Polen: Der "Gute Wandel" der PiS im Wandel

Seite 4: Fremdkörper in der PiS

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Premierminister Donald Tusk von der Bürgerplattform, kurz PO, holte Morawiecki schließlich in seinen Beraterstab und er wurde als Finanzminister-Kandidat in der Tusk-Regierung gehandelt. Das macht Morawiecki in der PiS eigentlich zu einem Fremdkörper. Wie passt er also zur Kaczyńskis rechtskonservativen Wende?

Einem klerikalen Blatt sagte Morawiecki vor zwei Jahren: "Der polnische Kapitalismus konnte sich nach 1989 nicht auf eine natürliche und gesunde Weise entwickeln. Viele Karrieren und Vermögen entstanden, gerade weil die entsprechenden Personen mit Postkommunisten und den neuen Machthabern, die die ganze Zeit über vom ancien régime abhängig waren, kooperierten bzw. in ihrer Nähe blieben."

In einem Interview für den Fernsehsender TVN 24 bedauerte er, dass das alte System ohne eine Revolution gefallen war. Der Preis dafür wären die Einflüsse der alten Nomenklatura gewesen. Er kritisierte oftmals die "Politik des dicken Striches" der ersten Postwende-Regierungen, bei der als Belohnung für den unblutigen, am "Runden Tisch" ausverhandelten Machttransfer den kommunistischen Funktionären weitgehende Straffreiheit zugesichtert wurde .

Einer von Morawieckis Mitarbeitern erinnert sich in der Gazeta Wyborcza: "Er sagte manchmal, dass er für das Land etwas machen möchte. Geschichte ist sein Leben, aber die Kariere plant er auf Jahre hinaus. Er liebt Piłsudski und sieht sich selbt in der Rolle eines Diktators, der sich der Größe Polens annimmt. Er ist viel intelligenter als Kaczyńskis Mitarbeiter und er weiss, wie er an die Spitze gelangt."

Auch Kaczyński deklarierte mehrfach seine Begeisterung für Marschall Józef Piłsudski , den Nationalhelden, dem Polen einerseits die Unabhängigkeit nach über hundert Jahren Teilungen verdankte, der aber 1926 das Parlament wegputschte und quasi vom Hinterzimmer aus das Land autoritär regierte. Piłsudski war dennoch kein Faschist. Das parlamentarische System wurde unter ihm zunehmend ausgehöhlt, aber nicht abgeschafft, die Parteien wurden nicht verboten, aber in ihrem Handlungsspielraum beschnitten. Wahlen wurden manipuliert, politische Gegner verfolgt, einige liquidiert.

Bild: Kancelaria Premiera/public domain

Der Marschall stand aber für ein multiethnisches Polen, er stellte sich schützend vor die Minderheiten, vor allem die Juden. Die rechtsradikalen Kräfte, die PiS ins politische Mainstream zu holen versucht, favorisieren vielmehr die zu Piłsudski in Opposition stehende Nationalpartei von Roman Dmowski, einem erklärten Antisemiten. Piłsudski, der 1935 starb, besetzt in der kollektiven polnischen Erinnerung eine überaus positive Rolle.

Ende 2014, noch als Chef einer mehrheitlich ausländischen Bank, schickte Morawiecki eine E-Mail mit dem Titel "Neokoloniale Rente, oder wieviel wir als Polen noch bezahlen werden" an seine Mitarbeiter. Darin heißt es: "Polnische Streitigkeiten über die Ausgaben für das Gesundheitswesen, die Bildung oder die Armee sind lächerlich im Vergleich zum notorisch nicht analysierten und nicht diskutierten Problem der Drainage des Landes vom Kapital durch ausländische Unternehmen. Nur im letzten Jahr waren es 82 Milliarden Zloty, das entspricht 5% des BIP."

Und weiter: "Gäbe es diesen gigantischen Geld-Abfluss nicht, würde sich Polen letztes Jahr im atemberaubenden Tempo von 6,6 Prozent des BIP entwickeln und jeder von uns hätte im Schnitt um 2126 Zloty mehr in der Tasche. Diese horrenden Summen sind nichts anderes als, erlauben Sie mir einen Neologismus, eine neokoloniale Rente. Die Konsequenz der Raub-Privatisierung, in Folge derer die besten polnischen Firmen für einen Spottpreis verscherbelt, oder der ungleichen Konkurrenz gnädiger Weise zur Zerstörung freigegeben wurden, erinnert an die Erbeutung des Goldes aus indianischen Städten durch europäische Konquistadoren. (…) Diese jährliche milliardenschwere neokoloniale Rente ist das banale Schicksal einer jeden modernen Peripherie."

Morawiecki schließt mit den Fragen: "Wo bleiben die Analysen dieser Situation durch die führenden polnischen Ökonomen im Ton allwissender Weiser, die große Reden darüber schwingen, wie die Privatisierung zu Ende geführt werden und wie die hoch entwickelten Länder eingeholt werden sollten? Warum schweigen in diesem Punkt die heldenhaften Fahnder der Unzulänglichkeiten des freien Marktes?" Worauf er die führenden Namen der Väter der neoliberalen polnischen Wirtschaftsreformen der Nachwendejahre, allen voran Leszek Balcerowicz aufzählt.