Personalnot in Psychiatrien: Patientensicherheit in Gefahr

Symbolbild: Antidepressiva

Medikamente helfen nicht immer. Durch überfordertes Personal in Psychiatrien kann oft nicht einmal Gewaltfreiheit gewährleisten. Symbolbild: Pixabay Licence

Weniger Personal bedeutet mehr Gewalt. Dennoch erfüllt mehr als die Hälfte der Psychiatrien die Mindestvorgaben nicht. Warum Sanktionen noch nicht greifen.

Ausreichend Personal in den Psychiatrien ist nach Einschätzung der Gewerkschaft ver.di eine Voraussetzung, um Gewalt in den Einrichtungen zu vermeiden – sonst könnten manche Patientinnen und Patienten sie traumatisierter verlassen, als sie eingeliefert wurden. Sei es aufgrund von Gewalt durch andere psychisch Kranke oder durch überfordertes Personal.

Eine Folge ist, dass Betroffene zum Teil nie wieder in die Psychiatrie wollen und Angehörige in Krisensituationen sich dagegen entscheiden, sie einweisen zu lassen.

Zwangsfixierung in der Psychiatrie: Trauma statt Hilfe?

Die oft zusätzlich traumatisierende Zwangsfixierung in der Psychiatrie muss zwar seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor sechs Jahren von einem Arzt oder einer Ärztin angeordnet werden und steht unter richterlichem Vorbehalt.

"Grund für eine Fixierung ist ausschließlich Eigen- oder Fremdgefährdung, die mit anderen Maßnahmen nicht verhindert werden kann", betont die Deutsche Stiftung Patientenschutz.

In der Praxis sei es aber schwierig, auf die richterliche Genehmigung zu warten, wenn das Personal "unmittelbare Gewalt" fürchten müsse, befand damals unter anderem der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Weissenau, Tilman Steinert, in einem Interview mit der Zeit.

Weniger Psychiatrie-Personal, mehr Gewalt

Bereits im Jahr nach dem Urteil ergab eine ver.di-Umfrage unter Psychiatrie-Beschäftigten, dass Patienten aufgrund schlichter Personalnot öfter mit Gurten festgeschnallt werden müssten als nötig.

Seither hat sich die personelle Situation kaum verbessert: Mehr als die Hälfte aller psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland verfehlt die geltenden Mindestvorgaben für die Zahl therapeutischer Fachkräfte.

Das geht aus aktuellen Zahlen des zuständigen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG), hervor, über die am Sonntag das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) berichtete.

Mehr als die Hälfte der Psychiatrien erfüllt Vorgaben nicht

Demnach erfüllten im vierten Quartal 2023 von 755 Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie 387 die Vorgaben zur Personalbesetzung nicht, das entspricht einem Anteil von 51 Prozent. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie verfehlten 165 von 296 Einrichtungen die Vorgaben –was sogar einem Anteil von 56 Prozent entspricht.

Kritik kam bei dieser Gelegenheit auch vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen:"Eine Behandlung mit zu wenig Personal gefährdet die Patientensicherheit und verzögert die Genesung von schwer psychisch erkrankten Menschen", sagte Verbandschefin Doris Pfeiffer dem RND.

Richtlinie zur Personalausstattung der Psychiatrien von 2019

Am 19. September 2019 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen die Richtlinie über die Personalausstattung in psychiatrischen, pychosomatischen und kinder- und jugendpsychiatrischen Kliniken beschlossen.

Demnach müssen Kliniken der Psychiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychosomatische Abteilungen von Krankenhäusern bei der personellen Besetzung ihrer Stationen konkrete Vorgaben erfüllen.

Übergangsfrist für Sanktionen verlängert

Bei Nichteinhaltung der seit Anfang Januar 2020 geltenden Vorgaben sind auch Sanktionen möglich. Übergangsregelungen galten zunächst für vier Jahre und sollten Anfang dieses Jahres auslaufen, sie wurden allerdings verlängert und die Sanktionen reduziert.

Betroffene Kliniken müssen demnach erst ab Januar 2027 die Personalvorgaben zu 95 Prozent erfüllen – und nicht 2024. Eine hundertprozentige Umsetzung der Mindestpersonalvorgaben wird ab 2029 statt ab 2026 erwartet.

Potenziell betroffen sind immer mehr Menschen in Deutschland: Die Zahl der Arbeitsausfälle wegen psychischer Erkrankungen ist im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2022 um mehr als ein Fünftel gestiegen. Das berichtete die DAK-Gesundheit im März dieses Jahres nach der Auswertung der Daten von 2,4 Millionen Erwerbstätigen aus dem Gesamtjahr 2023.