Polen: Der "Gute Wandel" der PiS im Wandel

Seite 7: Die nationalistischen Dämonen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Doch selbst bei der optimistischen Annahme, Morawiecki wolle einen neuen Still in die polnische Politik bringen und seine Partei Richtung europäischer Christdemokratie führen, könnte es in vielfacher Hinsicht zu spät sein, den angerichteten Schaden wieder gut zu machen.

Kaczyński hat mit weitgehenden Zugeständnissen an die klerikalen Kräfte und der Einladung von Rechtsextremen ins politische Mainstream die Büchse der Pandora geöffnet. Am Nationafeiertag am 11. November marschierten neben ahnunsgslosen Familien tausende Nationalisten und Rechtsradikale durch Warschau. Sie trugen Symbole faschistischer Gruppen aus der Vorkriegszeit, schwangen Transparente wie "Polnische Industrie in Polnische Hände" oder "Weißes Polen, weißes Europa", riefen rassistische und antimuslimische Parolen. Der Innenminister beschwichtigte, sah später nur eine "sehr gute Atmosphäre".

Die PiS biederte sich seit Jahren bei den rechten Fußball-Hoologans an, bezeichnete sie schon mal als "echte Patrioten". Sowohl für die Regierungspartei als auch für die "Bewegung Kukiz" kamen einige ehemalige Skinheads ins Parlament (wobei sich der ehemalige Rocksänger Kukiz unlängst für diese Kooperation entschuldigt hatte). Im Staatsfernsehen haben Publizisten rechtsnationaler Printmedien und Internetportale Schlüsselpositionen erhalten und den Sender in eine Propagandamedium der PiS verwandelt. Moslem- und Ausländerfeindlichkeit in einem Ausmaß, wie sie Polen noch nie erlebt hat, sind die Folge.

Der Slogan "Sich von den Knien erheben" symbolisiert die sogenannte Geschichtspolitk der PiS. Die Welt solle den Beitrag Polens in der jüngsten Geschichte Europas anerkennend würdigen und die alten polnischen Komplexe überwinden. Mit Hilfe neuer Unterrichtspläne und massierter nationalistischer Propaganda in staatlichen Medien wird am Aufbau neuer nationaler Mythen gearbeitet.

Jüngstes Beispiel: das "Holocaust-Gesetz". Der Schuß ging diesmal massiv nach hinten. Die heftige Kritik im In -und Ausland, allen voran aus Israel, hat die alten Dämonen des Antisemitismus, von dem sich die PiS-Politker zwanghaft zu distanzieren suchten, wieder aufleben lassen. Eine neue Welle antijüdischer Rhetorik in sozialen Netzwerken schwappt seither über das Land.

Der Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar, ehemaliger Mitarbeiter von "Nigdy Wiecej" (Nie wieder) einem Dokumentationsarchiv für rassistische und nationalistische Übergriffe: "Man kann in den letzten zwei Jahren sagen, dass es eine stille Zustimmung der Regierenden für die Aktivitäten der Neonazis gibt. Zumindest ein Teil der Ansichten der extremen Rechten, wie etwa ihre Ablehnnung der Flüchtlinge stimmt mit der Meinung der regierenden Partei überein. Für die Mächtigen lohnte es sich, es erlaubte ihnen, schlechte Emotionen hervorzurufen, Menschen zu spalten, Angst zu erzeugen. Es war auch deshalb leichter, etwa die Antiterrorgesetze zu verabschieden oder sich von der Europäischen Union zu distanzieren"."

Wunschdenken?

Kurz nach der Ernennung Morawieckis zum Premierminister spekuliert Paweł Wroński in der liberalen und regierungskritischen Gazeta Wyborcza, darüber, ob aus der neuen Regierung der Kern des PiS-Ideologie (wörtlich des Pisismus) entwichen sei. Zwar reklamiert die oppositionelle PO diese Regierungsumbildung als ihren Erfolg, doch lässt Wroński keinen Zweifel daran, dass es eine pragmatische Entscheidung innerhalb des Dreiecks Duda, Kaczyński, Morawiecki war, weil Kaczyńskis Ideen kompromitiert worden wären.

Der Autor merkt an, das politische System werde rationaler, für die Gesellschaft und die Oppositon freundlicher, weltoffener, Morawiecki hätte genausogut für die PO, Tusks Bürgerplattform das Amt bekleiden können. Für die PiS Wähler stellt er die polemische Frage: Wie kommt es, ich stimmte für die PiS und bekomme fast eine PO? Er sieht eine Liberalisierung und einen alternden Kaczyński, die einen echten "Guten Wandel" erst ermöglichen und die PiS in die Mitte rücken lassen könnten.

Doch der Autor warnt gleichzeitig: "Üblicherweise legt sich die PiS ein Jahr vor den Wahlen das Schafsfell an, versteckt Macierewicz und mimmt eine normale europäische Mitte-Rechtspartei. Doch was wird passieren, wenn die PiS auf längere Sicht an diesem neuen Kurs Gefallen findet?"