Peak oil im Sommerloch
$67 pro Barrel: Abzocke oder der Anfang vom Ende?
Ein Rekordhoch jagt das andere: Am Freitag, 12.8., stieg der Preis für einen Barrel Öl auf über $67 in New York. Alles nur das Resultat von Spekulationen auf den Finanzmärkten? Oder hat die Nachfrage nach Öl das Angebot endlich endgültig überflügelt?
"Unglaublich", dachte ich, als ich die neue Kampagne des US-Ölkonzerns Chevron sah: Will You Join US? Der Werbespot dazu liest sich wie die schlimmsten Befürchtungen von Peak-Oil-Pessimisten (die sich ihrerseits allerdings seit langem fragen, wann die Ölmultis ihnen beitreten werden):
In den letzten 125 Jahren haben wir die erste Billion Barrel Öl verbraucht. In den nächsten 30 verbrauchen wir die nächste Billion . Eines ist klar: die Ära des einfachen Öls ist vorbei.
Damit nicht genug: ExxonMobil hat neulich in seinem Outlook for Energy: A 2030 View gewarnt, dass die Produktion außer den OPEC-Ländern in den nächsten fünf Jahren seinen Höhepunkt erreichen wird - und: "There are no easy answers".
Wird OPEC die Lücke füllen können? Nein, sagten Saudi-Industrievertreter im Juli gegenüber der Financial Times: OPEC wird in 10 Jahren nicht mehr Schritt halten können.
Hat uns George W. Bush nicht vor wenigen Monaten versprochen, bei $55 pro Barrel bräuchten die Ölfirmen keine Anreize mehr, um nach neuen Feldern zu suchen? Bei $67 lesen wir in der US-Ausgabe der Technology Review: "Was machen die Ölfirmen mit dem vielen Geld? Interessanterweise legen sie es auf die hohe Kante" - schätzungsweise 15 Cent pro Dollar, fünf Mal mehr als normal. Einer der möglichen Gründe: "the sector… sees few opportunities to spend that money wisely." Wozu bohren, wo nix ist, nur weil man das Geld hat…
Spekulationsblase?
Manche Energieexperten sehen hier jedoch Spekulanten am Werk, so z.B. die Autoren von "Grundlagen der Energiepolitik" mit Vorwort von Klaus Töpfer. Herausgeber Danyel Reiche ist Mitarbeiter an der FU Berlin und bringt in letzter Zeit einige Werke über den Energiesektor heraus. In dem Kapitel, das uns hier interessiert (Kap. 11), verfechten die Autoren Abdolvand/Adolf/Bechberger die These, dass man genug Öl hat - die Finanzmärkte sind also an den überhöhten Preisen schuld. Leider überzeugt ihr Argument nicht.
Um zu behaupten, die Preise werden von Spekulanten künstlich hochgehalten, müssen die Autoren argumentieren, dass es genug Öl gibt: "Teueres Öl [ist] nicht Folge von Ölmangel, sondern politisch beeinflusster Kürzung freier Kapazitäten…". Wo diese freien Kapazitäten liegen sollen, verraten die Autoren nicht. Der Ölsektor und die Weltmärkte wüssten es aber gerne. Und weiter: "So schnell die Menschheit Rohöl verbraucht, so schnell hat sie bisher neue Lagerstätten gefunden und Technologien entwickelt, die es Ölgesellschaften ermöglichen, mehr aus bekannten Feldern zu fördern und neue Regionen zu erschließen." Nichts könnte falscher sein. Seit Jahrzehnten schon übersteigt der Verbrauch die Neufunde, in den letzten Jahren um ein Vielfaches. In der Zeit lebten wir von den Funden, die vor 30-50 Jahren entdeckt wurden.
Nicht überzeugend wirkt auch der Verweis auf einen "Wissenschaftler und Manager bei Eni", der festgestellt habe, dass frühere "Berechnungen über das Ende der Ölzeit von Hysterie geprägt" seien - als wäre damit bewiesen, dass wir noch mehr Öl finden werden. Unglaublicherweise bringen sie sogar die alte Leier noch über den Club of Rome, der 1972 "prophezeite…, dass die bekannten 550 Mrd. Barrel Öl bei konstantem Verbrauch in 30 Jahren erschöpft seien". Damit sind sie auf die völlige Missdeutung von neoliberalen Ökonomen reingefallen, die "Die Grenzen des Wachstums" schon immer bewusst falsch dargestellt haben, denn das Buch prophezeit rein gar nichts, sondern untersucht verschiedene Szenarien - eine normale Vorgehensweise in zukunftsgerichteten Studien bis heute. Außerdem stammt die Zahl "30 Jahre" nicht vom Club of Rome, sondern der Club hat lediglich die Zahlen von Ölfirmen übernommen.
Man muss dem Kapitel jedoch zugute halten, dass kurz auf die Rolle des Petro-Dollars eingegangen wird - und auf den Umstieg Iraks 2000 auf den Euro (siehe Dollar unter Druck).
Die Autoren kritisieren außerdem die Annahme, "dass die geologische Struktur der Erde so gut erforscht sei, dass kaum neue Quellen entdeckt werden könnten." Schauen wir uns an, was Insider Matthew Simmons, der seit 30 Jahren Ölprojekte finanziert, dazu zu sagen hat.
"Twilight in the desert"
So lautet der Titel des im Mai erschienen Buches, in dem Simmons die These aufstellt, dass Saudi-Arabien seine Produktion nicht mehr dauerhaft erhöhen kann, sondern höchstens noch kurzfristig - und dann nur auf Kosten der langfristigen Produktion. Er stützt sich einerseits auf Hunderte von wissenschaftlichen Papers, die die Society of Petroleum Engineers (SPE) in den letzten Jahren kostenpflichtig online gestellt hat, andererseits auf Protokolle von Regierungssitzungen aus den 1970ern, die teilweise jetzt erst - nach 25 Jahren - öffentlich zugänglich geworden sind.
Interessanterweise ist auch ein einzelner Zeitungsbericht darunter aus dem Jahr 1979 von Seymour Hersh (der die Gräueltaten in Abu Graib bekannt machte). Hersh berichtete von Treffen 1974 zwischen Aramco-Managern und US-Senatoren, als die saudische Ölfirma noch in US-Hand war. Die Manager erzählten den Senatoren, dass Saudi-Arabien seine Produktion bald drosseln müsse, wenn seine Ölfelder nicht dauerhaft beschädigt werden sollten. Die noch von westlichen Ölfirmen kontrollierte Aramco erhöhte daraufhin die Produktion, weil die westlichen Manager alles rausholen wollten, was zu holen war, bevor die Firma an die Saudis überging.
Die vielen SPE-Papers sind deshalb wichtig, weil Saudi-Arabien und die anderen OPEC-Länder seit Anfang der 1980er, als die Saudis die inländische Ölindustrie in die Hand nahm, keine Zahlen mehr über ihre Ölfelder veröffentlicht haben. Ein einzelnes SPE-Paper liefert ein sehr fragmentarisches Bild vom ganzen Land, denn es geht immer um ein bestimmtes Problem bei einem bestimmten Feld. Durch die Menge an Papers verschaffte sich Simmons trotzdem eine Übersicht. Dabei stellt er Wichtiges fest:
- Die Saudis verwenden seit den 1970ern die neueste Technik. Wer argumentiert, man könne gerade in Saudi-Arabien mehr Öl finden, wenn die neueste Technik angewendet wird, weiß nicht, dass die Saudis seit Jahrzehnten führend in neuer Technologie sind.
- Gleiches gilt für die Erforschung. Simmons glaubt, dass die Saudis bis auf einen kleinen Fleck alles bei sich genauestens erkundet und seit Jahrzehnten nichts Nennenswertes gefunden haben.
- Weil alle Welt der Meinung ist, dass die einzigen freien Kapazitäten auf der Welt noch in Saudi-Arabien sind, sucht Simmmons danach - und wird fündig. Es ist das Feld "Safaniya". Simmons schreibt: "This old, mature workhorse now holds the entire remaining spare daily oil supply of any magnitude anywhere in the world." Allerdings hat dieses Feld nur so viel Potenzial, weil es Schweröl (27° API) enthält - genau das, was die Welt nicht will.
- Die Argumentation, die Saudis hätten bestimmt große, brachliegende Ölfelder, ist unlogisch, denn man würde eher alle Felder gleichzeitig und schonend betreiben, anstatt manche Felder vorschnell auszubeuten, um später auf andere umzusteigen, denn so lässt man zu viel Öl im erschöpften Feld zurück.
Laut Simmons haben die Saudis in den 1980ern die Produktion also nicht gedrosselt, um den tief gefallenen Barrelpreis stabil zu halten (so die landläufige Erklärung), sondern um den eigenen Feldern eine Erholung zu gönnen. Gleichzeitig sorgte die Erhöhung der angegebenen Reserven von rund 100 Milliarden Barrel im Jahre 1977 (das letzte Mal, dass westliche Firmen die Zahlen bestätigen konnten) auf 150 Milliarden Barrel im Jahre 1979 für Ruhe, dachten doch alle Analysten, die Saudis hätten noch viel Reserve in petto. Dann erhöhten die Saudis ihre Reserven 1982 auf 160 Milliarden Barrel, bevor Aramco 1988 diese Zahl auf 260 Milliarden Barrel erhöhte. Seitdem ist diese Zahl fast unverändert geblieben, obwohl die Saudis jedes Jahr mehrere Milliarden Barrel produzieren - 46 Milliarden seit 1988. Niemand hat seit 25 Jahren hinter die Kulissen schauen können, aber alle glauben, die Saudis hätten das Öl.
Simmons legt sehr überzeugend dar, weshalb die Saudis bald das heutige Niveau eventuell nicht mehr halten können. Er arbeitet sich von Feld zu Feld weiter und findet nirgends viel Potenzial. Sollten die Saudis bald die versprochenen 11 Millionen Barrel pro Tag nicht erreichen können, dann hat das Land bereits 1981 seinen Peak erreicht, als es rund 10,5 Millionen Barrel produzierte. Der Iran hatte nämlich nach 1979 für wenige Jahre seine Produktion fast gänzlich eingestellt, und die Saudis spielten für kurze Zeit Lückenbüßer, genau wie Anfang der 1990er im Golfkrieg, als die Produktion vom Irak ausfiel.
Man lernt in Simmons' Buch einiges über die Ölindustrie, beispielsweise, dass weltweit rund 200 Millionen Barrel Wasser pro Tag in Ölfelder gepumpt werden, um lediglich rund 80 Millionen Barrel Öl pro Tag zu fördern - das Öl schießt einfach nicht mehr so aus dem Boden wir früher. Oder dass die Saudis 800 Bohrungen haben, die USA 500.000.
Könnten die Saudis nicht irgendwann mehrere Hunderttausend kleine Bohrungen haben wie die USA und immer noch viel produzieren? Simmons glaubt es nicht, zu unterschiedlich sind die Bedingungen: Saudi-Arabien hat nicht viele kleine Felder, sondern wenige große. Aber schließlich weiß er es auch nicht, denn es ist ein Staatsgeheimnis der Saudis. Das gibt er auch offen zu.
In den letzten Monaten hat Simmons gewarnt, man müsse sich vielleicht bald an $200 pro Barrel gewöhnen. Ist er nicht einfach ein Investmentbanker, der gerne mehr Geld zur Verfügung hätte? Möglich. Aber ich habe einige polemische Weltauffassungstraktate von Amerikanern gelesen, deren ideologische Verblendung anders war als meine. Nach 400 Seiten haben ich den Eindruck, dass Simmons sicher kein Intellektueller, aber ein äußert tüchtiger Geschäftsmann ist, der sich Sorgen - aber keine übertriebene Angst - um die Zukunft dieser Welt macht. Ich glaube, dass er eine sehr gute, und vor allem ehrliche Arbeit geschrieben hat. Und ich glaube, dass er selbst am liebsten Unrecht hätte, wenn er sagt: Das Öl geht uns aus.
Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations und ist Autor des Buches Zukunftsenergien in der Telepolis-Buchreihe.