Pisa: Deutsche Schüler arbeiten effektiv

Schüler im Informatikunterricht, März 2012. Foto: Ralf Roletschek / Free Art License 1.3

Im Ländervergleich bleiben sie oberer Durchschnitt, aber sie fallen dadurch auf, dass sie mehr Punkte mit weniger Lernen holen. Bei der Imageverbesserung der Naturwissenschaften ist noch viel zu tun

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Die deutschen Schüler sind laut Pisa-Test 2015 bei den Naturwissenschaften im oberen Mittelfeld auf Platz 16 von 72. Spitzenreiter der "Ländertabelle" sind wie sonst auch bei solchen internationalen Vergleichstests asiatische Teilnehmer, wobei mit Estland auf Platz drei auch ein europäisches Land ganz vorne ist, nach Singapur und Japan. Der Schwerpunkt beim Pisa-Vergleich der 15-jährigen Schüler lag diesmal bei den Naturwissenschaften.

Leichte Verschlechterung, aber effizientes Lernen

Das Abschneiden der deutschen Schüler wird unterschiedlich bewertet. Der deutsche Bildungsforscher und OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher spricht von einer "Stabilisierung auf überdurchschnittlichem Niveau", da die Ergebnisse deutlich über dem OECD-Durchschnitt liegen.

Die leichte Verschlechterung gegenüber den Ergebnissen vorheriger Pisa-Tests findet er nicht dramatisch, von einem "Rückschritt" könne nicht die Rede sein. Die FAZ legt dagegen eine andere Anspruchshaltung an den Tag und betitelt ihren kommentierenden Artikel mit "Pisa-Rückschlag für Deutschland". Dort werden dann auch die Verschlechterungen der Punktzahlen genau notiert.

Die SZ schreibt von stagnierenden Leistungen, hebt aber eine bemerkenswerte Effizienz deutscher Schüler hervor. Die deutschen Schüler würden im Vergleich zu anderen weniger Zeit in der Schule und weniger Zeit mit Hausaufgaben verbringen, weswegen sich dieses Ergebnis sehen lassen kann:

In den Naturwissenschaften, Schwerpunkt von Pisa 2015, holen die Deutschen pro Lernstunde mehr Punkte als nahezu alle Mitbewerber.

SZ

Nur die Finnen würden noch weniger Zeit mit Lernen verbringen.

Für Eltern von Schülern, die von sehr zeitaufwendigen Hausaufgaben gequält werden, liegt darin eine hoffnungsvolle Botschaft. Finnland belegt immerhin Platz fünf im Gesamtüberblick der Leistungen in Naturwissenschaften, Lesekompetenz und Mathematik. Und es hat einen, wenn auch nur leicht, höheren Prozentsatz an leistungsstarken Schülern gegenüber Deutschland (21,4% im Vergleich zu 19,2%) und dazu einen kleineren Anteil leistungsschwacher Schüler (6,3% im Vergleich zu 9,8%).

An der Spitze sieht es nochmal ganz anders aus. Singapur verzeichnet einen Anteil leistungsstarker Schüler von 39,9 Prozent und lediglich von 4,8 Prozent bei den leistungsschwachen Schüler. Der Abstand zu Deutschland ist beträchtlich.

Allerdings werden die Spitzenleistungen laut unzähligen Berichten über "Tiger Moms" und "Karriereängste" schon in Kindheitsjahren anscheinend mit sehr viel Zeitaufwand und harter Disziplin erworben. Auch fehlt bei Kommentaren über das erfolgreiche Abschneiden nie der Hinweise, dass es mit dem "kreativen Lösungspotential" nicht so weit her sei. Wer sich die Beispielaufgaben mit den unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden anschaut, kann solche Sätze nicht unbedingt unterschreiben. Es geht nicht nur um Reproduktion von Wissen.

So äugt man wie bei der FAZ auf Unterrichtsmethoden in Singapur, um die "Vertikalspannung" nach oben zu halten.

Die Methodik sei dort moderner als in anderen Ländern, heißt es sehr vage und auch der OECD-Bildungsdirektor Schleicher kommt mit einer ebenfalls sehr weitgefassten Aussage zu Wort: "Pädagogische Forschung findet nicht nur an der Universität statt, sondern in den Schulen". Konkret heißt das: "Dort hat jeder Lehrer etwa 100 Stunden Weiterbildung pro Jahr."

Mint-Kampagne hat noch nicht verfangen

Von Bedeutung ist der Pisa-Test, der regelmäßig von Experten kritisiert wird, vor allem wegen der Konsequenz, die die Bildungsministerien und Schulen daraus ziehen. In Bayern, so die Erfahrung des Autors, wird recht schnell reagiert. Überspitzt dargestellt: Wenn auf dem Spiegeltitel das Rechtschreibdefizit der Grundschüler angeprangert wird, dann ist zu erwarten, dass die Eltern spätestens im nächsten Schulhalbjahr von den Lehrern darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass man sich nun mehr auf Rechtschreibung konzentriere.

So bildet sich in den Lehrplänen der Grundschule und der ersten Gymnasiumsjahre auch die Anstrengung ab, ein Manko von Leistungsvergleichstests früherer Jahre wettzumachen, nämlich Lesekompetenz und Textverständnis. Hier verbesserten sich die deutschen Schüler beim Pisa-Test 2015, wenn auch nur leicht, aber im Vergleich bemerkenswert:

Auch diesmal gelingt eine minimale Steigerung auf 509 Zähler, was einen Platz im OECD-Spitzenbereich bedeutet. Die Leistung wird noch dadurch hervorgehoben, dass sich Deutschland seit 2009 um zwölf Punkte gesteigert hat, während in den anderen OECD-Ländern im selben Zeitraum keine wesentliche Veränderung stattgefunden hat.SZ

Allerdings zeigt der Pisatest auch, dass die Mint-Kampagne nicht so recht verfangen hat. Zwar wird überall an den Schulen und in den Medien erklärt, wie wichtig Naturwissenschaft und Mathematik ist, aber bei der Frage, wie viele Schüler sich eine eigene naturwissenschaftliche Karriere vorstellen können, landete Deutschland "auf dem drittletzten Platz aller 72 Länder in der Studie" - es gebe ein Imageproblem, so der Spiegel.

Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen

Besonders gelte das für Mädchen. Wie andere Tests so zeigt auch dieser auf, dass Mädchen bei Mathematik in Naturwissenschaften im Schnitt schlechter abschneiden als die Jungen. In den Naturwissenschaften war der geschlechtsspezifische Unterschied in Deutschland größer als im OECD-Durchschnitt.

Beinahe schon traditionell dagegen sind die Mädchen im Bereich Lesekomptenz besser. Allerdings deute sich eine Angleichung an, so die Tagesschau: Seit 2009 hätten sich die Leistungen beider Geschlechter angenähert. Dies müsste auch in Mathematik und den Naturwissenschaften möglich sein wie andere Länder, zum Beispiel die USA, demonstrieren.

Eine genauere Analyse zum Stand des Einflusses der sozialen Herkunft, der in Deutschland bisher immer bedeutend war, steht noch aus. Gewerkschaften machten vor Bekanntgabe der Ergebnisse auf die weiter bestehende soziale Schieflage aufmerksam: Die Zahl der jungen Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss sei bedrückend hoch, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.