Polen und Österreich - zwei rechte Brüder?

Seite 4: Die PiS-Wähler

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Auch die Wahlstrategen der PiS haben der Partei in der Wahlkampagne sowohl um das Präsidentenamt als auch für das Parament ein neues, liberaleres Gesicht verpasst, haben die Blut- und Boden-Propaganda und die Verschwörungstheorien rund um den Absturz der Präsidentenmaschine über Smolensk elegant umschifft. Die PiS gab sich sozial und mit dem freundlich lächelnden Andrzej Duda beinahe jugendlich-moderat.

Jaroslaw Kaczynski und einige radikale Gesichter wie Antoni Macierewicz wurden im Wahlkampf geschickt versteckt, um jüngere Menschen nicht abzuschrecken. Diese Wähler haben gewiss nicht für einen Staatsumbau, die Entmachtung des Verfassungsgerichts oder einen Kulturkampf gestimmt, vielmehr wurden sie durch soziale Versprechen, etwa 500 Zloty Kindergeld, Senkung des Rentenantrittsalters, die Konvertierung der Franken-Kredite, die hunderttausende junge Familien zum Wohnungskauf aufnahmen, oder Abschaffung der sog. Müllverträge buchstäblich gekauft. Die neuen PiS-Wähler haben aber auch für einen Wechsel in der Politik gestimmt. Nach acht Jahren liberaler Regierungen unter der Bürgerplattform (PO) waren sie der Arroganz der Macht überdrüssig. Dennoch waren es verhältnismäßig wenige Polen, die der PiS ihre Stimme gaben. Bei einer Wahlbeteiligung von 50 Prozent entfielen 37,6% der Stimmen auf die PiS. Das bedeutet, dass gerade 19% bzw. 5.7 Millionen von 30 Millionen Wahlberechtigten für "Recht und Gerechtigkeit" gestimmt hatten. Nur aufgrund der Wahlarithmetik hat die PiS nun im Sejm, dem polnischen Parlament, die absolute Mehrheit.

Historischer Hintergrund

Ähnlich wie in Österreich, spielten auch in Polen in der Zwischenkriegszeit faschistische Tendenzen eine Rolle. Doch Kaczynski deklarierte mehrfach seine Begeisterung für Marschall Jozef Pilsudzki, den Nationalhelden, dem Polen einerseits die Unabhängigkeit nach über hundert Jahren Teilungen verdankte, der aber 1926 das Parlament wegputschte und quasi vom Hinterzimmer aus das Land autoritär regierte.

Dennoch, Pilsudzki war kein Faschist. Das parlamentarische System wurde unter ihm zunehmend ausgehöhlt, aber nicht abgeschafft, die Parteien wurden nicht verboten, aber in ihrem Handlungsspielraum beschnitten. Wahlen wurden manipuliert, politische Gegner und Vertreter von Minderheiten verfolgt, einige liquidiert. Der Marschall stand aber für ein multiethnisches Polen, er stellte sich schützend vor die Minderheiten, vor allem die Juden.

Die rechtsradikalen Kräfte, die einige PiS-Politker derzeit ebenfalls umwerben, favorisieren vielmehr die zu Pilsudzki in Opposition stehende Nationalpartei von Roman Dmowski, einem erklärten Antisemiten. Pilsudzki, der 1935 starb, besetzt in der kollektiven polnischen Erinnerung eine durchaus positive Rolle. Im Zweiten Weltkrieg gab es zwar Fälle von Kollaboration, Denunziantentum sowohl an Juden als auch sie versteckenden Polen und Widerstandkämpfern, doch war Polen unbestreitbar eines der ersten Opfer der deutschen Aggression mit katastrophalen Folgen für die gesamte Bevölkerung.

Die nach dem Krieg entstandene Volksrepublik von Moskaus Gnaden betrieb ein eigenes Geschichtsverständnis, in dem kein Platz für kritisches Hinterfragen der eigenen Rolle war. Erst ab Mitte der 80er Jahre begann eine intellektuelle Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Nach der Wende 1989 kamen auf der rechten Seite des Parteispektrums aufgefrischte Ressentiments wieder hoch, in Anlehnung an die Tradition der Nationalpartei antisemitische Anfeindungen von Politikern, die im Rahmen der neu gewonnenen und oft missverstandenen Meinungsfreiheit offen und unverhüllt artikuliert wurden. Kaczynski und sein Entourage vertreten ein verklärt-romantisches, rückwärtsgewandtes Selbstbild eines starken, stolzen und katholisch-konservativen Polens, das es in der Geschichte in dieser Form nie gab.

FPÖ bleibt trotz des modernen Images xenophob, islamophob und rechtsradikal

Die knapp fünfzig Prozent Wählerstimmen für Norbert Hofer in Österreich erzählen in diesem Kontext eine etwas andere Geschichte. Umgerechnet auf eine Wahlbeteiligung von 74% bedeuten sie immerhin 37% aller wahlberechtigten Bürger. Und Hofer ist nicht irgendein Politiker, der aus dem Nichts kam. Als dritter Nationalratspräsident und stellvertretender Bundesparteiobmann der FPÖ war er in Österreich bereits seit Jahren einigermaßen bekannt.

Hinter dem stets lächelnden Familienmenschen steckt eine FPÖ-typische Sozialisierung: etwa seine Mitgliedschaft in der schlagenden "pennal-konservativen Burschenschaft Marco-Germania", der "völkischer Nationalismus" und "Demokratieskepsis" zugeschrieben werden. In ihrer Eigendefinition "lehnt die Burschenschaft die geschichtswidrige Fiktion einer "österreichischen Nation" ab, die "sich seit 1945 in den Gehirnen der Österreicher festgepflanzt" hätte. Hofer war Vortragender und Ausbildner im FPÖ-Bildungsinstitut, der freiheitlichen Kaderschmiede. Er schrieb am Parteiprogram mit, in dem das Bekenntnis zur "deutschen Volksgemeinschaft" unterstrichen wurde.

Hofer verteidigt seinen Büroleiter, der vor Jahren bei einer Demonstration von Neonazis in Wien mitmarschierte: "Mein Mitarbeiter hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen." Die Sache sei "25, 30 Jahre her", man solle ihm "aus so etwas keinen Strick drehen", sagte er gegenüber Journalisten. Und eine private Seite hat Hofer ebenfalls preisgegeben: sein Lieblingsmaler heißt Manfred Wiesinger, Künstlername Odin. Selbst ein schlagender Burschenschaftler, malt Odin ganz im Stile völkisch-esoterischer Nazi-Künstler und signiert seine Werke mit der "Odal-Rune".

Um die politische Mitte nicht zu vergraulen, war Hofer während der beiden Wahlkampfrunden bei seinen Formulierungen sehr vorsichtig. Da und dort ließ er die die Maske fallen, wenn er etwa das Verbotsgesetz, nach dem nationalistische Wiederbetätigung unter Strafe steht, abgeschafft sehen wollte oder Richtung der Regierung im Falle seines Sieges drohte: "Ihr werdet sehen, was noch alles möglich ist."

Die Freiheitliche Partei, aus der VDU, einem Sammelbecken von Alt-Nazis entstanden, hat ihre Ideologie nur oberflächlich an die neuen Zeiten angepasst. Sie bleibt trotz des modernen Images, das sie sich in den Sozialmedien gerne verpasst, xenophob, islamophob und rechtsradikal.

Österreichs Rolle während der Nazi-Herrschaft, die Beteiligung hochrangiger österreichischer Nationalsozialisten an den Kriegsverbrechen und am Holocaust müssen nicht näher erörtert werden. Was aber in der Nachkriegsgeschichte Österreichs erwähnenswert ist, ist die jahrzehntelange Leugnung der eigenen Mitschuld und Mitbeteiligung an den Kriegsverbrechen und das bis in die späten achtziger Jahre in den Schulbüchern und der Politik kolportierte Selbstbild des Landes als "Hitlers erstes Opfer".

Diese ganz und gar beabsichtigte Verdrängungspolitik der österreichischen Nachkriegspolitiker, die dem Land ein neues und positives Gründungsmythos und Selbstverständnis zu verpassen suchten, hat die FPÖ erst möglich gemacht und stark werden lassen. Michael Hart spricht in seinem Kommentar (Die Hoferisierung Österreichs, der Standard, 21.05.2016) von einer "latent autoritären und menschenverachtenden Grundstimmung in der Gesellschaft".

Die Partei erfuhr seit den 1980er Jahren unter ihrem schillernden Obmann Jörg Haider einen steilen Aufschwung und kratzte bei Nationalratswahlen bereits mehrmals an der 30% Marke. Zu jener Zeit ging es um eine offen fremdenfeindliche Rhetorik und oft um ein revisionistisches Geschichtsverständnis, wenn Haider etwa die "ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich" lobte oder SS-Veteranen hofierte.

Ein großes Thema blieben seit eher die Fremden, ihr Zuzug und ihre Integration. Nach Haiders Unfalltod 2008 führte Heinz-Christian Strache Haiders Politik fort, die Sprache, die Themen änderten sich kaum, auch blieb die Wählerschaft in etwa bei 30 Prozent erhalten. Mit der Krise, dem befürchteten und realen Abstieg der Mittelklasse, wurden aber immer mehr Österreicher der mit nur kurzen Unterbrechungen seit Jahrzehnten fortgeführten Zwei-Parteien-Dominanz in der Innenpolitik überdrüssig und sehen immer mehr die Alternative in der FPÖ.

Die Freiheitlichen wissen die neuen Medien geschickt zu nützen und sprechen durch ihre Facebook und Twitter-Aktivitäten viele junge Menschen besser an, als die etablierten Parteien. Dabei spielt die Ideologie der FPÖ für die meisten Hofer-Wähler wohl eine untergeordnete Rolle, viel mehr geht es um einen Protest gegen "das System".

Strache und seine Gesinnungsgenossen vernetzen sich mittlerweile europaweit, wobei auch hier eine Ost-West-Teilung merkbar wird. Die FPÖ, der Vlaams Belang, Gert Wilders' PVV, die AfD, der Front National und die Lega Nord verfolgen hier einen eigenen Weg, den etwa Ungarns Fidesz oder die polnische PiS nicht oder nur sehr bedingt teilen. Viel mehr kamen aus Osteuropa auf die Einladung der FPÖ zu einem Treffen von Rechtspopulisten in Wien Mitte Juni zwielichtige und skurrile Ultranationalisten, wie der Rumäne Rebega oder der Tscheche Okamura, der seine Landsleute auffordert, zur Demütigung von Muslimen Schweine vor die Moscheen zu treiben.

Die gemeinsamen Wurzeln

Auch wenn ich bisher versucht habe, die Unterschiede hervorzuheben, könnte man dennoch die rhetorische Frage stellen, ob diese teilweise konträren Entwicklungen nicht doch zwei Seiten einer und derselben Medaille sind.

Das mittlerweile weltweite Abgleiten von Wirtschaftsnationen nach rechts, von Trump in den USA über Erdogan in der Türkei bis Abe in Japan, ist wohl kaum ein zufälliges Zusammentreffen historischer Ereignisse. Haben wir es nicht viel mehr mit einem Umbruch im gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu tun?

Immerhin, in allen diesen Ländern wurden seit zwei Jahrzehnten ähnliche, neoliberal ausgerichtete Reformen durchgesetzt. In Polen wurde die Gesellschaft einer Radikalkur unterzogen, in Österreich vollzog sich der Wandel viel gemächlicher, abgefederter, die Verwerfungen sind aber auch hier fühlbar. Das Land bekommt die Auswirkungen der Wirtschaftskrise in den Ländern der europäischen Peripherie deutlich zu spüren. Ist das Wiederaufflammen der radikalen Nationalismen nicht ein Schutzreflex vor vermeintlichen Bedrohungen, im Osten vor der die alte Werteordnung bedrohenden Moderne, im Westen vor den kulturfremden Ausländern?

Gleich, ob Ungarn oder Frankreich, die Slowakei oder Großbritannien, die Menschen in Europa scheinen vom bisherigen "System" angewidert zu sein, die Vernetzung und der rasche Informationsaustausch durch die neuen Medien beschleunigen die Entwicklung. Kritisches Hinterfragen und tiefgreifende Analysen haben medialen Hypes und ungeprüften Gerüchten Platz gemacht, einfache Lösungen werden eingefordert. In einigen Jahren könnten wir in einem anderen Europa aufwachen und ein Déjà-vu erleben, dessen Rückkehr auf unserem Kontinent wir nie für möglich gehalten hätten.

.