifornien an einer mehrjährigen Abfolge besonders trockener Winter. Dies ist besonders verheerend, da der US-Bundesstaat bei seiner Wasserversorgung zum großen Teil auf eine ergiebige Eisschmelze in Sierra Nevada angewiesen ist. Jüngsten Messungen zufolge erreicht die Schneedecke in diesem ostkalifornischen Gebirgszug nur noch 69 Prozent des Durchschnittswerts vergangener Jahrzehnte, wobei die Schmelzwasserzufuhr in die Flüsse Kaliforniens sogar bei gerade mal 55 Prozent des üblichen Mittelwerts liegt. Eine achtjährige Dürre im Südosten der USA macht es zusätzlich unmöglich, Südkalifornien mit Wasser aus dem Colorado River zu versorgen.

Obwohl der gesamte Bundesstaat, der wohl die höchste Swimmingpooldichte der Welt aufweist, in seiner Geschichte noch nie zur Wasserrationierung greifen musste, warnte Schwarzenegger genau vor dieser Notmaßnahme, sollte der nächste Winter ebenso trocken ausfallen wie die vergangenen.

Dabei bildet Kalifornien nur einen kleinen Mosaikstein im langsam an Kontur gewinnenden Schreckensszenario einer durch den Klimawandel beförderten, globalen Wasserknappheit – mit all ihren Konsequenzen und Wechselwirkungen. Es waren keine von Konservativeren und Klimaskeptikern gerne als „Gutmenschen“ verunglimpften Umweltaktivisten oder Globalisierungskritiker, die jüngst im konservativen britischen The Daily Telegraph diesbezüglich die Alarmglocken läuten ließen. Einer der mächtigsten Akteure des globalen Finanzkapitals, die Investmentbank Goldman Sachs, ließ anlässlich ihrer mit der Risikoeinschätzung künftiger Entwicklungen befassten Konferenz Top Five Risks etliche Experten auflaufen, die vor einem weltweiten, katastrophalen Wassermangel warnten.

Wasserkrise als vielleicht größte Gefahr

Demnach könnte sich die Wasserkrise als eine „noch größere Gefahr für die Menschheit in diesem Jahrhundert“ entpuppen als die steigenden Nahrungsmittelpreise und die Erschöpfung fossiler Energieträger sowie Rohstoffe. Nicolas Stern, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und Wirtschaftsberater der britischen Regierung, sah in den Auswirkungen des Klimawandels auf den Himalaja eine der schwerwiegendsten Gefahren für die Wasserversorgung eines großen Teils der Menschheit:

Die Gletscher im Himalaja befinden sich auf dem Rückzug, und sie sind der Schwamm, der das Wasser in der Regenzeit zurück hält. Wir sehen uns dem Risiko extremer Wasserabflüsse ausgesetzt, wo das Wasser direkt in die Bucht von Bengalen fließt und eine große Menge furchtbarer Erde mitreißt.

Ähnlich der Lage in Kalifornien ist somit auch Südostasien zu einem beachtlichen Teil auf die Wasserzufuhr aus Gebirgszügen – diesmal der Gletscher des Himalaja - angewiesen, die zudem als eine Art „Schwamm“ die Wassermenge regulieren, die durch die mächtigen Flusssysteme der Region fließt und somit auch Erosionsprozesse an deren fruchtbaren Uferregionen in Grenzen halten. Doch sind die Dimensionen an diesem möglichen Zentrum einer künftigen Wasserkrise um einiges größer als an der Westküste der USA. Einige hundert QuadratKilometer des Himalaja sind Stern zufolge die Quelle für alle wichtigen Flüsse Asiens: für den Ganges, den Yangtse und den Gelben Fluss. In diesem Gebiet leben aber drei Milliarden Menschen. Das ist die Hälfte der Weltbevölkerung, so Stern.

Zudem wird in vielen Teilen dieser Region das Grundwasser dermaßen intensiv entnommen, das die entsprechenden Wasserführenden Untergrundschichten auszutrocknen drohen. Selbst ergiebige Regenfälle könnten dies Verlusten nicht ausgleichen. Das boomende China ist hier besonders stark betroffen, da dessen Bevölkerung 21 Prozent der Menschheit ausmacht. Doch auf auf dem Territorium des Reichs der Mitte finden sich gerade mal sieben Prozent der globalen Wasservorräte. Der Grundwasserspiegel fällt in einigen Regionen Nordchinas durch übermäßiges Abpumpen um ca. einen Meter jährlich, in der Henbei Provinz sogar um drei Meter. Etliche Flüsse Nordchinas sind bereits ausgetrocknet.

Das Öl des nächsten Jahrhunderts

Ein weiterer von Goldman Sachs zur Konferenz geladener Experte, der Stanford-Biologieprofessor und ehemalige Chefredakteur der renommierten Fachzeitschrift Science, Donald Kennedy, sprach von einer durch den Klimawandel initiierten, sich beschleunigenden Spirale von extremen Dürren, die sich mit „psychotisch exzessiven Regenfällen“ abwechseln würden. Die Folgen sind schon jetzt sichtbar: „Es gibt bereits jetzt 800 Millionen Menschen, die in Nahrungsunsicherheit leben. Sie können nicht genug Nahrung anbauen, oder sie können sie sich nicht leisten. Das ist eine seismische Verschiebung in der Ökonomie“, warnte Kennedy. Goldman Sachs geht sogar davon aus, dass bis 2025 ein ganzes Drittel der Weltbevölkerung keinen Zugang zum „adäquaten Trinkwasser“ haben wird.

Die „Lösungsvorschläge“, die während dieser Konferenz für eine der einflussreichsten Investmentbanken der USA ausgebrütet wurden, kommen einer Bankrotterklärung der spätkapitalistischen, vom Finanzkapital dominierten Wirtschaftsweise gleich. Goldman Sachs erklärte Wasser zum „Öl des nächsten Jahrhunderts“ und empfahl allen Investoren, kräftig in diese Ressource zu investieren, insbesondere in die „Hightech“-Sektor der Industrie. Die Ware Wasser biete künftig „enorme Belohnungen für Investoren, die wissen, wie man während des kommenden Investitionsbooms zu spielen habe."

Genannt werden etliche Konzerne, die es bereits geschafft haben, die Wasserversorgung etlicher größtenteils in Entwicklungsländern gelegener Städte zu übernehmen, was oftmals zur Verteuerung dieses Lebensmittels führe und heftige Auseinandersetzungen nach sich zog . Hier, vor allen bei kleineren Anbietern, würden künftig gute Erträge winken, so der Daily Telegraph.

Die Folgen zunehmender globaler Wasserverknappung werden selbstverständlich zuvorderst die Landwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, verbraucht doch gerade der Ackerbau rund 70 Prozent des weltweiten Bedarfs an Wasser. Wassermangel und Dürren dürften somit den Preisauftrieb bei Lebensmitteln zu einer langfristigen Erscheinung werden lassen, sollten keine grundlegenden strukturellen Änderungen in der Landwirtschaft eingeleitet werden.

Unter einer jahrelangen Trockenheit, die eher auf eine bereits einsetzende Verwüstung hindeutet, leidet auch Australien, einer der wichtigsten Exporteure von Agrarprodukten. Der fünfte Kontinent ist der weltweit größte Wolleproduzent, er steht auf Platz drei bei den Fleisch-, Weizen- und Zuckerexporten. Durch Regenmangel und Verwüstung sollen Prognosen des australischen Büros für Landwirtschaft und Ressourcenökonomie die Weizenerträge bis 2050 um 13 Prozent sinken und die Produktion von Rindfleisch um 13 Prozent fallen. Der Ökonom William Cline rechnet mit einem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktivität Australiens bis 2080 um 27 Prozent.

Über ähnlich rasch voranschreitende Verwüstungstendenzen berichtete die Financial Times auch aus dem Osten des Amazonasbeckens, das unter einer Zunahme extremer Wetterereignisse leidet. In allen erwähnten Fällen geht der Klimawandel mit abnehmenden Ernteerträgen einher. In Äthiopien droht sogar eine anhaltende Dürre in eine schwere Hungersnot auszuarten.

Vom Peak Water zum Peak Food

Doch auch in der hochtechnisierten Landwirtschaft des Nordens droht zumindest eine Preisexplosion. Dies ergibt sich aus der Struktur der industrialisierten Landwirtschaft, die von dem Einsatz fossiler Energieträger wie auch weiterverarbeiteten Erdöl – für Transport, Elektrizität oder auch Plastikverpackungen - abhängig ist. Allein der sich beständig verteuernde Transport von Lebensmitteln dürfte deren Preise weiter nach Oben treiben und auch Hilfsmaßnahmen für von Hungersnöten betroffene Regionen zusätzlich verteuern.

Dennoch wird sich wohl vor allem der globale Wassermangel als der „Flaschenhals“ zukünftiger Lebensmittelproduktion erweisen. Dem „Peak Oil“ - also dem Fördermaximum bei Rohöl, nach dessen Überschreiten die Produktion rasch abfällt - wird ein „Peak Food“ folgen, der wiederum von dem „Peak Water“ abhängig ist. Eine unter anderem vom Internationalen Wasserinstitut in Stockholm in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Wassermangel die zentrale Beschränkung bei der Expansion agrarischer Produktion darstellen wird. Laut David Molden, einer der Koautoren der Studie, müsste bei Beibehaltung der gegenwärtigen Trends bis 2015 doppelt so viel Wasser aufgewendet werden, um die global benötigte Lebensmittelmenge herzustellen – sollten keine substantiellen Änderungen bei der Herstellung und dem Konsum von Lebensmitteln eingeleitet werden. Eine solche ressourcenfressende Weiterentwicklung kapitalistischer Landwirtschaft ist schlicht aufgrund der begrenzten Wasserreserven nicht machbar.

Hunger ist schon jetzt kein reines Phänomen der „Dritten Welt“. Ein MSNBC-Artikel beleuchtet die um sich greifende Unterernährung in den Vereinigten Staaten, wo die Lebensmitteltafeln erhebliche Probleme haben, dem gestiegenen Andrang gerecht zu werden. Während die Löhne der amerikanischen Arbeiterschaft inflationsbereinigt im siebten Monat in folge sanken, erfuhren die Lebensmittel im April den höchsten Preissprung seit 18 Jahren. „Während die Nachfrage steigt, gehen die Spenden zurück“, erklärte ein Mitarbeiter einer kalifornischen Tafel. „Wenn es so weitergeht, werden wir bald eine Lebensmitteldesaster erleben.“

Der Ölpreis verteuere alle anderen Waren, ergänzte ein Vertreter von „Second Harves“, der Vereinigung der US-Lebensmitteltafeln: „Wenn der Benzinpreis weiter steigt, werden wir eine Katastrophe erleben.“ Viele Tafeln sind nicht mehr in der Lage, allen bedürftigen Menschen Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. Eine jüngst durchgeführte Umfrage unter den 180 in „Second Harvest“ zusammengeschlossenen gemeinnützigen Organisation ergab, dass 99 Prozent von ihnen eine Zunahme von Lebensmittelempfängern registrierten, die durchschnittlich 20 Prozent betrug. In einigen Regionen stieg die Zahl der Bedürftigen um 40 Prozent. Die Masse der unterernährten Amerikaner geht inzwischen in die Millionen.

Verzweifelte Staaten und Menschen

Die Lebensmittelkrise führt inzwischen auch zu einem Wandel der internationalen Handels- und Machtstruktur. Der Umweltanalytiker und Gründer des Earth Policy Institute, Lester Russell Brown, thematisierte die internationale Tendenz einer ums sich greifenden, protektionistischen Politik, die die Regeln der internationalen Politik zu diktieren beginne. Demnach würden einzelne Staaten vor allem danach streben, ihre eigene Lebensmittelversorgung sicherzustellen, ohne viel Rücksicht auf den „Rest der Welt“ zu nehmen. Brown nannte vor allem die Exporteinschränkungen für Nahungsmittel, die viele Länder - wie Indien, Vietnam, Indonesien und China - verfügt und damit „ein neues Kapitel im Buch der Lebensmittelsicherheit aufgeschlagen haben.“

Zudem gehen viele Länder dazu über, Ackerland im Ausland zu erwerben, um so den heimischen bedarf zu stillen. So erwarb China Ländereien in Tansania, Laos, Kasachstan und Brasilien. Indien versucht dahingehend mit Uruguay und Paraguay ins Geschäft zu kommen, während Südkorea Ackerflächen in Sibirien und Sudan erwerben will. Libyen und Ägypten verhandeln hingegen in gleicher Intention mit der Ukraine. Das Problem bei diesem an Kontur gewinnenden System sei aber, so Brown, dass „die einflussreichen Staaten ihre Lebensmittelversorgung sichern können, während eine Reihe armer Länder ohne Lebensmittelimporte zurückbleiben wird.“ Dies würde im Endeffekt eine Menge „verzweifelter Staaten“ schaffen, warnte Brown.

Die Verzweiflung der Marginalisierten dieser Welt dürfte weiter wachsen: Der in Rom tagende UN-Ernährungsgipfel konnte außer lauwarmen Erklärungen keine substantiellen Beiträge zu einer kollektiven, internationalen Lösung der Lebensmittelkrise liefern. In der Abschlusserklärung hieß es lediglich unverbindlich, dass man bestrebt sei, die „Handelsbarrieren zu reduzieren“ und die agrarische Produktion anzukurbeln.

Bei konkreten Streitthemen setzten sich hingegen die Industrienationen der „Ersten Welt“ durch. So wird im Abschlussdokument der Zusammenhang zwischen dem Anbau von Pflanzen zur Gewinnung von Biosprit und den steigenden Lebensmittelpreisen vor allem auf Druck der USA und Brasiliens nicht mal erwähnt. Stattdessen heißt es, die Biospritproduktion berge „Chancen und Risiken“. Ein weiteres Tabu bildeten die Subventionen der reichen Länder für ihren Agrarsektor, die für den Verfall der Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern verantwortlich gemacht werden. Ebenso ist der konkrete Abbau der diversen Zollschranken bei Agrarprodukten auf Druck der Industrieländer nicht in die Abschlusserklärung aufgenommen worden. Selbst eine konkrete, verbindliche Förderung der Landwirtschaft – etwa durch Kreditprogramme, Investitionen in agrarische Infrastruktur oder den Aufbau von Genossenschaften - in der „Dritten Welt“ wurde ausgespart.

Aus der argentinische Delegation hieß es folglich, man sei unglücklich darüber, die negativen Folgen der von den USA und der EU aufgewendeten Agrarsubventionen in der Abschlussdeklaration des Gipfels nicht thematisiert zu sehen. Die Vorsitzende der nicaraguanischen Delegation, Monica Robelo Raffone, bot eine rundweg negative Einschätzung der UN-Konferenz, die keine Lösungsansätze für die globale Nahrungskrise geliefert habe. Dieser Gipfel habe „die wahren Ursachen hinter der Krise nicht erwähnt: die hohen Ölpreise, die Spekulation, die Subventionen“ der Industrieländer. „Es war ein Schritt zurück.".