Pershing II in Deutschland: Die Kosten des Kalten Krieges und die Suche nach Frieden

Pershing II. Bild: United States Army / Public Domain

Als Gorbatschow die Vernichtung aller Atomwaffen vorschlug. Zur Geschichte der nuklearen Bedrohung, des Widerstandes in Mutlangen und des INF. Der Nato-Doppelbeschluss (Teil 2 und Schluss).

Wie im Beschluss vom Dezember 1979 festgelegt, begann die Nato Ende 1983 mit der Aufstellung von Pershing II-Raketen und Cruise Missiles BGM-109 Tomahawk. Die Pershing II sollten nur in der Bundesrepublik Deutschland disloziert werden.

Folgende Stationierungsorte waren dafür vorgesehen: Schwäbisch Gmünd/Mutlangen, Heilbronn/Neckarsulm und Neu-Ulm.

Dies waren auch die bisherigen Stationierungsorte der amerikanischen Pershing Ia-Verbände. Eine besondere Stellung nahm dabei der Stationierungsort Mutlangen ein.

Er wurde jahrelang Schauplatz von Auseinandersetzungen zwischen Friedensbewegung, Militär und Polizei. Prominente, Senioren, Mütter und sogar Richter – kein Wochenende in Mutlangen verging ohne eine Protest- oder Blockadeaktion.

Die Stationierung in Mutlangen: Ein makabrer Vergleich

Die Mutlanger Heide hatte bis dahin schon eine lange militärische Tradition. Schon ab dem frühen 19. Jahrhundert wurde die Region als Exerzierplatz genutzt. Im Rahmen der Aufrüstung während der Naziherrschaft wurde das Gelände wesentlich erweitert und auch als Militärflugplatz genutzt, allerdings noch ohne eine befestigte Startbahn.

Im Zuge des amerikanischen Vormarsches gab es im April 1945 einige Luftangriffe auf das Militärgelände bei Mutlangen, bei dem es Tote und Verletzte gab. Sieben Tote und sieben Schwerverletzte forderte dieser Luftangriff in den letzten Kriegstagen 1945.

Ein makabrer Vergleich drängt sich hier auf: Wäre jemals eine Atomwaffe in Mutlangen zum Einsatz gekommen, hätte beispielsweise der Einschlag eines 500 Kt-Sprengkopfs einer sowjetischen SS-12 nach Einschätzung von Nukemap über 37.000 Tote und rund 30.000 Verletzte gefordert.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war es vorübergehend ruhig und das ehemalige Militärareal wurde als Ackerland für den Gemüseanbau genutzt. Anfang der 1950er-Jahre war es jedoch vorbei mit der landwirtschaftlichen Ruhe.

Aufrüstung in den 1950er-Jahren

Die amerikanische Besatzungsmacht begann im Gefolge des Korea-Krieges und der neugeschaffenen Nato mit einem umfassenden Aufrüstungsprogramm in Deutschland. Ehemalige Kasernen und Gelände für Übungsplätze und andere militärische Infrastruktur wurden akquiriert.

Als ehemalige Garnisonsstadt blieb auch Schwäbisch Gmünd und Umgebung von diesen Maßnahmen nicht unberührt. In der Stadt selbst wechselten die Bismarck- und die Adolf-Hitler-Kaserne den Besitzer, wobei letztere natürlich auch einen neuen Namen (Hardt-Kaserne) bekam.

Im Raum Bettringen-Waldstetten wurden 380 Hektar Land für ein Munitionsdepot enteignet und auch die Mutlanger Heide sollte wieder einer militärischen Nutzung zugeführt werden.

1953 errichteten die Amerikaner dort ein Airfield mit einer befestigten Start- und Landebahn von knapp 700 Meter Länge. Die dort stationierte Flugzeuge waren überwiegend kleine, propellergetriebene Kurier- und Beobachtungsflugzeuge zur Unterstützung der Artillerie-Einheiten in der Stadt. Bevölkerung und Militär arrangierten sich und koexistierten ohne größere Probleme miteinander.

Unruhe und Protest

Unruhe und Protest kamen nur gelegentlich auf: Einmal als der Zustand der Zufahrtsstraße (Hornberger Straße) immer schlechter wurde und sich die Amerikaner weigerten, diese zu reparieren. Auch 1956 gab es noch einmal Unruhe, als in der Nordostecke des Areals ein Munitionsdepot gebaut werden sollte.

Dass es sich dabei um ein sogenanntes Typ-J-Depot handelte, also eines zur Unterbringung von Nuklearwaffen, wurde geflissentlich verschwiegen.

Die Proteste des lokalen Behörden wurden beiseite gewischt und die beiden Bunker gebaut. Anfangs dürften dort nukleare Sprengköpfe für die in Schwäbisch Gmünd stationierten Honest John- und Sergeant-Raketen gelagert worden sein und mit der Stationierung der Pershing I in Schwäbisch Gmünd 1964 wurden dort vermutlich die dazu gehörenden Sprengköpfe eingelagert.

Selbst als in Mutlangen Pershing I und Ia ihre Aktivitäten und Übungen entfalteten, blieb das Verhältnis von Anwohnern und Militär weitgehend entspannt.

Der Anfang: Lastwagen aus Ramstein

Das Gelände war nicht einmal eingezäunt und konnte von jedermann betreten werden. Das änderte sich erst mit der heraufziehenden Nachrüstung mit Pershing II-Raketen. Erst zu Beginn der 1980er Jahre wurden ein Doppelzaun und Wachtürme errichtet und das Gelände hermetisch abgeriegelt.

Dies war jedoch erst der Anfang: Am 25. November 1983 – drei Tage nach der Bundestagsentscheidung – trafen in der Nacht auf acht Sattelschleppern die ersten Pershing II-Raketenteile aus Ramstein kommend in der MSA Mutlangen (Missile Storage Area) ein. Ein Konvoi aus 12 Sattelschleppern brachte am 29. November wiederum in der Nacht weitere Pershing II-Raketenteile nach Mutlangen.

Im neuen Jahr 1984 ging es rasant weiter, vorwiegend per Lufttransport. Der Spiegel berichtete in einer Reportage über die Pershing II in Baden-Württemberg von 50 Einflügen des Transporthubschraubers Chinook zwischen Januar und Juli – beladen mit Pershing II-Containern.

Pershing II-Raketen in Europa: "Es gibt kein Zurück mehr"

Zum Jahresbeginn 1984 war – wie von der Nato geplant – in Mutlangen die erste Pershing II-Batterie mit 9 Raketen einsatzbereit. In Großbritannien waren zu diesem Zeitpunkt am Standort Greenham Common die ersten Cruise-Missile ebenfalls einsatzbereit.

Am 20. Januar 1984 gab die DDR als Reaktion auf die Nato-Aktivitäten die Aufstellung von sowjetischen Atomraketen vom Typ SS-22 und SS-23 bekannt.

Weitere Raketen dieses Typs wurden in der CSSR disloziert. Laut eines Berichts aus dem Friedenscamp von Mutlangen rückte am 7. Februar 1984 ein Konvoi mit 4 Raketen von Mutlangen zu einem ersten Manöver der neuen Pershing II in ein Waldgelände bei Straß bei Ulm aus. Die Botschaft war klar: Es gibt kein Zurück mehr.

Die Kosten

Die Kosten für die Stationierung der Pershing II und Cruise Missile in Europa beliefen sich laut eines dpa-Berichts zu diesem Zeitpunkt auf 540 Millionen DM. Der Anteil für den Bereich der Bundesrepublik betrug rund 135 Millionen DM.

Diese Zahlen nannte die Bundesregierung als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Ab dem 10. April 1984 war in Mutlangen auch die zweite Pershing II-Batterie einsatzbereit. Die Sowjetunion verlegte ab Mitte Mai weitere Raketen in die DDR und in die CSSR. Die Rüstungsspirale drehte sich munter weiter.

Im Standort Heilbronn tauchten die ersten Pershing II-Raketen laut eines Berichts der Zeitschrift Stern Anfang August auf.

Deutschland, Belgien und die Niederlande

Nach einer Meldung der Washington Post waren am 9. Oktober 1984 insgesamt 45 der geplanten 108 Pershing II-Raketen in der Bundesrepublik aufgestellt. Nach dem Bericht war zu diesem Zeitpunkt das erste Pershing II-Bataillon in Schwäbisch Gmünd vollständig ausgerüstet.

In der zweiten Märzhälfte begann auch Belgien mit der Stationierung von CM. 16 der insgesamt 48 Marschflugkörper sollen auf dem Luftwaffenstützpunkt Florennes stationiert werden. Schon vor der Jahreswende waren 800 US-Soldaten nach Florennes verlegt worden.

Nur wenige Stunden nach Bekanntgabe des entsprechenden Beschlusses der belgischen Regierung wurden am 16. März 16 CM nach Florennes gebracht.

Das niederländische Parlament stimmte am 28. Februar 1986 mit 79 zu 70 Stimmen der Stationierung von 48 CM in den Niederlanden zu. Die Stationierung sollte allerdings erst im Jahr 1988 beginnen.

Das Bonner Verteidigungsministerium bestätigte am 29. März, dass die ersten von 96 Cruise-Missiles im Hunsrück einsatzbereit sind.