Pharma-Chips in der Blutbahn

Mit dem Minicomputer direkt in die Krebszelle

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Es ist ein alter Traum der Nanotechnologie: Wie ein winziges U-Boot bewegt sich eine steuerbare Einheit durch den menschlichen Körper bis zu einer erkrankten Stelle, stellt vor Ort die Diagnose und beginnt sofort mit der Therapie. Israelische Forscher sind dieser Utopie jetzt einen entscheidenden Schritt näher gekommen.

Das Weizmann-Institut in Revohot beschäftigt sich seit Jahren mit der Entwicklung autonomer molekularer Nanocomputer (Biologischer Nanocomputer). Vergangenes Jahr schafften sie es mit einem solchen Modell sogar in das Guiness-Buch der Rekorde Einzug zu halten. Jetzt stellen Yaakov Benenson, Binyamin Gil, Uri Ben-Dor, Rivka Adar und Ehud Shapiro im Wissenschaftsjournal Nature ihren neuesten, viel versprechenden Prototypen für medizinische Anwendungen vor (Artikeldownload "An autonomous molecular computer for logical control of gene expression" von Shapiros Homepage). Es handelt sich um einen biologischen Computer mikroskopischer Größe, der bisher nur im Reagenzglas funktioniert, künftig aber innerhalb von menschlichen Zellen operieren soll. Diese Maschinchen sind so klein, dass eine Billion von ihnen in einem Wassertropfen Platz hätte.

Modell der DNS (Bild: Weizmann-Institut)

Das Miniaturgerät ist komplett aus Genmaterial konstruiert und im Gegensatz zu herkömmlichen Computern reagiert es nicht auf elektrische, sondern auf biologische Signale. In Entsprechung zur klassischen Unterteilung, sprechen die Forscher davon, dass die Software aus DNS besteht, die Hardware aus DNS-beeinflussenden Enzymen. Der Nanobiocomputer ist fähig, Boten-Ribonukleinsäure (RNS) aufzuspüren. Die RNS ist der biochemische Vermittler, der dafür sorgt, dass die Gene jeweils ihren Informationen gemäße Proteine bilden.

Es ist bekannt, dass bestimmte Formen von Krebs wie Lungen- oder Prostatakrebs durch spezifische, anormale RNS gekennzeichnet sind (Wenn Gene sichtbar werden). Unter Laborbedingungen gelang es dem medizinischen Minicomputer, durch das Erkennen der entsprechend veränderten Moleküle bösartig veränderte Zellen zu finden, die Art des Krebses zu diagnostizieren und dann direkt durch die Abgabe eines passenden Medikament-Moleküls zu reagieren, um die entartete Krebszelle zu zerstören.

Wenn ein Tumorindikator entdeckt wird, bleibt der Automat in der Ausgangsposition "YES", wenn keiner entdeckt wird, schaltet er um auf "NO". Der Computer "untersucht" dann das Endergebnis, erstellt die Diagnose und setzt Therapiestoffe frei. (Grafik: Weizmann-Institut)

Dieser selbst agierende Erste-Hilfe-Koffer auf molekularer Basis ist noch weit davon entfernt, einen Menschen tatsächlich zu heilen. Teamchef Ehud Shapiro stellte den neuen Gencomputer auf dem Symposium "Life, a Nobel Story" am 29. April in Brüssel der Öffentlichkeit vor und merkte an:

"Es ist klar, dass der Weg zur Verwirklichung unserer Vision noch lang ist; es könnte Jahrzehnte dauern, bis eines solches System, das innerhalb des menschlichen Körpers operiert, Realität wird. Nichtsdestoweniger haben wir vor zwei Jahren vorausgesagt, dass es noch zehn Jahre dauern würde, um den Punkt zu erreichen, den wir heute erreicht haben."

Der erste Schritt ist getan, das Konzept könnte auch in der realen Anwendung funktionieren. Er ist komplett biologisch, das steigert seine potenzielle Verträglichkeit im lebenden Organismus, meint Shapiro. Bisher wurde er unter eher "sterilen" Bedingungen in einer Salzlösung mit optimalem pH-Wert und ohne die in der biologischen Realität der Zellen übliche Vielzahl von Proteinen, Nukleinsäuren, Blutfetten und anderer Stoffe getestet.

Die Mini-Medikamentenfabrik: Aus der Boten-RNS (RNA) wird das passende DNS (DNA)-Heilmittel errechnet, synthetisiert und in die Blutbahn zurückgegeben. Jeder Nanobiocomputer besteht aus drei Modulen, das Input-Modul sucht nach den Indikatoren für Krankheiten, das Rechner-Modul verarbeitet diese Daten und erstellt die Diagnose, das Output-Modul gibt bei Bedarf das Medikament freigeben. (Grafik: Weizmann-Institut)

Natürlich muss vor einem Einsatz im Menschen erst geklärt werden, dass der molekulare Nanocomputer eine reale Fahrt durch den Körper übersteht und dass er keine Reaktion des Immunsystems oder andere unerwünschte Nebenwirkungen hervorruft. In den kommenden Jahren wird er sich zunächst an Zelllösungen, Gewebekulturen, einfachen Organismen und dann Säugetieren bewähren müssen.