Polen: Der "Gute Wandel" der PiS im Wandel

Seite 5: Von Mitstreitern zu Feinden

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Das Narrativ des einzig gangbaren Weges der Kompromisse am Runden Tisch, bei dem die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei als erste im damaligen Ostblock auf ihre Macht verzichtete, der "Politik des dicken Striches", der "Marktwirtschaft ohne Adjektive" und des wirtschaftlichen Neoliberalismus der frühen Nachwendejahre wurde von Anfang an von einer kleinen, aber lautstarken Gruppe ehemaliger Oppositioneller des rechten Spektrums scharf kritisiert und radikal abgelehnt.

Im Einklang mit den öffentlichen und privaten liberalen Medien verachteten die neuen politischen Eliten diese Stimmen, die einstigen Mitkämpfer wie Kornel Morawiecki, Andrzej Gwiazda oder Anna Walentynowicz galten als rückwärtsgewandte, klerikale und unversöhnliche Radikale und sie passten nicht ins politische Mainstream der frühen Neunzigerjahre. Auch, oder gerade weil sie oft die Missstände und Verwerfungen der politischen und wirtschaftlichen Wende beim Namen nannten.

Sie fanden schließlich Verbündete im Vater Rydzyk und seinem Radio Maryja. Mittlerweile zu einem Medien- und Wirtschaftsimperium angewachsen, unterstützte Rydzyk stets diese konträren Meinungen. Die Gruppe radikalisierte sich zunehmend, rechtsradikale, rassistische und antisemitische Meinungen vermischten sich mit echtem Unmut über die Armut, Ausgrenzung und Ungerechtigkeit. Die Hörer, oft ältere Wendeverlierer, wurden vom politischen- und Medienmainstream oft verhöhnt. "Mohair-Mützen", oder "Smolensker Sekte" waren die gängigen Bezeichnungen der sonntäglichen Kirchengängerinnen, der Stammwählerschaft der PiS.

Die Gewerkschaftsbewegung "Solidarność", die in ihrer Glanzzeit zu Beginn der achtziger Jahre 9.5 Millionen Mitglieder zählte, war ein Sammelbecken unterschiedlicher Interessen, die die Ablehnung und der Kampf gegen den gemeinsamen Feind, das kommunistische System der Volksrepublik Polen, einigten. Das Spektrum reichte von Links bis Rechts, die mächtige katholische Kirche stellte mit Geldern aus dem Vatikan und indirekt aus dem Westen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung.

Nach der Wende zersplitterte der Solidarność-Block, einstige Kollegen und Mitstreiter wurden oft zu erbitterten Feinden. Das Narrativ des rechten Flügels, das Vater Rydzyks Sender über Polen nach der Wende verbreitete, lautet: Ausverkauf des nationalen Vermögens, kommunistische Seilschaften in der Regierung und der Wirtschaft, Angriffe auf christliche Werte, Bedrohung durch werteliberale Ideologien des Westens wie Gender, Feminismus, Euthanasie, Homosexualität, Multi-Kulti.

Zur PiS stieß Morawiecki erst vor wenigen Jahren, er beriet Beata Szydło, damals noch eine der Stellvertretenden Vorsitzenden in Wirtschaftsfragen. Als er Kaczyński vorgestellt wurde, soll dieser von Morawiecki hingerissen gewesen sein: Er hätte dem PiS-Chef einen präzisen Plan zu einer erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialpolitik und zu ihrer Finanzierung vorgelegt.

Als Morawiecki 2015 den außerordentlich gut dotierten Job des Bankenchefs gegen jenen des Wirtschaftsministers und Vizepremiers eintauschte, verlangte er Garantien, dass er alle seine Vorhaben ohne Querschüsse von anderen Ressorts, allen voran vom Finanzministerium, in die Tat umsetzen wird können. "Ihr braucht mich und nicht ich euch", soll er gesagt haben. Ein Jahr später erhielt er auch den Posten des Finanzministers.

Bei einer Veranstaltung auf der Warschauer Universität sprach er damals von der Falle des mittleren Einkommens, in die Polen getappt wäre: "Wir haben relativ niedrige Löhne, aber eine rasche Anhebung würde unsere Konkurrenzfähigkeit mindern. Gleichzeitig sind die Löhne hoch genug, sodass uns ein Abfluss von Investitionen in Länder droht, wo die Arbeitskraft noch billiger ist. Wir hatten das bereits im 17. Jahrhundert, das hat schlecht geendet. Wir müssen nun die Betonung auf geschickte, intelligente Spezialisierung, Aufbau von Biotechnologie, elektrotechnischer- und Werftindustrie legen."

Bald kündigte er an, die Entwicklung der polnischen Wirtschaft solle sich auf polnische Ressourcen, anstatt auf ausländisches Kapital stützen. Dem "Morawiecki-Plan", oder offiziell der "Strategie für eine verantwortungsvolle Entwicklung", stand ein Zitat vom Józef Piłsudski "Polen wird groß sein, oder es wird nicht sein" voran. Der Plan beinhaltete soziale Zielvorgaben, aber auch Begrenzung der Treibgas-Emissionen, Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie und das sofortige Aussetzen weiterer Privatisierungen. Ab nun sollte der Staat zum treibenden Motor der Entwicklung werden, staatliche Unternehmen sollten in neue, von der Regierung definierte Technologien investieren.

Über 80% der Banken sind in Polen im ausländischen Besitz. Der jährliche Gewinn von ca. 15 Milliarden Zloty wird zumeist unversteuert aus dem Land gebracht. Daraus will Morawiecki seine Sozialvorhaben finanzieren: Ein Drittel dieser Gewinne soll durch eine Bankensteuer abgeschöpft werden. Eine weitere Maßnahme zur Finanzierung seiner Vorhaben sah eine Sonderabgabe auf Geschäfte mit einer Fläche von über 250 m2 vor, also in erster Linie Supermärkte großer ausländischer Handelsketten.

Viele PiS-Anhänger sind davon überzeugt, dass die EU, allen voran Deutschland, an der Aufrechterhaltung des derzeitigen Status quo, also der peripheren Rolle Polens, interessiert sei. Demnach gehe es beim Vertragsverletzungsverfahren der EU also nicht um die Unabhängigkeit der Medien oder Gerichte, sondern um einen Angriff auf die Souveränität ihres Landes.

Morawiecki genießt beim PiS-Vorsitzenden großes Vertrauen. Kaczyński versteht wenig von Wirtschaft, Finanzmärkten oder der Globalisierung und welchen Einfluss diese auf die nationale Ökonomie haben. Morawieckis Pläne, von der aktiven Rolle des Staates über den wirtschaftlichen Nationalismus bis hin zu den staatlichen Großprojekten gefallen Kaczyński sichtlich. Der Gesundheitszustand des PiS-Chefs nährt viele Spekulationen, laut Beobachtern dürfte der 67-Jährige in Morawiecki den Wunschkandidaten für seine Nachfolge gefunden haben.

Ein langjähriger Mitarbeiter Morawieckis in 2016 zu Gazeta Wyborcza: "Den Posten des Vizepremierministers sieht er als eine Etappe und nicht als die Krönung der Kariere. Wenn er etwas erreichen möchte, ist er geduldig, er kann lange warten und den Eindruck des loyalsten Untergebenen vermitteln. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass er Kaczyńskis Platz einnehmen will."

Als Wirtschafts- und Finanzminister und Szydłos Vize trug Morawiecki alle umstrittenen Maßnahmen der PiS mit, verteidigte diese mehrfach. Als die Partei die Wahl der fünf obersten Richter zum Verfassungsgerichtshof annullierte, sagte er im Sejm: "Das Recht ist eine wichtige Sache, aber nicht heilig. Über dem Recht steht das Wohl des Volkes. Ein Recht, das dem Volk nicht dient, bedeutet Unrecht." In 2016 trat Morawiecki offiziell der PiS bei.