Politsprache als Waffe: FPÖ und AfD auf Kollisionskurs mit der Demokratie?
Politsprache der AfD und FPÖ spaltet. Verbalradikalismus untergräbt den demokratischen Diskurs. Werden die Brandmauern halten? Ein Essay.
Deutschland debattiert nach wie vor über den Umgang mit den jüngsten AfD-Wahlerfolgen. Und noch bevor die Diskussion abebbt, ereignet sich ein anderes politisches Beben. Am 29. September finden Parlamentswahlen in Österreich statt. Vermutlich wird die rechtspopulistische "Schwesterpartei" der AfD, die FPÖ, stärkste Kraft bei einer Bundeswahl. Österreich als Probebühne für die Welt?
Der deutsche Dramatiker Friedrich Hebbel, der den Großteil seiner beiden letzten Lebensjahrzehnte in Wien verbrachte, schrieb dort u. a. einen Prolog in Gedichtform, der 1862 im Wiener Hofoperntheater vorgetragen wurde. Darin heißt es: "Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die Große ihre Probe hält, und waltet erst bei uns das Gleichgewicht, so wird’s auch in der anderen wieder licht."
Ein paar Jahrzehnte später, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, wendete der österreichische Schriftsteller und Satiriker Karl Kraus das Hebbel-Wort in sein Gegenteil. Er apostrophierte Wien u. a. als "Versuchsstation des Weltirrsinns" und Österreich als jene des "Weltuntergangs".
Ob oder welche der beiden pointierten Ansichten zu Österreich man teilen möchte, bleibt dem persönlichen Geschmacksurteil überlassen. Allgemeiner Konsens herrscht mittlerweile jedoch darüber, dass die fortschreitende Verrohung der politischen Sprache den demokratischen Diskurs nicht nur in der Alpenrepublik, sondern weltweit von innen aushöhlt.
Verbalradikalismus ist längst keine Randerscheinung mehr, er hat sich bereits als "normaler" Bestandteil des politischen Miteinanders festgesetzt – und das mit verheerenden Konsequenzen.
Das AfD-FPÖ-Sprachdouble?
Verbalradikale politische Sprache ist mehr als eine Provokation, sie ist ein kalkulierter Angriff auf die Grundlagen der demokratischen Kultur. Termini wie etwa "Remigration" stellen keine harmlosen Wortspiele dar, sondern sind sprachliche Sprengsätze, die ein gesellschaftliches Klima der Feindseligkeit und des Ausschlusses erzeugen. Derartige Rhetorik bricht den demokratischen Diskurs, untergräbt den politischen Dialog und fördert Polarisierung.
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Abgesehen von "kleinen Details" der FPÖ-Parteigeschichte – Friedrich Peter, ein ehemaliger SS-Obersturmführer war von 1958 bis 1978 ihr Parteiobmann –, unterscheidet die FPÖ etwas Gravierendes von Ihrer jungen Schwesterpartei AfD: während letztere eine Bottom-up-Strategie wählt und sich über die Kommunen und Landtage nach oben arbeitet, verfolgt die FPÖ umgekehrt einen Top-down-Ansatz.
Sie stellt den Kanzleranspruch. Mehr noch, den "Volkskanzler"-Anspruch, womit kein heiteres Jodeln, sondern ein dumpfer Heimatbegriff in allen, auch in den düsteren Schattierungen mitschwingt.
Man darf den Terminus Volkskanzler ablehnen, kann diesen kulturell indezent finden oder der FPÖ ob dieser Wortwahl schlechten politischen Geschmack attestieren. Und gewiss war und ist eine Assoziation zum Volkskanzler von 1933, der erst in den Folgejahren zum Reichskanzler avancierte, niemals beabsichtigt; ein Schelm, der Böses dabei denkt!
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Historische Assoziationen haben der FPÖ noch in keinem Wahlkampf der letzten 50 - 60 Jahre geschadet, ganz im Gegenteil. Im Übrigen nannte der Volksmund Deutschlands und Österreichs auch Ludwig Erhard und Bruno Kreisky liebevoll "Volkskanzler". Und dass die ÖVP, Schwesterpartei der CDU, "nur wenn es im Sinne der Staatsräson nicht anders geht", d. h. inoffiziell: "nicht gerne, aber dennoch jederzeit" mit der FPÖ eine Regierung bildete, hat sie bereits, mit dem aus freiheitlicher Sicht legendären Parteiobmann Jörg Haider und dessen Epigonen, hinlänglich bewiesen.
Die alpenländischen Brandmauern waren politisch immer schon durchlässig, geradezu porös. Und einen Cordon sanitaire gab es in Österreich zuletzt vor etwa 200 Jahren, im Grenzgebiet zwischen der Habsburger Monarchie und dem Osmanischen Reich. Danach nicht mehr, nicht einmal in den 1930er Jahren, als man ihn dringend gebraucht hätte.
"Remigration" und "Homogenität"
Die Bezeichnung "Remigration" war einer der Hauptgründe, warum Marine Le Pen und Ihr Rassemblement National, nach erfolgreich geschlagener Europawahl im Juni, die Fraktionsbildung mit der AfD platzen ließen. Remigration war und ist aus französischer Sicht ein unerträglicher, überdies unpräziser Terminus, ein Unwort. Es geht über die Abschiebung von Straftätern hinaus und trägt auch die Bedeutung einer pauschalen Umkehr von Migration in sich.
Natürlich finden sich sowohl die befremdliche Remigration als auch fragwürdige Aussagen zur Homogenität des Staatswesens samt tendenziöser Bildsprache und anderen irritierenden Erklärungen auf insgesamt neun Seiten im aktuellen FPÖ-Wahlprogramm. Das ist Wahlkampf auf Österreichisch, grauenvoll-gemütlich bis zur ersten Hochrechnung; danach wird wieder niemand das Ergebnis gewollt haben.
Wahlslogans wie "Die Festung Österreich" klingen vertraut nach "Die Festung Deutschland stärken". Auf den ersten Blick scheinbar harmlos, normalisieren solche Catchphrases Denkmuster, die auf Abschottung und Ausgrenzung basieren. Kontaminierte Politsprache etabliert eine Sprachkultur, die Spaltung vorantreibt, ohne dass der eigentliche Angriff sofort erkennbar ist.
Populismus – Verbalradikalismus – Demagogie
Verbalradikalismus zielt darauf ab, den Diskurs zu verschieben – weg von der inhaltlichen Debatte, hin zu emotional aufgeladenen Bildern und Feindbildern. Er wird häufig mit Hassrede gleichgesetzt, doch er operiert weitaus geschickter. Hassrede richtet sich gegen konkrete Personengruppen, Ethnien oder gesellschaftliche Minderheiten, übt sprachliche Gewalt aus und greift die Würde von Menschen an.
Verbaler Radikalismus hingegen verändert den Rahmen des gesamten Diskurses, arbeitet mit Andeutungen und Metaphern und schafft jenes Umfeld, in dem aggressive Sprache und ausgrenzende Denkweisen als akzeptabel gelten.
Toxische Rhetorik in Krisenzeiten
Toxische Rhetorik ist gerade deshalb besonders gefährlich, weil sie in Krisenzeiten wirksam eingesetzt werden kann. Wächst die Unsicherheit in einer Gesellschaft, greifen Populisten gezielt zu Verbalradikalismus, um diffuse Ängste zu schüren und die Gesellschaft weiter zu spalten.
Worte werden zu Waffen, welche latente Ressentiments wecken und die politische Landschaft nachhaltig vergiften. Ob in Deutschland, den USA oder Russland – die Muster und Zielsetzungen ähneln einander: Der demokratische Diskurs soll geschwächt oder zerstört werden, um autoritäre Ideen salonfähig zu machen.
Gewalttaten nicht bagatellisieren
Tatsächlich begangene Gewalttaten – die keinesfalls bagatellisiert werden dürfen, wie die jüngsten Verbrechen in Mannheim und Solingen –, können zu leicht amplifiziert, über ganze Ethnien und Nationen gestülpt und als politischer Steigbügel für das Schüren von Ressentiments missbraucht werden.
Was dabei oft übersehen wird: Worte sind nicht harmlos. Besonders beunruhigend ist die perfide Spielform dieses Phänomens, der "sanfte Verbalradikalismus". Bei diesem versteckt sich die Radikalisierung der Sprache hinter vermeintlich harmlosen, mitunter sogar positiven Begriffen.
Ein Paradebeispiel war die Instrumentalisierung des Christentums während der europäischen Flüchtlingskrise. Populisten nutzten den Begriff "Abendland", um xenophobe Narrative zu verbreiten und gleichzeitig den Anschein zu erwecken, sie verteidigten europäische Werte. Diese subkutane populistische Rhetorik täuschte eine moralische Überlegenheit vor, während sie in Wirklichkeit ausgrenzende und fremdenfeindliche Denkmuster verstärkte.
Wann wird es politisch "wieder licht"?
Populistische, autoritäre Fallensteller bleiben eine latente Bedrohung für den demokratischen Diskurs. Diese leben davon, dass sie nicht überzeugen, sondern überreden und ein binäres Weltbild erzeugen: Gut gegen Böse, Freund gegen Feind. Differenzierte Debatten? Fehlanzeige.
Was, wenn Slogans wie "Hol Dir Dein Land zurück" oder "Mut zu Deutschland" ins Zentrum des politischen Sagbaren rücken und die Chance erhalten, mehrheitsfähig zu werden? Nicht in Thüringen, Sachsen oder abgewandelt in Österreich, sondern demnächst auch in Deutschland? Auf Bundesebene, bei einer der nächsten Wahlen?
Damit es nicht dunkel wird, auf beiden Seiten der bereits rissig gewordenen Brandmauer, wäre es höchst an der Zeit, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten. Denn dreiste Heilsversprechen in einfachen Worten waren immer schon bedrohlich. Nicht nur auf der Probebühne Österreich, sondern an sich, denn der demokratische Diskurs ist ein zerbrechliches Gut. Ist man schon wieder bereit, diesen leichtfertig aufs Spiel zu setzen?
Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Sein neues Buch "Demagogie. Sozialphilosophie des sprachlich Radikalbösen" erscheint in Kürze. Zuletzt erschienen: "Minimale Moral. Streitschrift zu Politik, Gesellschaft und Sprache" (2023, 2. Aufl.) sowie "Lüge, Hass, Krieg. Traktat zur Diskursgeschichte eines Paktes" (2022).