Persunalunion

Vom Staat und seinen Kuratoren

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Als in anderen europäischen Ländern die Kunstförderung bereits radikal gekürzt wurde, tat sich Österreich immer noch als spendabler Kunstförderer hervor, richtete einen eigenen Beirat für Medienkunst ein und installierte das System der "Staatskuratoren". Dies trug u.a. zu einer florierenden zeitgenössischen Szene junger Künstler in Wien bei, jedoch zum Preis einer fast völligen Abhängigkeit der Kunstschaffenden vom Staat. Markus Huemer analysiert die Lage nach vier Jahren Staatskuratorenschaft.

Podium mit Minsiter Scholten

Diese ministerielle Übertragung von Verantwortung an eine subjektive, nicht an Kompromisse gebundene Entscheidungskompetenz muß naturgemäß umstritten sein. Die Position des Bundeskurators ist eine expositionierte, nicht zuletzt bedingt durch die in Österreich besonders ausgeprägte Kulturhegemonie des Staates und die dadurch über Jahrzehnte genährte Pfründewirtschaft und Staatsfixiertheit von Kulturschaffenden.

Markus Brüderlin

So beginnt Markus Brüderlin, einer der beiden österreichischen Kunstkuratoren des Bundesministers fuer Wissenschaft, Kunst und Verkehr der Jahre 1994 - 1996 seinen Abschlußbericht und bringt das Dilema der österreichischen Kunstszene auf den Punkt.

Spätestens die Kunst des anarchistischen Wiener Aktionismus der 60er und 70er hatte das Ziel, den Staat als politisches und syntaktisches Machwerk zu entlarven. Und spätestens seit dieser Zeit wird der Versuch nach bewährter avantgardistischer Manier unternommen, ein Gesellschaftssystem einschließlich seiner Staatskunst aus der Fassung zu bringen. Was allerdings all diese Künstler und die nachfolgenden Künstler mit selbiger Vorgangsweise unweigerlich wiederrum in der Staatskunst enden ließ. Oder die Folge war ein Lebensschicksal im ständigen Hadern mit diesem omnipräsenten Kunstbetrieb rund um den Staat. Das zentrale Thema Kunstimpresario Staat zeichnet die österreichische Kunst und deren Diskurs seit je her aus.

Kunstraum Wien

1992 übertrug der in Kunstkreisen als progressiv verstandene Bundesminister Scholten erstmals Robert Fleck und Cathrin Pichler das Amt der Staatskuratorenschaft. Subjektiv und nicht an Kompromisse gebunden sollten sie auf Basis ihrer individuellen Entscheidungskompetenz das zeitgenössische Kunstleben ankurbeln und mehr internationalen Austausch herstellen. Die Bundeskuratoren sollten parallel zur ministeriellen Kunstförderung (Beiratsförderung) eine vom Staat losgelöste Kunstdebatte und Kunstproduktion nach internationalem Vorbild entfachen. Hierzu stehen jedem Bundeskurator 15 Millionen Schilling (ATS, ca. 2 Mill. DM - Anmkg.) pro Jahr zur Verfügung. Der Ansatz, die österreichische Kunstszene so aus der internationalen Isolation herauszuführen, war richtig. Rainer Metzger stellte in der österreichen Tageszeitung Der Standard hierzu fest, daß Persönlichkeiten nötig sind, Pfade durch den Dschungel gegenwärtiger Kunstproduktion zu schlagen und für diese Wegbereitung auch persönlich geradezustehen...

Brüderlin erkannte seine Situation der autonomen Entscheidungskompetenz und begriff sie als Möglichkeit, über die Gesamtheit des Kunstbetriebs nachzudenken und entsprechend in vielen Bereichen, angefangen von der Direktförderung von Künstlern bis zur Vermittlung und Archivierung, exemplarische Maßnahmen zu setzen. Die Grundstrategie im Gegensatz zur bestehenden passiven Einzelprojektförderung, gemeint ist die ministerielle Förderung, besteht in einer aktiven Strukturarbeit, die auch das Umfeld der Kunstproduktion mit einbezog und die ein professionelles Bewußtsein für die Notwendigkeit der strukturellen Ausdifferenzierung des Kunstbetriebes förderte.

Mit der Ausdifferenzierung des Kunstbetriebs ist wohl die Ausdifferenzierung eines erst zu etablierenden autonomen Betriebes - mit, besser: durch eventueller Anbindung an den internationalen Kunstmarkt?? - und dieses Staatskunstbetriebes gemeint. Brüderlin selbst zitiert für sein Vorhaben den Schriftsteller Robert Menasse: Die Rolle des Adressaten der Kunst hat in Österreich (in Ermangelung einer kunstinteressierten Öffentlichkeit von relevanter Größe und aufgrund des Fehlens eines funktionierenden Kunstmarktes) der Staat übernommen - als alleiniger potenter Förderer, Käufer, Vermittler, Initiator, Vermarkter et cetera. Das ist der Grund, warum österreichische Künstler auf den Staat so fixiert sind, daß sie gar nicht anders können, als sich zu einer Persunalunion von Staatsfeind und Staatskünstlern zu entwickeln.

Knowbotic Research im Kunstraum

Ein Blick in den Kunstbericht des Ministeriums über dessen gesamte Förderungstätigkeit gibt weitere Aufschlüsse. Dort sind auf circa 300 Seiten minutiös aufgelistet: Einzelförderungen wie Projekt-, Arbeits-, und Staatsstipendien, Katalog-, und Publikationszuschüsse, Veranstaltungskostenbeiträge beziehungsweise strukturenerhaltende und -schaffende Zuwendungen wie z.B. Förderungen von Galerien, Kulturkontakten, Kulturinitiativen, Kunstzeitschriften. Die Zuwendungsarten unterscheiden sich nicht sehr von denen der Bundeskuratoren. Die Zuwendungskriterien sind im Prinzip dieselben. Auf der einen Seite sind es eben die Bundeskuratoren und auf der anderen Seite sind es installierte Beiräte (3 - 5 Personen), welche nach subjektiven, persönlichen Vorlieben über die Vergabe entscheiden. Strukturelle Förderung wird genauso betrieben wie Einzelförderung. Was die Bundeskuratoren allerdings von den Förderungen der Ministeriumsabteilungen (I - XII) unterscheidet, ist die multiple, grenzüberschreitende, kreative Form dessen, was als förderungswürdig befunden wird. Ideen zur Grenzüberschreitung bei der Subventionseinreichung am Ministerium zu entwickeln, war bisher immer noch Sache des Antragstellers (meist des Künstlers). Der Förderungsphantasie in Österreich - ein ewiger Modebegriff ist "interdisziplinär" - war diesbezueglich aber noch nie Grenzen gesetzt. Not macht eben erfinderisch.

Nicht daß die Aktivitäten der Bundeskuratoren keinen Wert darstellen, keine substantielle Qualität hätten. Der Katalog des vom Bundeskurator Brüderlin ins Leben gerufenen und betriebenen Kunstraumes liest sich wie ein Kunstmärchen aus Tausend und einer Nacht. Die Veranstaltungen mit internationaler Besetzung waren von feinster Erlesenheit und thematisierten auf sehr hohem Niveau diese strukturellen politischen und gesellschaftsrelevanten Bezüge. Erwähnt sei hier nur exemplarisch die Luhman-Veranstaltung. Auch wird hier nicht behauptet, daß nur eines der stattgefundenen Projekte oder Unternehmungen zu unrecht den Vorzug gegenüber abgelehnten Projekten bekommen hätte. Ganz im Gegenteil. Bloß es ist wie es ist: Eine um 30 Millionen ATS zusätzlich geförderte Staatskunst (Der Kunstbericht der Bundeskuratoren ist ja auch Bestandteil des Kunstberichtes des Bundesministeriums); Gelder, die nicht durch unabhängige Juroren verteilt sind, sondern durch einen Staatskurator. Mit all den damit verbunden Repressalien, Querelen und Darstellungsmechanismen in der Öffentlichkeit. Oder ums nochmals mit Rainer Metzger ins Positive zu formulieren: Nun belebt Konkurrenz - und die machen sich diese Orte und Organe über alle Maßen - das Geschäft, und der Dissens ist das Elixier der Kunst.

Was bleibt, ist der Gedanke, daß Staat Österreich Millionen in die Subkultur via unabhängiger Kuratoren steckt, und sich somit des ungeliebten, allgegenwärtigen Imperativs "Staatskunst" entledigt, und insgeheim hofft, daß die Selbstdarstellung auf ihre Rechnung kommt. Die Rechnung geht auf. Ein zweiter Blick in den Kostenindex und in den Veranstaltungskalender zeigt: Mit wenigen Ausnahmen ging das meiste Geld für aufwendige repräsentative Veranstaltungen renommierter ausländischer Künstler und Akteure generell, beziehungsweise für Distribution und Rezeption auf. Beispiel: Gerhard Richter an der Fassade der Kunsthalle. Angesichts dieser überdimensional angelegten Arbeit drängt sich der weitere Gedanke auf, daß das Vertrauen in die heimische Produktion nicht sonderlich groß ist. Anstatt mit solchen Geldern die oben besprochenen strukturellen Begebenheiten vor Ort oder die österreichische Kunstproduktion - eventuell fuer Präsentationen im internationalen Kontext - zu fördern, wird am Karlsplatz, dem urbanen Blickfang in Wien schlechthin, Nabelschau betrieben. Sicherlich wird man dem entgegenhalten, daß private Sponsoren dies mitgetragen haben (und sich gleich selbst mitdarstellten). Aber warum sind dann dieselben Sponsoren nicht dafür zu gewinnen, daß Gelder dieser Größenordnung in den Aufbau eines Strukturnetzes mit dem internationalen Kunstbetrieb, östereichischer Sammlungen von Gegenwartskunst und in die künstlerische Produktion heimischer Künstler fließen?

Auch die zweite Bundeskuratorin der Jahre 1994 - 1996, Stella Rollig, ist vor dem Problem der Staatskunst nicht gefeit. Wenngleich die von Stella Rollig geförderten Aktivitäten viel weniger auf Repräsentation als mehr auf Strukturverbesserung und Kunstproduktion, auf eine lebendige Kunstszene abzielten. Mit Ihrem Kunstdepot schuf sie einen innovativen Platz für Subkultur und Informationsaustausch, organisierte oder übernahm Ausstellungen, die sich in der Kunstwelt langsam als wichtige Ausstellungen der 90er Jahre herauskristallisieren und förderte vor allem gewagte Vorhaben und die Medienkunst. Bezeichnenderweise fiel ihr Kunstberichtskatalog um einiges unprätentiöser, aber dafür nicht uninformativer aus.

Kritikfähigkeit und der Glaube an Veränderung durch die Kunst ist ein wesentliches künstlerisches Kalkül. Zwei Beispiele autonomer Kunstvermittlung und Kunstförderung in Österreich wären da eher Peter Weibel und Sylvia Eibelmayer. Dem Problem, Staatsgelder zu verteilen und somit Staatskunst zu produzieren, können auch sie nicht entrinnen. Bloß ist der Umgang damit ein anderer. Sie "entwenden" dem Staat die Gelder, um unentwegt eine Ausstellungstätigkeit neuer, progressiver und mitunter unliebsamer Gegenwartskunst zu forcieren. Beide sind ständig an programmatischer Kunst interessiert. Beide sind bekannt dafür, junger Kunst immer wieder Foren internationaler Relevanz zu offerieren. Stadt, Land, Bund treten als Geldgeber in den meisten Fällen weitestgehend in den Hintergrund. Weibel versuchte schon als junger Künstler der Aktionismusbewegung, die österreichischen Systeme zivilsatorischer Prozesse zu analysieren und zu dekonstruieren. In seinem jüngst erschienen Buch Quantum Daemon attestiert er Österreich einen Kulturzentralismus und führt diesen auf vier Gruende zurück:
1. Die Vertreibung der Vernunft (Wissenschaftler, Künstler, Journalisten etc.) infolge einer antisemitischen Haltung in den 20er, 30er und 40er Jahren. Diese geistigen Kapazitäten wurden später auch nicht mehr zurück geholt.
2. Der österreichische Kulturzentralismus, der den Landesgalerien das Sammeln von ausländischer Kunst untersagt. Landesgalerien sind also per Staatsdekret zur Provinzialität verdammt. Faktisch sammelt in Österreich nur das Museum Moderner Kunst in Wien internationale Gegenwartskunst.
3. Ein Gesetz aus dem Jahre 1918, welches besagt: Die Ausfuhr jedweden Kunstgegenstandes aus Österreich ist verboten, Ausnahmen bewilligt das Bundesdenkmalamt.
4. Fehlende steuerliche Anreize zum Sammeln von Kunst wie dies in anderen, marktwirtschaftlich orientierten Ländern, üblich ist.

Als Kurator, Biennalekommissär des Staates Österreich, Leiter der Landesgalerie Graz, künstl. Direktor der Ars Electronica, Professor an mehreren Universitäten, - die Liste der institutionellen Errungenschaften ließe sich noch weiterführen - bewegt Peter Weibel in diesen Institutionen diese frühen künstlerischen, aktionistischen Bemühungen nur all zu konsequent weiter. Institutionelles ist heute eben nur noch da, um es zu unterlaufen, um damit zu operieren.