Pentagon lässt Anklagen gegen "Gitmo Six" zu
In ihrem so genannten Krieg gegen den Terror musste die Bush-Regierung in den vergangenen Wochen eine Reihe von juristischen Niederlagen hinnehmen
Zunächst hatte der frühere Chefankläger der von der US-Regierung auf Guantánamo Bay eingerichteten Militärkommissionen, der Oberst der Luftwaffe Morris Davis, sich gegen das Pentagon gewandt. Davis hatte bezeugt, dass das Verteidigungsministerium politischen Druck auf die Militärkommissionen ausgeübt hatte, Gefangene schuldig zu sprechen. Der zweite Schlag traf den Rechtsberater der so genannten „Convening Authority“ und prominentesten Wortführer der US-Regierung im System der so genannten Militärkommissionen, den Brigadegeneral der Luftwaffe Thomas Hartmann. Ein Militärrichter entschied, Hartmann im Verfahren gegen Salim Ahmed Hamdan, den angeblichen Fahrer Osama bin Ladens, von jeder weiteren Aufsichtsverantwortung zu entbinden. Navy-Kapitän Keith Allred begründete seine Entscheidung damit, Hartmann habe übermäßigen Einfluss auf die Anklage und die Politisierung der Fälle ausgeübt, in denen er zu entscheiden hatte. Trotz dieses Urteils verbleibt Hartmann aber im Amt.
Die jüngste Niederlage der Bush-Regierung betrifft den Fall des angeblichen „20. Flugzeugentführers“ vom 11. September 2001, den saudi-arabischen Staatsbürger Mohammed Al Qahtani. Das Verteidigungsministerium sah sich veranlasst, alle Anklagen gegen Al Qahtani abzuweisen. Die Entscheidung wurde vergangenen Freitag von Richterin Susan Crawford, der „Convening Authority“, bekannt gegeben. Bei dieser Instanz handelt es sich um eine Art Chefbehörde des von der Bush-Regierung eingerichteten „Offshore“-Militärtribunal-Systems. Sie entscheidet z.B. über die Zuteilung von Personal und Ressourcen sowie über die Zulassung oder Abweisung von Klagen.
Trotz der Klageabweisung kann Al Qahtani weiter unbegrenzte Zeit in Haft behalten werden, und die Militär-Ankläger können jederzeit erneut Anklage gegen ihn erheben.
Gleichzeitig bestätigte Crawford förmlich die Anklagen gegen die fünf anderen der so genannten „Gitmo Six“. Allen fünf Angeklagten droht im Falle ihrer Verurteilung durch die Militärkommissionen die Todesstrafe: Khalid Scheich Mohammed, angebliches Mastermind der Terroranschläge vom 11. September; Ramzi Binalshibb, der beschuldigt wird, ein Verbindungsmann zwischen den Flugzeugentführen und der Al-Qaida-Führung gewesen zu sein; Ammar Al Baluchi, ein Neffe von Khalid Scheich Mohammed; Mustafa Ahmad Al Hawsawi, der angebliche Assistent von Al Baluchi; und Waleed bin Attash, mutmaßlicher Ausbilder von einigen der Flugzeugentführer des 11. September.
Die fünf angeblichen Verschwörer werden unter dem Military Commissions Act angeklagt (Kongress legitimiert das von Bush eingeführte Unrechtssystem), der im Oktober 2006 erlassen wurde, nachdem der U.S. Supreme Court das zuvor von der Bush-Regierung eingerichtete System von Militärtribunalen für verfassungswidrig erklärt hatte. Die durch den MCA etablierten Militärkommissionen sind eine Parodie auf ordentliche Verfahren und demokratische Rechte. So gestatten sie z.B. die Verwendung von Beweisen, die durch Folterverhöre erlangt wurden, geheime Beweise sowie Beweise vom Hörensagen. Allen Beklagten wird zudem das Recht auf die Überprüfung ihrer Haft- und Haftbedingungen (Habeas-Corpus-Prinzip) durch ein ordentliches Gericht verweigert.
Eine Begründung für ihre Entscheidungen gab Crawford nicht. Laut einer namentlich nicht genannten Quelle des Wall Street Journa soll Crawford jedoch „einen tatsächlichen Unterschied im Grad der Schuld“ zwischen Al Qahtani und den anderen Gefangenen gesehen haben. Anders als Al Qahtani waren die fünf, deren Verfahren nun bevorstehen, jahrelang in geheimen CIA-Gefängnissen gefangen gehalten worden, bevor sie im Herbst 2006 nach Guantánamo überstellt wurden (US-Präsident Bush bestätigt und rechtfertigt die geheimen CIA-Gefängnisse und die Verhörmethoden). Al Qahtani hingegen war kurz vor den Anschlägen vom 11. September 2001 die Einreise in die USA verweigert worden, er wurde dann während der US-Invasion in Afghanistan gefangengenommen und nach Guantánamo Bay überstellt. Dort wurde er im Jahr 2002 auf Anweisung des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld gefoltert. Seine Folterung war ein früher Test für das, was die US-Administration euphemistisch als „verbesserte Verhörtechniken“ bezeichnete.
Die Bush-Administration hat öffentlich zugegeben, dass die CIA Waterboarding – eine notorische Foltertechnik, bei der das Opfer zu ertrinken glaubt – an drei Gefangenen, einschließlich Khalid Scheich Mohammed, angewendet hat.
Zwar gehört Al Qahtani nicht zu den Gefangenen, bei denen die US-Regierung die Anwendung von Waterboarding eingeräumt hat. Ein im Jahr 2006 freigegebenes Verhör-Tagebuch dokumentiert jedoch andere brutale Formen von Folter und Misshandlung, einschließlich langwährender (Isolations-)Haft, Schlafentzug, der Bedrohung mit Hunden, sowie der Anwendung extremer Temperaturen, sensorischer Angriffe (Lärm, Licht auch bei Nacht). Al Qahtani wurde außerdem 48 Tage lang bis zu 20 Stunden täglich verhört, zum Tragen von Frauenkleidern gezwungen und wie ein Hund an einer Leine herumgeführt.
Seine Folterung begann, nachdem der damalige Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Anwendung missbräuchlicher Verhörmethoden gegen Gefangene auf Guantánamo Bay ausdrücklich autorisiert hatte. Laut einer internen Untersuchung unter der Leitung von Randall Marc Schmidt (Schmidt-Report), einem Generalleutnant der US-Luftstreitkräfte, die 2006 publik wurde, war Rumsfeld „in die Befragung“ von Al Qahtani sogar „persönlich involviert“. Das Memo nannte die Befragung „missbräuchlich und erniedrigend“, vermied aber das Wort „Folter“. Klartext hingegen kam nun von Al Qahtanis Militärverteidiger Oberstleutnant Bryan Broyles. Gegenüber dem Wall Street Journal sagte er: „Die Beweise der Regierung wurden durch Folter gewonnen. Ich sage dies offen und ohne Einschränkung.“