Polen und Österreich - zwei rechte Brüder?

Seite 2: Warum "Recht und Gerechtigkeit" erfolgreich wurde

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die PiS wurde, im Unterschied zur FPÖ, bei ihrer Gründung vor 15 Jahren als eine christlich-konservative Partei konzipiert. Ihre Gründer - tonangebend waren von Anfang an die eineiigen Zwillinge Lech und Jaroslaw Kaczynski - standen ideologisch dem katholisch-konservativen Flügel der deutschen CSU oder der österreichischen ÖVP näher, in Sozial- und Wirtschaftsfragen hingegen waren sie sogar links der westeuropäischen Sozialdemokratie angesiedelt. Auch sprach sich die PiS Anfang der 2000er Jahre entschieden für die Aufnahme Polens in die EU aus.

Der kürzlich beschlossene "Brexit" Großbritanniens löste bei den führenden PiS-Politikern zumindest offiziell Bedauern und Kritik aus, eine ähnliche Volksbefragung in Polen steht nicht zur Debatte. Die traditionell EU-kritische FPÖ hingegen begrüßte das britische Votum und liebäugelt bereits mit dem Gedanken eines "Öxits".

Als Gegenreaktion auf die rasche gesellschaftliche und wirtschaftliche Liberalisierung des Landes nach 1989 versammelte die PiS zu Beginn viele katholische Intellektuelle um sich. Die Kaczynski-Brüder setzten zunächst ein konservatives, soziales, in ihrer Diktion "solidarisches", dem werte- und wirtschaftsliberalen Polen entgegen, sie wollten "christliche Werte" und den Nationalstolz der Polen, der aus ihrer Sicht in einer heldenhaften polnischen Geschichte begründet war, staatlich stärker gefördert sehen. Sie verfolgten eine sogenannte "Geschichtspolitik", in der der polnische Beitrag zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, vom Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg über die positive Rolle bei der Rettung polnischer Juden bis zur "Befreiung Europas vom Kommunismus", angemessen gewürdigt werden sollte. Die Schattenseiten der Geschichte sollten ausgeblendet werden.

Einen wichtigen Pfeiler ihrer Politik bildete der Kampf gegen "alte kommunistische Seilschaften", die die Politik in Polen nach der Wende des Jahres 1989 bestimmt und korrumpiert hätten. Sie sahen die 1989 am "Runden Tisch" ausverhandelte "Politik des dicken Striches" der ersten postkommunistischen Regierungen Polens, die ja zumeist von ehemaligen Weggefährten der Kaczynski-Brüder gebildet wurden, als einen Verrat an der Idee der Solidarnosc an. Ihre Radikalisierung erfuhr die PiS zunächst durch den Absturz der Präsidentenmaschine über Smolensk in 2010. Der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski und bedeutende Teile der konservativen Elite des Landes kamen dabei ums Leben, worauf Lechs Zwillingsbruder Jaroslaw die damals regierende Bürgerplattform PO zunächst der Versäumnisse bei der Aufklärung des Unglücks bezichtigte, um später einen eigenen Mythos rund um die Katastrophe mit dem Vorwurf der Mitschuld der Regierung und sogar der Mitwirkung Russlands aufzubauen. Andererseits kam es durch die Auseinandersetzung mit der acht Jahre lang regierenden wirtschaftsliberalen PO von Donald Tusk zur Verhärtung der ideologischen Fronten. In dieser Zeit vollzog sich in Polen, angekurbelt durch den EU-Beitritt und daraus resultierende milliardenschwere Investitionen in die Infrastruktur, in Bildungs-, Kultur- und soziale Einrichtungen, ein rascher sozialer und wirtschaftlicher Wandel, von dem in erster Linie der erstarkte Mittelstand profitierte.

Die Verlierer des wirtschaftlichen Booms

Trotz der dramatischen Umwälzungen und des stets anhaltenden hohen Wirtschaftswachstums blieben viele Polen auf der Strecke. So verdienten 2015 laut dem polnischen Hauptstatistikamt die meisten Arbeitnehmer knappe 400 Euro netto im Monat, das mittlere brutto-Jahreseinkommen lag unter 10.000 Euro. Die Lebenshaltungskosten in Polen liegen nur ca. 20 Prozent unter jenen in Deutschland oder Österreich. Die Arbeitslosigkeit beträgt knappe 6 Prozent (Eurostat-Berechnung) und konnte vor allem durch massive Abwanderung von Arbeitskräften ins EU-Ausland abgefedert werden.

Über 20 Prozent der Beschäftigten, v.a. junge Menschen arbeiten mit sog. Müllverträgen und sind nicht rentenversichert. Nach österreichischer oder deutscher Definition würden somit gut 80 Prozent der Polen auch 25 Jahre nach der Wende im Prekariat leben, weit unter Hartz IV oder der Mindestsicherung. Die 500 Zloty (knapp 115 Euro) Kindergeld, die die PiS im Wahlkampf versprochen hatte und nun ab jedem zweiten Kind in der Familie auszahlt, waren und bleiben das stärkste Argument für die meisten Wähler dieser Partei.

Viele Gebiete, vor allem im Osten des Landes, haben vom Boom der Großstädte ebenfalls weniger profitiert, die Arbeitslosigkeit an der "Ostwand" blieb hoch, die Jungen verließen das Land massenhaft Richtung Westen. Es waren überdurchschnittlich viele Ostpolen, die der PiS ihre Stimme gaben. Teile dieser "Wendeverlierer" wandten sich, unterstützt durch einen erzkonservativen Flügel der katholischen Kirche, zunehmend der PiS zu. Rund um den rechtsklerikalen und verschwörerischen Sender "Radio Maryja" entstand eine Bewegung, die zunehmend in der Politik tonangebend wurde und der PiS zum Wahlsieg verholfen hatte. Die liberalen Mainstream-Medien, wie auch das öffentliche Fernsehen, haben unter der Vorgängerregierung der PO den Wirtschaftsliberalismus zu ihrem Credo erhoben, haben soziale Probleme und Armut vielfach ausgeblendet und jegliche Systemdebatten unterdrückt. Die Arroganz der Mächtigen gipfelte 2014 in der sogenannten Abhöraffäre. In einem von der Politklasse frequentierten Warschauer Nobelrestaurant haben Kellner ca. 900 Stunden Gespräche der führenden Politiker des Landes aufgezeichnet und sie einem Wochenmagazin zugespielt.

Im vulgärsten Gossenjargon spotteten Regierungspolitiker über ihr Wahlvolk, machten bei Calamari und teurem Wein schmutzige Deals und Absprachen, einige gaben das Versagen des Staates offen zu. Tusks liberale Regierungspartei PO war am Ende und er selbst, wohl der einzige Politiker, der Kaczynski herausfordern und vielleicht stoppen konnte, folgte dem lukrativen Ruf nach Brüssel, wo er zum EU-Ratspräsidenten gewählt wurde.

Die Flüchtlings- und Ausländerthematik, die im polnischen Wahlkampf und auch in der gegenwärtigen Tagespolitik nur ein Randthema bleibt, muss auch in diesem Zusammenhang gesehen werden. Polen wurde von den Migrationsbewegungen der letzten Jahre, mit Ausnahme von mehreren hunderttausend Ukrainern und Menschen aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, die mehr oder weniger illegal im Land leben und arbeiten, verschont, trotzdem wurde v.a. in den sozialen Netzwerken ein Bild der Bedrohung durch den Islam aufgebaut.

Diesen Fehlinformationen wirkt die jetzige Regierung kaum entgegen. Im Gegenteil, Premierministerin Szydlo sowie einige führende PiS-Politiker spielen bei ihrer Argumentation gegen die geplanten EU-Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen die Islamophobie-Karte gerne aus. Die staatlichen Medien, tragen mit ihrer oft bewusst stereotypen Berichterstattung über Moslems in Westeuropa zu dieser Desinformation bei. Das wiederum ermutigt diverse rechtsextreme und Neonazi-Gruppierungen zu ausländerfeindlichen Aufmärschen und offenen, oft gewaltsamen Exzessen. Die meisten Polen zeigten bis zu den letzten Wahlen wenig Interesse für Politik. Es lag einerseits an einem in Polen aufgrund jahrhundertealter Fremdherrschaft tradierten Misstrauen "den oben an den Futtertrögen" gegenüber, andererseits an einer gewissen Selbstzufriedenheit der Mittelklasse, die den sozial Benachteiligten zunehmend mit Desinteresse, ja Verachtung begegnete. Seit der Wende war die Wahlbeteiligung stets niedrig und lag zuletzt bei knapp über 50 Prozent. Aufgrund der spezifischen Wahlarithmetik baut nun eine von der Minderheit gewählte Gruppierung den Staat nach ihren Vorstellungen um.