Planung eines Königsmords

William King Harvey und die Lizenz zum Töten (Teil 2/3)

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Als der "amerikanische James Bond" Bill Harvey in den 1970ern vor einem Geheimdienstuntersuchungsausschuss aussagen musste, beteuerte er, nur Aufträge ausgeführt und sich keine Eigenmächtigkeiten geleistet zu haben. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass Harvey nur tat, was ihm von dem Mann aufgetragen war, den man in der US-Geheimdienstwelt längst "den Alten" nannte. Den Umstand, dass Harvey dem mächtigen CIA-Chef Allen Dulles selbst dann noch diente, nachdem dieser von Kennedy kaltgestellt wurde, verschwieg der Schattenmann. Die politische Abdeckung des Jahrhundertverbrechens wäre ohne Dulles kaum möglich gewesen.

Dulles und Dallas

Zum Cover Up war die Position des mächtigen Strippenziehers perfekt, wie Fachautor David Talbot in seiner Dulles-Biographie "Das Schachbrett des Teufels" (Die magische Kugel des Allen Dulles) überzeugend nachweist. Dulles hatte stets für die Wallstreet den Henker gegeben und kontrollierte dank seiner Kontaktpflege insbesondere die US-Medien, die sich überwiegend in der Hand weniger Verlage und Radioveranstalter befanden. Dem routinierten Charmeur Dulles, der mit prominenten Verlegern und Journalisten mehrfach die Woche zu speisen pflegte, war es bislang stets gelungen, die Manipulationen der CIA für die US-Medien weitgehend unsichtbar zu halten.

Trotz seines offiziellen Ruhestands 1961 leitete Dulles mit seinen Getreuen die CIA aus seinem Privathaus aus heimlich weiter. Seinem Nachfolger hatte Dulles etwa die Mordprogramme genauso verschwiegen wie seinem Präsidenten. Im Herbst 1963 unternahm Dulles nachweislich eine Reise nach Texas, über die er selbst keine Aufzeichnungen anfertigte. Dabei traf er sich auch mit dem angeschlagenen Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson, der sowohl wegen eines gärenden Korruptionsskandals als auch wegen seiner fehlgeschlagenen Mission, die Steuerprivilegien für Erdölunternehmer zu erhalten, als eine lame duck galt. Faktisch war Robert Kennedy der eigentliche Vizepräsident, Johnson war nicht zur Wiederwahl vorgesehen.

Auch Harvey unternahm eine Reise in die USA, über deren Anlass sich Harvey seinen Kollegen in Rom gegenüber ausschwieg. Lediglich von einer "großen Sache" war die Rede, was er nie auflöste. Seine Reisepläne gehören zu dem einen Prozent der Kennedy-Akten, die noch immer gesperrt sind. Auch Morales äußerte Mitarbeitern gegenüber etwas von einer großen Aktion. Später prahlte Morales sogar im Suff mit seinem Verdienst, Kennedy erledigt zu haben.

Inside Job

Um den Tatort zu kontrollieren nutzte man nicht nur Insiderwissen, vielmehr manipulierte man, wo man konnte. Im Gegensatz zum Vortag etwa fuhr der Präsidentenlimousine nicht das Auto mit Journalisten voraus, welche die Parade frontal zu filmen pflegten - so wie es dem Standardprotokoll entsprach. Ebenso bereinigte man das Schussfeld von störenden Personenschützern auf den Trittsteigen, die man kurzfristig per Funkbefehl abzog, auch die seitliche Motorradeskorte wurde gestrichen.

Erstaunlicherweise verzichtete man auf die gepanzerte Abdeckung des nun offenen Fahrzeugs, obwohl der Secret Service kurz zuvor zwei Komplotte von Exilkubanern vereitelt hatte, die von Häusern aus auf die Präsidentenlimousine schießen wollten. Die nach einem gleichfalls erschossenen Präsidenten benannte Lincoln fuhr so langsam, dass die verbliebenen Motorradfahrer in der Kurve Mühe hatten, um ihr Gleichgewicht zu halten. Nach dem Beginn der Schüsse floh der Fahrer entgegen seinem Training nicht aus dem Schussfeld, sondern wandte sich vor dem Beschleunigen erst um, als ob er das Ergebnis kontrollieren wollte. Der Fahrer wurde hierzu nicht einmal befragt, statt Spurensicherung am Tatort reinigte man die Limousine.

Das mysteriöse Totalversagen des Secret Service in Dallas dürfte mit dessen oberstem Vorgesetzten zu erklären sein. So untersteht der Secret Service, der primär für den Schutz der US-Währung und nur sekundär für die Sicherheit des Präsidenten zuständig ist, dem Finanzminister. Als solchen hatte Kennedy Eisenhowers von den Dulles-Brüdern eingesetzten Wallstreet-Bankier und Milliardär Douglas Dillon übernommen. Die Dulles-Brüder waren mit Dillon so eng befreundet, dass John Foster Dulles auf Dillons Anwesen seinen Lebensabend verbracht hatte. Wochen vor dem Attentat stattete ihm Allen Dulles einen Besuch ab, über dessen Bewandtnis nichts bekannt ist. Wie Dulles, der vor spektakulären Aktionen wie etwa der Invasion in der Schweinebucht zur Tarnung auf Reisen ging, nahm auch Dillon einen aufgeschobenen Sommerurlaub im November, so dass er den Secret Service nicht am Tattag zu beaufsichtigen hatte.

Ein weiteres zu kontrollierendes Hindernis waren Menschenmassen am Wegesrand. Aus geheimnisvollen Gründen wurde die Route über die eher wenig frequentierte Daeley-Plaza geführt, wo der Wagen einen überflüssigen Schlenker direkt neben einer Anhöhe mit einem zum Verstecken praktischen Zaun nahm, die als "Grashügel" in die Geschichte eingegangen ist. An dieser Stelle bot die Position der Limousine ein perfektes Schussfeld auch vom Triple Underpass sowie vom Dal-Tex-Gebäude.

Dass "Alleintäter" Oswald an das Vorwissen der Route gelangt sein könnte, als er drei Wochen zuvor die ihm zugeschusterte Stelle im Schulbuchlager angenommen hatte, wäre unerfindlich. Nachvollziehbar wäre jedoch, dass der Bürgermeister von Dallas und dessen Bruder, der von Kennedy geschasste CIA-Vize Cabell, ihre Finger im Spiel hatten.

Vorwissen hatte offenbar auch die NSA. So berichtete der in Frankreich stationierte Armee-Kryptograph Eugene B. Dinkin Anfang November 1963 über zwei abgefangene verschlüsselte NSA-Botschaften, in denen es um einen Mordplan am Präsidenten ging. Dinkin brachten seine Hinweise einen Aufenthalt in der Psychiatrie ein, bis er nach Androhung von Elektroschocks seiner "Irrlehre" endlich abschwor.

Der bizarrste Hinweis auf ein Vorwissen der Nachrichtendienste ist die verstörende Geschichte des Militärgeheimdienstlers Richard Case Nigell, der ausgerechnet auf Oswald angesetzt war, um diesen von einem Attentat auf den Präsidenten abzuhalten. Nigell will FBI-Chef Hoover detailliert über die Attentatspläne informiert haben. Da das FBI nichts veranlasst habe, will Nigell eine Intrige gewittert haben. Jedenfalls besorgte er sich ein handfestes Alibi, indem er zwei Tage vor dem Attentat in einer Bank in die Decke schoss, um sich festnehmen zu lassen.

Harvey und Harvey

Der Plan, Lee Harvey Oswald als vermeintlich wirren Alleintäter hinzuhängen, dürfte ebenfalls auf William King Harvey zurückzuführen sein. In handgeschriebenen ZR/Rifle-Plänen zur Ermordung Castros hatte Harvey vorgeschlagen, als Attentäter solche Personen zu verwenden, denen man für den Fall, dass diese auffliegen, zur Ablenkung von der CIA glaubhaft einen kommunistischen Hintergrund andichten konnte. Kandidaten hierfür kannte Harvey, da er einst mit einem Programm befasst gewesen war, bei dem CIA-Agenten als vorgebliche Frontenwechsler in den Ostblock desertierten, um dort zu spionieren.

Genau das offenbar tat der Ex-Soldat Lee Harvey Oswald, der schon aufgrund seiner vom Militär geleisteten Ausbildung in russischer Sprache zum Nachrichtendienst qualifiziert war. Vor seiner Einreise nach Russland ließ der offiziell nicht sonderlich vermögende Oswald in Helsinki erstaunlich gut situiert die Sau raus.

Ohne Geheimauftrag wäre schon schwerlich nachvollziehbar, weshalb man ihn ohne weiteres in die Sowjetunion ausreisen ließ, obwohl Oswald ausgerechnet auf Flughäfen Dienst geschoben hatte, von denen der CIA-Spionageflieger U2 abhob - einem der damals sensibelsten Staatsgeheimnisse überhaupt. Nicht weniger ungewöhnlich ist, dass man Oswald bei seiner Wiedereinreise in die USA nicht die geringsten Schwierigkeiten machte.

Eine Person, die sich als Oswald ausgab, hatte in dessen Namen in der abgehörten kubanischen Botschaft ein Visum beantragt und damit Elefantenspuren zur Desinformation gelegt. Aufgrund seiner Jahre in der Sowjetunion konnte Oswald auch mit dem Hauptfeind, jedenfalls aber mit dem Kommunismus in Verbindung gebracht werden. Man lotste Oswald an seinen neuen Arbeitsplatz im Schulbuchlager, Wochen, bevor die Route des Präsidentenkonvoys "kurzfristig", aber ohne Grund über die Dealey Plaza geleitet wurde.

Jenes Gebäude mit dem Schulbuchverlag gehörte dem rechtskonservativen Erdölunternehmer D.H. Byrd, der 1941 die Civil Air Patrol mitgegründet hatte, eine paramilitärische Freiwilligen-Organisation zur Sicherheit an der Heimatfront. In eben dieser Civil Air Patrol hatte Oswald als Teenager erstmals Berührung zur Sicherheitscommunity gehabt. Kurz vor dem Kennedy-Besuch hatte Oswald ein nur aus ihm bestehendes lokales Fair-Play-for-Cuba-Komitee gegründet und Elefantenspuren gelegt, die ihn für ein Einschleusung als FBI-Untercover-Agent in entsprechende Kreise qualifiziert hätten. Für welche Dienste genau Oswald arbeitete, kann erst beurteilt werden, wenn seine erstaunlicherweise bis 2017 gesperrte Steuerakte freigegeben wird.

Oswalds Verbindungen zum schillernden Kaufmann George de Mohrenschield, der wiederum in Washingtons besten Kreisen inklusive der Familie von JFKs Frau verkehrte, sind erstaunlich. Noch irritierender ist die Tatsache, dass sogar Dulles Dauergeliebte Mary-Anne Bancroft mit Ruth Paine Bekanntschaft pflegte, die Oswald ein Haus in Dallas und den Job im Schulbuchlager besorgte.

Teil 3: Schachmatt