Pilotenversagen oder Attentat?

Seite 2: "Die Reaktion der westlichen Medien ist mir bis zum heutigen Tag ein Rätsel geblieben"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn die Unstimmigkeiten bei der Darstellung der Absturzursache so groß waren: Warum schwenkten die polnische und westliche Presse so schnell auf die russische Version des Unglücks ein?

Jürgen Roth: Die polnische Medienlandschaft ist wie das ganze Land tief gespalten. Auf der einen Seite gibt es die Tusk-Anhänger und deren Medien und auf der anderen die Medien der Kaczynski-Anhänger. Also haben nur Teile der Medien Zweifel an der russischen Darstellung geäußert. Was die Vorgehensweise der westlichen Medien angeht, ist mir deren Reaktion bis zum heutigen Tag ein großes Rätsel geblieben. Vielleicht ist die Kaczynski-Partei "Recht und Gerechtigkeit" den hiesigen Medien zu rechtsnational eingestellt. Es kann aber auch daran liegen, dass die westlichen Korrespondenten einfach zu faul waren.

Es fanden immerhin bislang drei, mit sowohl polnischen wie international hochkarätigen Wissenschaftlern besetzte Konferenzen in Warschau, die kritisch den Flugzeugabsturz behandelten. Kein einziger westlicher Journalist nahm daran teil oder berichtete darüber. Man verließ sich schlichtweg auf das, was die russische wie die polnische Regierung verkündete. Ich halte das für einen journalistischen Kardinalfehler, dass etwas, was aus einer nicht genehmen ideologischen oder politischen Ecke kommt, überhaupt nicht mehr wahrgenommen wird.

Existiert Ihrer Meinung nach einen Zusammenhang zwischen den Absturz der Maschine und dem Abschuss der MH17 im Ukrainekonflikt?

Jürgen Roth: Es gibt insoweit einen Zusammenhang als in beiden Fällen aus politischen Erwägungen heraus kein Interesse für eine echte Aufklärung der Vorgänge besteht. Zumindest nach meiner Einschätzung ist beim Abschuss der MH17 die russische Seite mit verantwortlich zu machen. Die Thesen, das es die Ukrainer selber waren, haben sich zumindest nach meinem Erkenntnisstand nicht bestätigt. In beiden Fällen garantiere ich, dass der wahre Grund für die Katastrophen sowie die dafür Verantwortlichen nicht bekannt werden - vielleicht in fünfzig Jahren einmal.

"Die westlichen Geheimdienste sind unter Umständen noch demokratisch kontrollierbar"

Weil Sie vorhin einen BND-Quellenbericht erwähnt haben: Ich halte es spätestens nach der deutschen Begründung für den Einsatz der Bundeswehr seinerzeit im Kosovokrieg und der amerikanischen Rechtfertigung für den Einmarsch in Afghanistan und den Iran für dringend geboten, den Berichten von Geheimdiensten grundlegend zu misstrauen ...

Jürgen Roth: Man sollte - egal ob CIA oder FSB oder BND - prinzipiell allen Nachrichtendiensten, misstrauen. Alle diese Dienste haben ein politisches Interesse, ihre sogenannten Wahrheiten zu verkünden. Mit der Wirklichkeit hat das meist nichts zu tun. Manchmal gibt es Ausnahmen, wie ein BND-Bericht über das Kosovo aus dem Jahr 2005, wo explizit und sehr detailliert dargestellt wurde, dass ehemalige hohe UCK-Angehörige, wie Hashim Thaci, Ekrem Lluka oder Ramush Haradinaj, in den Drogenhandel und in Geldwäsche eng verwickelt waren. Damals interessierte das niemand. Heute sind sie diejenigen die in der Regierung sitzen oder in anderen Machtzentralen des Kosovo, der nicht zu Unrecht auch Mafiastaat genannt wird.

Allerdings sind die westlichen Geheimdienste unter Umständen noch demokratisch kontrollierbar: Durch den Druck der Medien und parlamentarische Untersuchungen könnte hier zumindest immer noch Licht ins Dunkel gebracht werden. Für ein politisches System wie das in Russland, welches nicht demokratisch ist, stellt sich die Frage überhaupt nicht.

Bei all dem, was beispielsweise bei den NSU-Morden herauskommt, beziehungsweise nicht herauskommt, hegen Sie noch Hoffnung, dass die deutschen Medien Aufklärungsarbeit leisten?

Ich halte die These, dass es sich beim NSU um nur drei Täter halten soll, für wirklich abenteuerlich. Interessanterweise beschäftigen sich die Medien nicht damit, was die Vorläufer-Organisationen und Vorläufer-Ideologie war, die es in den 50er bis Ende der 70er Jahren gegeben hat, wo die westlichen Nachrichtendienste rechte Terrorgruppen unterstützt haben. Nicht nur mit Gladio existiert hier ein roter Faden bis in die Gegenwart. Die Kooperation zwischen Geheimdiensten und Rechtsextremen wie auch ihre Verdrängung hat - siehe auch Oktoberfestattentat - in Deutschland, insbesondere in Bayern eine gewisse Tradition. Um dies festzustellen, muss man kein Verschwörungstheoretiker sein. Die Fakten liegen mehr oder weniger klar auf dem Tisch.

Kommen wir noch einmal auf Wladimir Putin zu sprechen: Wie sollte denn ein russischer Präsident beispielsweise auf die NATO-Ost-Erweiterung und die NATO-Politik in Syrien reagieren?

Jürgen Roth: Die baltischen Staaten und auch Polen haben aufgrund ihrer Erfahrungen was Russland anbelangt, teilweise hysterische Ängste und suchten in der NATO Schutz, das, wie ich hoffe, ein reines Verteidigungsbündnis ist. Was die NATO-Politik in Syrien angeht, werden die Interessen Putins tangiert. Ich bin insoweit gegenüber der Annahme skeptisch, dass die böse NATO für das ganze Schlamassel verantwortlich ist. Mit der Krim-Besetzung wurde von russischer Seite aus die territoriale Unabhängigkeit der ukrainischen Staates verletzt. Russische Waffen und (freiwillige?) Soldaten zur Unterstützung der pro-russischen Rebellen bergen die Gefahr eines heißen Krieges in sich, die nicht unterschätzt werden darf. Sowohl Poroschenko als auch Wladimir Putin und die pro-russischen Rebellen im Donezk zündeln leider in diese Richtung.

"Die entsprechenden politischen Entscheidungsträger wurden bereits eingekauft"

Wie schätzen denn Sie den Ukraine-Konflikt ein?

Jürgen Roth: Der Euro-Maidan war ursprünglich eine Bürgerbewegung, die sich im Kampf gegen das korrupte System von Viktor Janukowitsch verschrieben hatte. Dann wurde die Bewegung von rechten Kräften teilweise instrumentalisiert. Fakt ist aber, dass es seitdem trotzdem viele kritische Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Medien gibt, die vorher nicht existierten. Ich sehe nun die Gefahr, dass die Ukrainer gezwungen werden, einen verhängnisvollen neoliberalen Kurs einzuschlagen, der vom IWF und den USA vorgegeben wird. Die entsprechenden politischen Entscheidungsträger wurden ja bereits eingekauft.

Diese Gefahr, dass das Land unter der Last der neoliberalen Reformen zusammenbrechen wird, schätze ich für schwerwiegender ein als den aktuellen militärische Konflikt. Daher denken viele Betonköpfe in Kiew, dass man militärisch operieren müsse, um von der künftigen sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe abzulenken. Das ist die Tragik von Euro-Maidan, dass der Traum einer etwas gerechteren Gesellschaft, der zu Recht vom Westen unterstützt wurde, nun zu zerplatzen droht.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.