Polizei-Beschwerdestelle nur für Sachsen Anhalt
Polizeiskandale bleiben hierzulande meistens ohne ernsthafte Konsequenzen. Übergriffe werden allenfalls aktuell vermeldet, für die Folgen interessiert sich kaum jemand
Erstmals will nun ein Landesinnenminister politische Konsequenzen ziehen und substanziell etwas ändern. Holger Hövelmann, (SPD), Innenminister von Sachsen-Anhalt, hat angekündigt, für sein Bundesland eine zentrale Beschwerdestelle Polizei zu schaffen. Eine Telepolis-Umfrage unter seinen Ministerkollegen zeigt, dass er damit ziemlich alleine steht. Nur in Hamburg spielen ähnliche Ideen in den laufenden Koalitionsgesprächen zwischen CDU und Grünen eine Rolle.
Ein Minister sieht braun
Holger Hövelmann zog mit seiner Initiative, eine Zentrale Beschwerdestelle Polizei als Instanz außerhalb der klassischen Dienstwege und als Ansprechpartner für die Bürgerinnen und Bürger einzurichten, die Konsequenz aus dem seines Erachtens unbefriedigenden Ausgang von Disziplinarverfahren gegen Polizeibeamte wegen rassistischer und menschenverachtender Äußerungen.
So hatte ein höherer Beamter in Halle während einer Dienstbesprechung zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh (Wenn Flüchtlinge in Deutschland sterben...) in Polizeigewahrsam gesagt „Schwarze brennen eben mal länger.“ Ein daraufhin am 17. Februar 2005 gegen den Beamten eingeleitetes Disziplinarverfahren endete für den Urheber des Spruches lediglich mit einem Verweis und damit mit der mildesten möglichen Ahndung.
Dass es Polizeibeamte gibt, die solch zynische, menschenverachtende Bemerkungen abgeben, empört mich auch jetzt noch. Dass es danach fast zwei Jahre dauerte, um in einem Disziplinarverfahren zu einer Entscheidung zu kommen, dafür habe ich kein Verständnis
:Holger Hövelmann
Hövelmann kündigte "grundlegende Schlussfolgerungen" aus dem Vorgang an: „Die Auseinandersetzung mit ausländerfeindlichem Denken und Handeln in der Polizei ist eine Führungsaufgabe“, so der Minister. Die zeitnahe Aufarbeitung von Vorfällen wie dem in Halle liege in der unmittelbaren Verantwortung der Behördenleitung. „Diese Verantwortung werde ich einfordern."
Der Innenminister sprach sich für eine weitere Öffnung der Polizei für einen Dialog mit der Gesellschaft und für die Sichtweise der Opfer von Verbrechen aus.
In den letzten Monaten hat es viele Vorschläge gegeben, wie eine solche Öffnung aussehen kann. Diese Ideen wollen wir aufgreifen. Wir wollen deshalb den Aufgabenkatalog des Landespräventionsrates so erweitern, dass er einen ständigen Dialog zwischen Polizei und Gesellschaft organisieren und sicherstellen kann. Beim Landespräventionsrat wollen wir eine Zentrale Beschwerdestelle Polizei einrichten, die für Anliegen sowohl von Polizistinnen und Polizisten als auch von Bürgerinnen und Bürgern offen steht.
Holger Hövelmann
Bündnis 90/Die Grünen begrüßten die Ankündigung des SPD-Ministers, schließlich hatten sie die Einrichtung einer solchen unabhängigen Beschwerdestelle zuvor immer wieder gefordert. Ihr Landesvorsitzender Christoph Erdmenger:
Wichtig bei der Umsetzung ist jetzt die Etablierung weitreichender Prüfungsrechte, aber auch der glaubwürdige Schutz der betroffenen Polizistinnen und Polizisten. Dies steht und fällt auch mit der Glaubwürdigkeit der Person, die mit der Leitung beauftragt wird.
Christoph Erdmenger
Neuauflage der Polizeikommission in Hamburg?
Eine dem Hövelmann-Vorschlag vergleichbare Polizeikommission hatte es vorher, aber nur für kurze Zeit, in Hamburg gegeben. Sie wurde von Ronald Schill wieder abgeschafft. Das war übrigens dessen erste Amtshandlung in seiner Funktion als Innensenator im ersten Senat des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, Ole von Beust.
Die Kommission bestand aus drei ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Senat berufen wurden. Ihre Unabhängigkeit war gesetzlich garantiert. Bürger konnten sich mit ihren Anliegen direkt an die Kommission wenden, ebenfalls Polizeibedienstete - auch außerhalb des offiziellen Dienstweges. Polizisten, die sich zu diesem Schritt durchrangen, waren durch ein gesetzlich verankertes Benachteiligungsverbot geschützt. Die Kommission hatte ein Recht auf Auskunft und Einsicht in alle Akten und Unterlagen aller Dienststellen der Polizei sowie das Recht auf unangemeldeten Zutritt zu allen Polizeidienststellen. Sie unterlag ausdrücklich keinem Strafverfolgungszwang, konnte aber dem Innensenator Einzelfälle zur Prüfung und weiteren Veranlassung vorlegen. Sie hat der Bürgerschaft einen jährlichen Tätigkeitsbericht vorgelegt, in dem sie ihre Erkenntnisse hinsichtlich institutioneller Missstände und struktureller Fehlentwicklungen darlegte.
Möglicherweise wird es in Hamburg eine Neuauflage einer solchen Polizeikommission geben. Auf Fragen von Telepolis erklärte die Sprecherin des noch amtierenden Innensenators Nagel - von dem sonst ganz andere Vorschläge bekannt sind wie zum Beispiel der, die Bundeswehr im Innern einzusetzen:
Sicher haben Sie der Presse entnommen, dass der Gegenstand Ihrer Anfrage zur Zeit auch eines der Themen der Koalitionsverhandlungen in Hamburg ist. Deshalb haben Sie sicher dafür Verständnis, dass wir zu diesem Zeitpunkt dazu keine Stellung nehmen...
Knüppel und Visitenkarten?
Berlins Innenbehörde sieht trotz jährlich hunderter Beschwerden und zahlreicher Verfahren gegen Polizeiübergriffe keine Notwendigkeit für eine unabhängige Beschwerdestelle. Für „interne Beschwerden“ sei die Konfliktkommission der Berliner Polizei zuständig. Sie ist Anlaufstelle für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei, „die sich durch das Verhalten von Kollegen oder Vorgesetzen einem psychischen Leidensdruck ausgesetzt sehen, den sie auf andere Weise nicht bewältigen können.“
Die Mitglieder der Konfliktkommission seien weisungsunabhängig. Außenstehenden bleibt nur der Gang zum Staatsanwalt, wobei in Berlin zwischen den für Beschwerden gegen Polizeibeamte zuständigen Staatsanwälten und Polizeibeamten ein eher kameradschaftlich-herzliches Einvernehmen besteht. Wer sich über Polizeibeamte beschwert, wird meistens selbst mit einem Verfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder anderer Delikte belegt (Polizisten gegen Polizeigewalt). Dennoch bleibt es in Berlin dabei:
Für Beschwerden von außen stehen die Instrumentarien der Anzeige oder der Dienstaufsichtsbeschwerde zur Verfügung. Die Bearbeitung der externen Beschwerden ist der im Stab des Polizeipräsidenten eingerichteten Beschwerdestelle zugewiesen.
In der Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Links-Partei für die Jahre 2006 bis 2011 wurde lediglich festgelegt, dass
die Koalitionsparteien (…) zur Behandlung vertraulicher Hinweise die Interne Revision … zu einer Anlaufstelle derartiger Hinweise erweitern“ werden. Um das Beschwerdemanagement der Berliner Polizei weiter zu optimieren, wird es mit Unterstützung der Freien Universität Berlin derzeit evaluiert. Nach Auswertung der Fragebögen wird das Ergebnis voraussichtlich im Frühjahr/Sommer dieses Jahres vorliegen.
Selbst die seit Jahrzehnten aufgrund zahlreicher Polizeiübergriffe – insbesondere im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg - immer wieder geforderte Kennzeichnung von Polizeibeamten mit Nummern oder Namensschildern wurde bisher nicht durchgesetzt. Stattdessen, so die Pressestelle des Innensenators, habe
eine Erhebung ergeben, dass in den Standardsituationen des täglichen Dienstes das Namensschild auf freiwilliger Basis getragen wird und auch Visitenkarten genutzt werden. Auf Verlangen werden Dienstausweis, Kriminaldienstmarke und Dienstkarte vorgezeigt bzw. ausgehändigt.
Ob Knüppel schwingende Beamte ihren am Boden liegenden Opfern in Zukunft wirklich ihre Visitenkarte überreichen werden? Eine nicht wirklich lebensnahe Vorstellung – aber sicherlich eine filmreife Idee. Die Pressestelle fährt fort:
Die Polizeikräfte der Einsatzeinheiten sind durch Helm- und Rückenkennungen gekennzeichnet, die eine Zuordnung bis auf Gruppenebene ermöglichen. Ob eine weiterreichende Kennzeichnung zielführend ist, wird derzeit geprüft. In diesem Zusammenhang wird die Polizei ein externes Gutachten beauftragen.
Beobachtungen, die nicht nur der Telepolis-Autor machen konnte, belegen, dass diese „Gruppenkennzeichen“ keineswegs immer zur Identifizierung gewalttätiger Beamte beitragen können. Manche Beamte führten auf Helm und Uniform schon öfter unterschiedliche Kennzeichen. Das in der Antwort des Innensenators erwähnte „Gutachten“ braucht sicherlich noch Zeit. Und das ist auch der Sinn eines solchen Gutachtens – Zeit schinden und darauf hoffen, dass es gelingt, solch ein leidiges Thema wie die Polizeikennzeichnung in Berlin über die jeweilige Wahlperiode zu verschleppen, ohne politisch handeln zu müssen.
Weder SPD noch CSU wollen Beschwerdestellen wie in Sachsen-Anhalt
Die übrigen Länderregierungen fassten sich in ihrer Antwort an Telepolis eher kurz. „Eine zentrale Beschwerdestelle Polizei ist in Sachsen nicht geplant“, heißt es aus Dresden. Gleiches erklärten die Landesregierungen von Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein.
Auch in Rheinland-Pfalz sieht die Landesregierung des SPD-Ministerpräsidenten Kurt Beck keinen Grund, dem sachsen-anhaltinischen Beispiel zu folgen. Der Sprecher des Innenministers schreibt:
Die Landesregierung sieht keinen Anlass, neben den bestehenden und bewährten Strukturen eine eigene Beschwerdestelle einzurichten, die sich mit Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gegen das Handeln der Polizei befassen soll. Bürgerinnen und Bürger, die mit einem Bescheid auf eine Beschwerde nicht einverstanden sind, können sich in Rheinland-Pfalz an den Bürgerbeauftragten des Landtags wenden, der als neutrale Stelle jedem Begehren nachgeht.
Allen Anlass für solche unabhängige Beschwerdestellen in den deutschen Bundesländern sehen dafür andere – so etwa der Menschenrechtskommissar des Europarates, Thomas Hammarberg. Der erklärte nach seinen Besuchen in Deutschland im Oktober 2006:
Nach Auffassung des Kommissars muss die Polizei in einer demokratischen Gesellschaft bereit sein, ihre Maßnahmen überwachen zu lassen und dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Obwohl es interne Mechanismen gibt, die sich mit Fällen mutmaßlichen Fehlverhaltens der Polizei in Deutschland befassen, ruft der Kommissar die deutschen Behörden auf, zu diesem Zweck unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdegremien einzurichten. Die Unabhängigkeit dieser Beobachtungsgremien kann nur wirksam gewährleistet werden, wenn sie außerhalb der Polizei- und Ressortstrukturen angesiedelt werden. (...)
Ein weiteres wichtiges Element einer wirksamen Beobachtung ist die Erhebung von Daten zu Anschuldigungen wegen Misshandlung oder Fehlverhalten seitens der Polizei sowie zu den von beschuldigten Polizisten erhobenen Gegenklagen. Der Kommissar hat Kenntnis von den früheren einschlägigen Empfehlungen der VN-Vertragsüberwachungsgremien und des Ausschusses gegen Folter und fordert die deutschen Behörden nachdrücklich auf, sich an diese Empfehlungen zu halten.
Thomas Hammarberg
Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) kritisierte bereits 2003, dass es – wie ihr berichtet worden sei - in Deutschland sehr schwer sei,
mit einer Beschwerde gegen polizeiliche Misshandlungen durchzudringen, was verschiedene Ursachen hat. Eine übertrieben lange Dauer der Untersuchung, eine gewisse Scheu mancher Staatsanwälte gegen die Polizei vorzugehen und schließlich der Umstand, dass gegen die Opfer polizeilicher Misshandlungen Gegenklagen erhoben werden.
ECRI
ECRI forderte ebenfalls bereits 2003 die Einsetzung unabhängiger Untersuchungskommissionen zur Aufklärung behaupteter Misshandlungen. Zudem empfiehlt ECRI bei der polizeilichen Ausbildung auch auf Wachsamkeit gegenüber Rassismus und unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung zu dringen Diese Forderung unterstützt auch amnesty international:
Die Etablierung eines von der Polizei unabhängigen Beschwerde- und Untersuchungsmechanismus bleibt eine zentrale Forderung von Amnesty International, weil wir meinen, mit diesem Instrument ungesetzliche Polizeigewalt vorzubeugen und –wenn sie denn geschehen ist- sie aufzuklären und die polizeilichen Täter vor Gericht zu stellen.