Per Mausklick in die Cyber-Kirche

In Großbritannien öffnete die erste virtuelle Kirche ihre Pforten

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Die erste Cyber-Kirche des World Wide Web startete kürzlich von Großbritannien aus ins Netz. Ihr Name: Church of Fools. Ihr Schöpfer: Simon Jenkins, Herausgeber des christlich-satirischen Online-Magazins Ship of Fools. Ihre Paten: Buster Keaton, Monty Python und die Marx Brothers.

Anonym ist man in der Online-Kirche etwas nebulös vorhanden

Die Idee, eine Online-Kirche ins Netz zu stellen, ist zwar nicht völlig neu. Seit sechs Jahren läuft ein ähnliches Projekt in Deutschland augenscheinlich mit Erfolg: die Cyber-Kirche Sankt Bonifatius, gelegen in Funcity, einer virtuellen Stadt im Internet. Neu beim "Church of Fools"-Projekt sind ihr Entstehungshintergrund und die Verpackung. Die britische Cyber-Kirche gibt es - Flash sei Dank - als interaktive 3D-Erlebniswelt. Echte Geistliche und reale Gottesdienste inklusive.

Mit dem "Narrenschiff" unterwegs

Kirche und Humor schließen sich nicht aus, meint Simon Jenkins, Initiator des "Church of Fools"-Projekts und Herausgeber des satirischen Online-Magazins "Ship of Fools". Wenn es darum geht, kirchenkritische Versionen der Guten Botschaft unters Volk zu bringen, beschreitet er gern ungewohnte Wege. Inspirieren lässt er sich dabei vom anarchischen Humor der Monty-Python-Truppe, von Buster Keaton und von den Marx Brothers. So schrieb Jenkins in seinem Online-Magazin unlängst einen Wettbewerb zur Erweiterung der zehn Gebote aus. Vorschläge für ein elftes Gebot kamen zuhauf, darunter so lebensnahe wie "Du sollst nicht begehren deines Nächsten iPod".

Technischer Vorläufer der Cyber-Kirche "Church of Fools" war das populäre, flashbasierte 3D-Online-Spiel The Ark. Die Spielregeln waren einfach. Zwölf biblische Figuren, die Jenkins auf Noahs Arche verpflanzt hatte, wetteiferten darum, von den "Ship of Fools"-Lesern nicht aus der Arche herausgewählt, sprich: über Bord geschubst zu werden. "Big Brother" ließ ganz herzlich grüßen.

Die subversive Kraft des Lachens

Auch an einem Vormittag unter der Woche ist im Unterschied zu den wirklichen Kirchen die "Chruch of Fools" gut besucht

Es gibt keinen Grund, warum man nicht auch über kirchliche Themen lachen sollte, sagt Simon Jenkins, obwohl ihm klar ist, dass er sich mit seinem schrägen Humor in Kirchenkreisen nicht überall nur Freunde macht. Lachen sei für manche Leute eben gefährlich, meint Jenkins. Es entfalte subversive Kraft, entlarve falsche Autoritäten und reduziere sie auf menschliches Mittelmaß. Totalitäre Herrscher wie Hitler und Stalin ließen Satire und Kabarett verbieten, weil sie die subversive Kraft des "Lachens" fürchteten. Entsprechendes habe für Päpste, Bischöfe "und all die anderen christlichen Primadonnen" gegolten, die sich selbst ernster genommen hätten als Gott.

Am besten lasse es sich aber immer noch über unfreiwillige Komik lachen. "Es gibt eine Reihe von Gottesdienstliedern, die von Leuten geschrieben wurden, denen im Gehirn ein Detektor fehlt, der bei sexuellen Zweideutigkeiten Alarm schlägt", sagt Jenkins. Ein Paradebeispiel sei jenes Kirchenlied, das mit der eindeutig zweideutigen Zeile beginne: "Jesus, take me as I am, I can come no other way."

Zielgruppe ist die Generation X-Box

"Ship of Fools", das "Magazin für christliche Unruhe" - so der Untertitel - hat pro Monat gut 80.000 Besucher und stolze zwei Millionen Seitenaufrufe. Zielgruppe sind die 20- bis 30-Jährigen, die Generation X-Box, die der Kirche aus den verschiedensten Gründen den Rücken gekehrt hat.

In der Krypta geht es zumindest unter der Woche am meisten zu

Der dumpfe Konservativismus der meisten christlichen Zeitschriften langweilt uns. Unsere Anhänger und Mitarbeiter sind so wie wir, Menschen, die sich auf gewöhnlichen Kirchenbänken nicht wohl fühlen.

Müssen sie jetzt auch nicht mehr. Zum Gottesdienst geht's ab sofort in Jenkins "Church of Fools", einer Cyber-Kirche, die keine harten Kirchenbänke kennt und vom bequemen Schreibtischsessel per Mausklick zu erreichen ist. Das Projekt, das zunächst für eine Laufzeit von drei Monaten geplant ist, ist trotz ihres skurrilen Entstehungshintergrundes durchaus ernst gemeint und wird von der methodistischen Kirche Großbritanniens finanziell unterstützt.

Willkommen in der Cyber-Kirche

Wer sich in den virtuellen Welten von Computerspielen auskennt, fühlt sich in der "Church of Fools" gleich wohl. Den virtuellen Gottesdienstbesucher erwartet eine interaktive, flashanimierte 3D-Welt. An der Kirchentür erhält er einen Avatar, eine Comicfigur, die er per Maus durch das Kirchenschiff navigieren kann. Die virtuellen Gottesdienstbesucher können miteinander oder mit dem Geistlichen sprechen, zum Gebet niederknien, der Predigt zuhören und sich anschließend in der Krypta zum gemütlichen Chat über Gott und die Welt oder zum gemeinsamen Gebet verabreden. Die Predigt wird von einem realen Geistlichen gehalten, der seinen Avatar per Tastatur "predigen" lässt und sämtliche Gottesdiensthandlungen per Maussteuerung vornimmt. Selbstverständlich gibt es auch einen virtuellen Klingelbeutel, den man aber nicht mit virtueller Währung, sondern per Kreditkarte mit realer Münze füllen kann.

Entworfen und "gebaut" wurde die "Church of Fools" übrigens von der Londoner Firma Specialmoves, die schon Jenkins Flash-Spektakel "The Ark" und interaktive Flash-Webseiten für den Musiksender MTV ("The Osbournes"), für Vivendi Universal oder für VW realisiert hat.

Wegen Überfüllung zeitweilig geschlossen

Richard Chartres, anglikanischer Bischof von London, war der erste Geistliche, der in der "Church of Fools" predigen durfte, und er war der Erste, dessen Predigt gleich massiv gestört wurde. Ein Avatar namens "Anonymous" meldete sich während der Predigt mehrfach "lautstark" zu Wort und wurde von den Moderatoren der Webseite kurzerhand hinausgeworfen. "Mit Leuten, die unsere Kirche missbrauchen, gehen wir ein wenig alttestamentarisch um", kommentierte Jenkins diesen Vorfall. Für eine dauernde Kontrolle durch menschliche Moderatoren fehle es an Geld. Man prüfe aber bereits eine Filtersoftware, die anstößige Worte automatisch durch "Amen" oder "Halleluja " ersetzt, fügt Jenkins augenzwinkernd hinzu.

Richard Chartres, der Bischof von London, mit seinem Avatar

Geldmangel hat darüber hinaus bewirkt, dass derzeit nur zwanzig aktive Avatare die Kirche gleichzeitig bevölkern können. Zusätzlich können sich etwa fünfhundert "ghost visitors" im virtuellen Gotteshaus aufhalten. Sie können einander aber nicht sehen und auch nicht miteinander kommunizieren. Man hoffe, die Zahl der aktiven Avatare künftig erhöhen zu können, wisse aber, dass irgendwann schon aus technischen Gründen eine Grenze erreicht sei. Das hat Jenkins Cyber-"Church of Fools" mit der realen Offline-Konkurrenz gemein, wenn man auch selten hört, dass eine Kirche ihre Tore wegen Überfüllung schließen muss.

Webpfarrer noch immer gesucht

Den offiziellen Segen der britischen Kirchenoberen hat das Projekt bisher noch nicht. Dennoch ist sich Jenkins sicher, dass ihm die Amtskirche keine Steine in den Weg legen wird. So hat sich etwa der Erzbischof von Canterbury Rowan Williams erst kürzlich für neue Gottesdienstformen stark gemacht, und die Diözese von Oxford plant sogar eine eigene virtuelle Kirche.

Dabei will man offenbar andere Wege als Jenkins gehen und auf flashgestützte Computerwelten ganz verzichten. Man habe sich zwar noch nicht für ein bestimmtes Modell entschieden, erklärte Reverend Richard Thomas, der in der Diözese Oxford für das i-Church genannte Projekt zuständig ist. Man werde aber für das WWW eine virtuelle Kirchengemeinde mit eigenen Rechten einrichten und einen Pfarrer aus Fleisch und Blut einstellen, der ausschließlich für die Betreuung seiner Web-Schäfchen zuständig sein soll. In dieser virtuellen Kirchengemeinde werden die Gläubigen via Webchat oder Instant Messaging miteinander kommunizieren können. Möglich sei auch, Gottesdienste per Video-Stream zu übertragen. Einzelheiten und ein konkreter Zeitplan stehen aber noch nicht fest. Und einen Online-Pfarrer für die Webgemeinde hat die Diözese auch noch nicht (Webpfarrer für virtuelle Kirche). Nach dem wird nun bereits seit über einem Jahr gesucht.