Pleitegeier Bundeswehr: Tatsache oder Lobby-Gerücht?

Tag der Bundeswehr 2023 in Bückeburg. Foto: Tim Rademacher / CC-BY-SA-4.0

Ist das deutsche Militär chronisch unterfinanziert – wäre es im Ernstfall verteidigungsfähig? Zahlen und Fakten.

Seit Jahren lassen rüstungs- und militärnahe Akteure verlauten, eine chronische Unterfinanzierung sei der Grund dafür, dass die Bundeswehr völlig abgewirtschaftet habe.

Alarmstufe Rot: Bundeswehr am Boden?

Man sei faktisch nicht mehr verteidigungsfähig, verlorene Fähigkeiten müssten nun mühsam wieder aufgebaut werden, lautet auch eine der Kernaussagen der am 9. November 2023 erlassenen Verteidigungspolitischen Richtlinien, die das Motto "Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime" ausgaben:

Nach Jahrzehnten der Einsparungen muss die Bundeswehr wieder einsatzfähig und nachhaltig ausgerüstet werden. […] Unabdingbare Voraussetzung und wesentlicher Maßstab deutscher Glaubwürdigkeit für die Umsetzung der Zeitenwende ist die nachhaltige und umfassende Finanzierung einer personell und materiell voll ausgestatteten und modern ausgerüsteten Bundeswehr.

Verteidigungspolitischen Richtlinien, veröffentlicht am 9. November 2023

Angeblich fehlen Milliarden: Das Militär rechnet sich arm

Obwohl ein genauer Blick auf die Zahlen vor und vor allem auch nach der sogenannten Zeitenwende zeigt, dass diese Aussagen jeder Grundlage entbehren, werden sie unermüdlich weiter wiederholt.

Auch die seit der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 18. Januar für den Haushalt 2024 vorliegenden Zahlen sprechen eine andere Sprache: Die Bundeswehr war und ist nicht chronisch unterfinanziert – und sie steht materiell wahrscheinlich auch nicht blank da.

Tatsächlich existiert eine kaputtgesparte Bundeswehr nur in den Köpfen interessierter Kreise, um noch mehr Geld für die Truppe (und sich selbst) herauszuschlagen. Schließlich stieg der Militärhaushalt von 32,5 Milliarden Euro (2014) bis unmittelbar vor der "Zeitenwende" auf 50,4 Milliarden Euro (2022) selbst inflationsbereinigt um 40 Prozent an.

Kriegsspielzeug oder sinnvolle Investition?

Legt man die sogenannten Nato-Kriterien zugrunde, bei denen eine Reihe in andere Haushalte ausgelagerte Militärausgaben – vor allem große Teile der Kosten für Waffenlieferungen an die Ukraine – mit eingerechnet werden, fällt der inflationsbereinigte Anstieg sogar noch deutlicher aus.

Nach Angaben der Nato sind die so berechneten Militärausgaben schon vor der sogenannten Zeitenwende von 34,75 Milliarden Euro im Jahr 2014 auf 57,68 Milliarden Euro 2022 gestiegen – real um rund 50 Prozent.

Seit der Auslobung des Sondervermögens der Bundeswehr und den Waffenlieferungen an die Ukraine geht es weiter steil nach oben: Für 2023 geht die Nato von Ausgaben im Umfang von 64,06 Mrd. Euro aus.

Haushaltsbereinigung und Nato-Kriterien

Nach der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 18. Januar 2024 liegen nun die Zahlen vor, die am 31. Januar 2024 im Bundestag beraten und aller Wahrscheinlichkeit nach dann auch kurz darauf verabschiedet werden dürften.

Demnach dürfte der Vorjahreswert nun durch eine Kombination aus offiziellem Haushalt (51,95 Milliarden Euro), Entnahmen aus dem Sondervermögen (19,17 Milliarden) und den Nato-Kriterien (18,5 Milliarden) mit einem Gesamtbetrag von knapp 90 Milliarden Euro noch einmal spielend übertroffen werden.

Wie der Heeresinspekteur Alarm schlug

Unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine machte Heeresinspekteur Alfons Mais mit einer viel zitierten Aussage von sich reden:

Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da […]. Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitiert.

Alfons Mais, Heeresinspekteur / Tagesspiegel, 24. Februar 2022

Fast zwei Jahre danach haben sich Mais zufolge kaum Verbesserungen eingestellt.

Bereits jetzt, so Mais, sei das Heer "von A wie Artilleriegeschütz bis Z wie Zeltbahn" nur zu 60 Prozent ausgestattet. Mit der Aufstellung der Litauen-Brigade sinke die Quote auf 55 Prozent. Gemessen an seinen Aufträgen ab dem Jahr 2025 sei die materielle Ausstattung des Heeres ‚aktuell mehr als grenzwertig‘, stellt Mais fest. "Die Decke ist einfach zu dünn".

Alfons Mais / Stuttgarter Nachrichten, 22. Januar 2024

Damals blank, heute blanker?

Den Klagen von Mais schloss sich unter anderem Ralph Thiele, Oberst a. D. und Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft, an: "Zu Beginn des Angriffs war sie blank. Heute ist sie blanker."

Ins selbe Horn bläst auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn:

Die Bundeswehr ist trotz Sondervermögen nicht verteidigungsfähig (…). Durch die notwendigen Beiträge für die Ukraine und den schleppenden Zulauf an neuem Gerät steht die Bundeswehr schlechter da als vor Kriegsbeginn.

Florian Hahn¸ verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, 28. Dezember 2023

Erst Pressearbeit für Rüstungskonzern, dann CSU-Wehrpolitiker

Im Interview mit dem Focus hatte der CSU-Mann, der nicht zufällig vor seiner Bundestagstätigkeit unter anderem Mitarbeiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim deutschen Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann war, auch ein gerütteltes Maß an Vorschlägen parat, was denn besser gemacht werden könnte:

Und was würde die Union anders machen? Man würde den Verteidigungshaushalt auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2026 anheben, und zwar zusätzlich zum Sondervermögen, sagt der Oppositionspolitiker. Es sei zwingend nötig den Verteidigungshaushalt bereits ab 2024 und jährlich um zehn Milliarden Euro zu erhöhen.

Außerdem müssten bei der Rüstungsbeschaffung nationale Sicherheitsinteressen stärker berücksichtigen werden. Deutschland könne nicht ausschließen, dass es nach den US-Präsidentschaftswahlen verteidigungspolitisch auf sich allein gestellt ist. ‚Insofern ist die Stärkung der heimischen Rüstungsindustrie ein unmittelbarer Beitrag zur Steigerung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und Europas.

Florian Hahn / Focus, 28. Dezember 2023

Nichts anderes als Propaganda

Angesichts der realen Aufstockung des Militärhaushalts ist das Gerede von der chronisch unterfinanzierten Bundeswehr nichts anderes als Propaganda – eine Falschmeldung, die in diesem Fall aber von nahezu allen Medien munter weiterverbreitet wird.

Anders stellt sich die Sache bei der Aussage dar, die Bundeswehr stehe materiell – trotz üppiger Finanzausstattung – "blank" da. Träfe dies zu, so wäre das angesichts der realen Haushaltsentwicklungen aber keine Sache für weitere Finanzspritzen, sondern für den Rechnungshof.

Allerdings stellt sich tatsächlich die Frage, ob dies überhaupt den Tatsachen entspricht. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Klagen über die unterfinanzierte und nicht verteidigungsfähige Bundeswehr erschien im November 2023 die Greenpeace-Studie "Verschwendet oder effektiv eingesetzt? - Militärausgaben in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich im Vergleich".

Greenpeace warnt vor Panikdiskursen

Nachdem die militärischen Fähigkeiten der drei untersuchten Länder ausführlich in den Blick genommen wurden, kamen die Autor:innen zu dem Ergebnis:

Die Bundeswehr und ihr Apparat halten dem Vergleich mit den Streitkräften im Vereinigten Königreich und Frankreich im Hinblick auf Personalbestand und Ausrüstung stand. Die Studie räumt mit dem Mythos auf, dass die Bundeswehr nicht fähig wäre, ihren Beitrag zur Bündnisverteidigung zu leisten. (…)

Vor dem Hintergrund bestehender Fähigkeiten und geplanter Aufstockungen erscheint es sinnvoll, keine Panikdiskurse zu bedienen. Die Bundeswehr wurde weder kaputtgespart noch ist Deutschland verteidigungsunfähig.

Aus: "Verschwendet oder effektiv eingesetzt? Militärausgaben in Deutschland, Frankreich und dem Vereinigten Königreich im Vergleich", Greenpeace, November 2023