Polen: Der rechte Monolith bröckelt

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Es wird eng für die von der PiS angeführte rechtsnationale Koalition

Es wird eng für die von Prawo i Sprawiedliwość (Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS) angeführte rechtsnationale Koalition, die Polen seit 2015 regiert. Ihre absolute Mehrheit im Sejm ist auf nur wenige, zudem überaus volatile Stimmen, geschrumpft. Die Partei von Jarosław Kaczyński regiert ja nicht alleine.

Zwei Juniorpartner – Solidarna Polska (Solidarisches Polen) des jakobinischen Justizministers und Generalstaatsanwalts Zbigniew Ziobro und die Kleinpartei Porozumienie (Verständigung) von Jarosław Gowin, bildeten bis August 2021 das Wahlbündnis Zjednoczona Prawica (Vereinigte Rechte). Seit geraumer Zeit brodelt es zwischen den Koalitionspartnern.

Gowin, ehemals Justizminister in der wirtschaftsliberalen Vorgängerregierung unter der Führung von Donald Tusk, positionierte sich als das liberale und gemäßigte Gesicht der Regierung. So blockierte er einige radikale Vorhaben der PiS, wie zuletzt das neue Rundfunkgesetz oder das Herzstück der Sozial- und Wirtschaftspolitik, ein als "Polnische Ordnung" getauftes sozio-ökonomisches Programm der PiS. Gowin weigerte sich diese neue Steuerreform, die seiner Ansicht nach Unternehmer bloß zusätzlich belasten würde, mitzutragen.

Schließlich musste er den Posten des Ministers für wirtschaftliche Entwicklung, Arbeit und Technologie räumen und seine "Verständigung" kündigte die Koalition mit der PiS auf. Für Kaczyński wurde Gowin ohnehin zunehmend zum Ballast, Kaczyński intrigierte immer wieder gegen Gowin und warb zudem dessen Abgeordneten ab.

Nach seinem Abgang gab Gowin einige Einblicke in das Innenleben der Koalition. So erklärte er in einem Interview, dass er noch 2022 mit vorgezogenen Wahlen rechne. Die Staatsausgaben seien durch die Corona-Pandemie derart gestiegen, dass 2023 große Einschnitte im Budget notwendig seien. Kaczyński könnte nun die Flucht nach vorne versuchen, um in vorgezogenen Wahlen seine Machtposition zu festigen.

Für den ultrakonservativen, dem christlich-fundamentalistischen Think Tank Ordo Iuris nahestehendem Ziobro, der für die umstrittene Justizreform und die Anti-LGBT-Politik der Regierung verantwortlich zeichnet, ist die PiS nicht rechts genug. Ziobro verbreitet eine radikale Anti-EU-Stimmung und zieht sogar den "Polexit" in Erwägung. Zudem will er als Anführer des rechten Lagers Kaczyńskis Nachfolge antreten. Sein Rivale in diesem Machtkampf ist der Regierungschef Morawiecki.

So war die bisherige Positionierung Kaczyńskis ein labiler Eiertanz zwischen klerikal-nationalistischen Fundamentalisten und den moderaten PiS-Anhängern. Obschon der PiS-Vorsitzende tendenziell gemäßigtere Politiker wie den Premierminister Morawiecki protegiert, benötigt er Ziobro zur Sicherung seiner ultrarechten Flanke. Kaczyński, der sich längst von seinen eigenen früheren ideologischen Prinzipien verabschiedet hat, gebärt sich nunmehr als zynischer und skrupelloser Stratege. Der Zweck heiligt die Mittel.

PiS als Geisel des "parlamentarischen Planktons"

Die Führung der PiS hat alle Schalthebel der Verwaltung und der staatsnahen Betriebe mit eigenen Vertrauten und Verwandten besetzt. Der Nepotismus wurde zum Instrument zur Beschaffung von Mehrheiten im Sejm, dem Parlament. Nach dem Abgang Gowins sucht Kaczyńskis Partei Verbündete unter wilden Abgeordneten und bei anderen Kleinparteien.

Hinter den Kulissen scheut sie nicht vor politischer Korruption zurück. Mit Postenschacher und Versprechungen von Regierungsposten konnte sie einige Stimmen in der Bewegung "Kukiz'15" des ehemaligen Rockmusikers Paweł Kukiz für sich gewinnen. Wie dünn die Stimmenmehrheit mittlerweile geworden ist, zeigen die jüngsten Abstimmungen rund um das neue Rundfunkgesetz, auch "Lex TVN" genannt.

Ein Vorschlag zur Gesetzesänderung, wonach in Polen nur noch Fernsehsender zugelassen werden sollen, deren Eigentümer zu 51 Prozent aus Polen oder einem Land des Europäischen Wirtschaftsraumes stammen, hat es im August 2021 mit einer hauchdünnen Mehrheit und mittels unsauberer Praktiken durch das Parlament geschafft.

Das Oberhaus, der Senat, hat die Gesetzesnovelle abgewiesen, diese kam zurück in den Sejm, wo sie abermals mit Stimmen der PiS und ihrer Verbündeten schließlich beschlossen wurde. Die Gesetzesänderung richtet sich, entgegen anders lautender Beteuerungen der Regierung, klar gegen den im Besitz des US-Amerikanischen Konzerns Discovery befindlichen regierungskritischen Sender TVN. Der PiS-Abgeordnete Marek Suski gab offen zu:

Wenn wir es schaffen das Gesetz durchzubringen und ein Teil der Anteile (des Fernsehsenders) durch polnische Geschäftsleute aufgekauft wird, können wir Einfluss haben auf das, was in diesem Sender passiert.

Marek Suski

Letztlich erwies sich dieser Erfolg für PiS als ein Pyrrhussieg. Das Anti-TVN-Gesetz wurde nach massiven Protesten der US-Regierung, der EU und unter dem Eindruck landesweiter Demonstrationen von Staatspräsident Duda als verfassungswidrig eingestuft und mit seinem Veto belegt. Es war nicht das erste Mal, dass die PiS mit ihren radikalen Projekten in die Defensive gezwungen wurde.

Ablenkungsmanöver: Die Krise an der polnisch-weißrussischen Grenze

Die Proteste gegen das Mediengesetz bescherten der PiS-Regierung weltweit negative Schlagzeilen. Da erschien die Krise an der polnisch-weißrussischen Grenze wie ein Geschenk des Himmels. Der belarussische Präsident Lukaschenko startete im Herbst 2021 einen Versuch, mittels Herankarren von Migranten an die lettische, litauische und polnische Grenze die Rücknahme der EU-Sanktionen gegen sein Land zu erpressen.

Polen verhängte einen Ausnahmezustand und eine Informationssperre über das gesamte Ostgrenzgebiet, hielt Journalisten und NGOs von der Grenze fern und inszenierte den Schutz der EU-Außengrenze medial zu einem Heldenepos, inklusive einer TV-Show mit verblassten Disco-Sternchen wie Lou Bega und No Mercy als Mutmacher für die Grenzschützer.

Ähnlich wie 2015 glaubte die PiS die Grenzkrise für ihre Zwecke nutzen zu können. Während polnische Soldaten in den Grenzwäldern gegen das Eindringen von ein paar Tausend frierenden Männern, Frauen und Kindern ankämpften, die, überwiegend aus dem irakischen Kurdistan kommend, über Polen nach Deutschland weiterwollten, vermittelten die Staatsmedien das Narrativ, wonach Polen die EU vor einer Masseninvasion von kulturfremden Eindringlingen schütze.

Pressekonferenzen zeigten Bilder aus angeblichen Smartphones der Migranten, auf welchen kinderpornographische und sodomitische Inhalte zu sehen waren. Mit einer solch überzogenen Propaganda dürften Spindoktoren der PiS den Bogen überspannt haben. Statt die Bevölkerung gegen die Migranten aufzuhetzen, bewirkte die Propaganda vielmehr Mitleid.

Dorfbewohner in der Sperrzone sammelten Kleider und Lebensmittel, nahmen Menschen, die es über die Grenze schafften, bei sich auf. Laut einer Umfrage von OKO.press waren 72 Prozent der Polen und sogar die Mehrheit der PiS-Wähler für humanitäre Hilfeleistung für Migranten. Die Zustimmungswerte der Regierungspartei rasselten in den Keller. Inzwischen hat das Höchstgericht die Zugangsbeschränkungen zum Grenzgebiet retrospektiv für verfassungswidrig erklärt.

Um von innenpolitischen Problemen abzulenken, versucht nun die Regierung nach außen Härte und Selbstbewusstsein zu beweisen und scheut dabei nicht die Konfrontation mit Polens engsten Verbündeten und Nachbarn.

Jarosław Kaczyński lud im Dezember 2021 Chefs und Vertreter von zehn europäischen rechtspopulistischen Parteien zum "Warschauer Gipfel" ein, darunter Marine Le Pen und Viktor Orbán. Das Vorhaben, eine eigene Fraktion im Europaparlament zu gründen, scheiterte wegen der gegensätzlichen Interessen der Teilnehmer, vor allem gegenüber Russland.

Das Treffen der Rechtsaußen der EU richte sich laut dem PiS-Vize-Vorsitzenden Macierewicz gegen "die deutsche Hegemonie". Doch der Vorstoß fand kaum Widerhall bei den Teilnehmern. Immer wieder, wenn es innenpolitisch turbulent wird, zieht Kaczyński die antideutsche Karte aus dem Ärmel.

So meinte er unlängst, Deutschland plane die EU in ein "Viertes Deutsches Reich" zu verwandeln. Mit seiner "Lex TVN" schaffte er es auch, den Groll der US-Administration auf sich zu lenken. Jarosław Gowin verriet, dass sogar die Drohung eines Teilabzugs der US-Truppen aus Polen im Raum stand. Schon davor überwarf sich die PiS-Regierung mit ihrer umstrittenen Justizreform mit der Europäischen Kommission.

Diese hat gegen Polen das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und der Europäische Gerichtshof hat Polen zu einer Strafzahlung von einer Million Euro täglich verdonnert. Selbst mit dem kleinen Nachbarn Tschechien liegt Warschau im Clinch um den Kohleabbau im grenznahen Turów, welcher dem tschechischen Grenzgebiet das Grundwasser abgräbt.

Auch in diesem Fall hat der EuGH tägliche Strafzahlungen in Höhe von einer halben Million Euro angeordnet. Da sich Polen beharrlich weigert, den Zahlungsaufforderungen nachzukommen, kündigt die EU-Kommission an, erstmals in der Geschichte UE-Fördermittel einzubehalten, um so die Strafzahlungen auszugleichen.