Polski Big Brother

Versuchter Stimmenkauf: Heimlich gemachte Videoaufnahme stürzt Polen in die politische Krise

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Andrzej Lepper, der am vergangenen Freitag entlassene Vizepremier und Landwirtschaftsminister, hatte dem polnischen Premierminister Jaroslaw Kaczynski und seiner Partei PiS vorgeworfen, mit unlauteren Methoden Abgeordnete aus den Reihen seiner Partei Samoobrona, auf die Seite der nationalkonservativen Regierungspartei zu ziehen (Per Entengang in die Zukunft Polens). Seit Dienstagabend gibt es dafür auch bildliche Beweise. Der Privatsender TVN strahlte ein heimlich gedrehtes Video aus, auf dem zwei Vertraute Kaczynskis versuchen, der Samoobrona-Abgeordneten Renata Beger mit Posten und Geld den Wechsel in die PiS schmackhaft zu machen. Seitdem herrscht in Polen ein Skandal, der sich mittlerweile für die regierende PiS zu einer ernsthaften Krise entwickelt hat, und der Neuwahlen immer wahrscheinlicher macht. Vor allem auch deshalb, weil sich die Bauernpartei PSL bisher standhaft weigert, mit der PiS zu koalieren.

Es sind keine ungarischen Verhältnisse, die momentan in Warschau herrschen. Gerade mal 200 Demonstranten haben sich nach Angaben polnischer Medien am Mittwochabend vor dem Sejm, dem polnischen Parlament, versammelt, um gegen Jaroslaw Kaczynski und die PiS zu demonstrieren. Erst für Donnerstag wurden von den Organisatoren mehr Demonstranten angekündigt, da Protestierende aus anderen Teilen des Landes erwartet wurden. Doch von einer Massenerhebung wie in Ungarn, kann man nicht sprechen, obwohl einige hartnäckige Regierungsgegner die Nacht sogar in Zelten vor dem Sejm verbracht haben. Ansonsten gibt es gewisse Parallelen, nur dass in Budapest eine heimlich aufgezeichnete Tonbandaufnahme des ungarischen Ministerpräsidenten die Menschen auf die Straße trieb und in Warschau ein heimlich gedrehtes Video.

Am Dienstagabend, kurz nachdem Waldemar Pawlak, der 1992 ein einmonatiges Gastspiel als Premierminister gab, verkündete, dass seine Bauernpartei PSL, die 25 Sitze im Sejm hat, zu keinen Koalitionsgesprächen mit der PiS bereit sei, strahlte der polnische Privatsender TVN (auf dem Sender lief auch mit großem Erfolg die polnische Ausgabe von Big Brother) in seiner Sendung "Teraz My" (Jetzt wir) ein heimlich gedrehtes Video aus, auf denen Adam Lipinski, stellvertretender Parteivorsitzender und Chef der Staatskanzlei des Premierministers Jaroslaw Kaczynski sowie sein Vize im Amt, Wojciech Mojzesowicz, mit der Samoobrona-Abgeordneten Renata Beger zu sehen sind.

Mit Hilfe zweier Journalisten versteckte Beger die Kamera in ihrem Büro, und was darauf zu sehen ist, ist für die zwei Politiker der PiS, vor allem aber für Lipinski, da er der Hauptgesprächsführer war, sehr kompromittierend. Über mehrere Tage hindurch versuchten Lipinski und Mojzesowicz, die Abgeordnete der populistischen Bauernpartei für die PiS zu gewinnen. Damit Beger sich die Entscheidung leichter macht, bietet Lipinski der Bauerntochter mit eigenem Hof einen Vizeministerposten im Landwirtschaftsministerium an. „Wir haben eine Menge freie Stellen“, sagt der Chef der Staatskanzlei auf dem Video zu Beger, als ob er der Personalchef eines florierenden Unternehmens wäre.

Auch an das Finanzielle hat Lipinski gedacht, vor allem damit Beger durch den Wechsel keinen Verlust macht. Alle Fraktionsmitglieder der Samoobrona mussten Lepper vor einem Jahr einen sogenannten Schuldschein unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, über 100.000 Euro zu bezahlen, falls sie die Fraktion in Richtung einer anderen verließen. Ein Umstand, der Lipinski bekannt war. „Es findet sich bestimmt eine solche Möglichkeit, dass das Parlament diese Kosten übernimmt“, sagte er.

Seitdem das Video ausgestrahlt wurde, herrscht in Polen Empörung. Von einem der größten Skandale sprechen die polnischen Zeitungen. Die Online-Ausgabe der Gazeta Wyborcza gab dem Skandal auch schon einen Namen: "Begergate" und nannte Renata Beger „die polnische Mata Hari“. Zudem bietet die liberale Wyborcza das schriftliche Protokoll und das Video auf ihrer Internetseite an. Lediglich die erzkatholische Tageszeitung Nasz Dziennik stellt sich auf die Seite der PiS und erinnert an einen Skandal von 1992, in den der Parteichef der größten Oppositionspartei PO (Bürgerplattform) verwickelt war. Dies tut die Zeitung nicht ohne Eigeninteresse, da sie von den Kaczynski-Brüdern zu einem offiziellen Presseorgan der Regierung gemacht wurde (Die Koalition der Transformationsverlierer).

Neuwahlen scheinen unvermeidlich zu sein, aber niemand will sie

Noch heftiger ist die Reaktion der politischen Gegner. Andrzej Lepper, der von der Aktion angeblich nichts wusste, sprach triumphierend von einem „der schlimmsten Fälle politischer Korruption“. Die linke SLD und die größte Oppositionspartei, die bürgerliche PO, wollen einen Untersuchungsausschuss einberufen. Die schon erwähnte PO ruft zudem auf ihrer Internetseite zu einer Demonstration „für ein besseres Polen“ auf, die am 7. Oktober stattfinden soll. Größte Einigkeit liegt bei den Oppositionsparteien darüber, dass Neuwahlen unausweichlich sind. So schnell wie möglich soll der Sejm zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um sich mit der notwendigen Zwei-Drittel Mehrheit selbst aufzulösen.

Lediglich die LPR von Bildungsminister Roman Giertych ist gegen Neuwahlen. Die PiS und Samoobrona sollten wieder miteinander reden, sagte Giertych am Donnerstag auf einer Pressekonferenz, um gemeinsam weiter regieren zu können. Giertych erhielt sofort eine negative Antwort von Samoobrona-Chef Lepper: „Man geht nicht zweimal in den gleichen Fluss baden.“ Für Giertych und die LPR wäre somit die letzte Chance vertan, im Parlament zu bleiben. Laut Umfragen würde die LPR bei Neuwahlen nicht die 5 Prozent Hürde überspringen.

Die Bemühungen der Oppositionsparteien um eine Neuwahl, die laut neuesten Umfragen vom Großteil der Bevölkerung begrüßt würden, sollten jedoch mit großer Skepsis betrachtet werden. Die noch regierende PiS wollte bereits im Mai dieses Jahres eine Neuwahl, in der Hoffnung, so endlich die Zeiten einer Minderheitsregierung beenden zu können. Doch das Parlament verweigerte dem damals regierenden Premier Kazimierz Marcinkiewicz die notwendige Mehrheit und zwang die PiS in eine Koalition mit der LPR (Liga polnischer Familien) und der Samoobrona. Nicht ohne Grund, denn damals sprachen die Meinungsumfragen noch für die PiS, allein schon, weil mit Kazimierz Marcinkiewicz der bis heute beliebteste Politiker Polens an der Spitze der Regierung stand. Erst mit dem Amtsantritt von Jaroslaw Kaczynski verschlechterten sich die Umfrageergebnisse für die PiS. Dies ist auch der Grund, weshalb heute die PiS gegen Neuwahlen ist und krampfhaft versucht, einen Koalitionspartner zu finden.

Auch die Beweggründe von Renate Beger für die Aktion sind mit einem faden Beigeschmack verbunden, obwohl sie in einem Interview für die Gazeta Wyborczy behauptet, sie habe es für Polen gemacht. Beger war vor einigen Jahren selber in einen Skandal verwickelt. Unterschriftenfälschung, um ein Mandat zu erhalten, hatte man ihr vorgeworfen. Es fand sogar ein Gerichtsverfahren statt, welches mit einer Verurteilung für sie endete. Zudem besteht der Verdacht, dass sich Beger mit der Aktion innerhalb der Sammoobrona reinwaschen wollte. Noch am Freitag soll sie weinend aus einer Sitzung der Fraktion gelaufen sein, da sie von ihren Parteifreunden verdächtigt wurde, die Partei tatsächlich verlassen zu wollen, um in die PiS einzutreten.

Für die PiS könnte dieser Skandal schlimme Folgen haben. Allein schon deswegen, weil er mit Korruption verbunden ist. Die Partei verdankt ihren Erfolg bei den Wahlen letzten Jahres der Tatsache, dass sie sich als eine integere Partei verkaufte und die Skandale der beiden Vorgängerregierungen verurteilte. Vor allem bei den Verlierern der polnischen Wende hatten diese Parolen großen Erfolg, und dieser Gruppe verdankt die PiS auch ihren Wahlsieg. Zudem machte die Partei auch den Eindruck, tatsächlich gegen Korruption vorzugehen und machte dabei auch nicht vor dem Vater des polnischen Wirtschaftswunders Leszek Balcerowicz halt, den die PiS vor einem Untersuchungsausschuss sehen wollte.

Nun versuchen die Funktionäre der PiS zu retten, was noch zu retten ist. Als eine normale demokratische Methode bezeichnete die Partei diese Methode, demokratische Mehrheiten zu schaffen, die in allen Demokratien dieser Welt angewendet werden. Auch Adam Lipinksi, der von eigenen Parteifreunden als „der dritte Kaczynski-Zwilling“ bezeichnet wird und seit 1990 Jaroslaw Kaczynski politisch zur Seite steht, meldete sich zu Wort und rechtfertigte sich in einem Interview. „Er habe als Privatmann mit Beger gesprochen“, sagte er, „und nicht als PiS-Politiker oder Chef der Staatskanzlei.“ Jaroslaw Kaczynski hielt am Mittwoch im Fernsehen sogar eine Fernsehansprache, bei der er die bisherige Arbeit der Regierung lobte und den "Begergate-Skandal" als eine „Verschwörung alter Kräfte bezeichnete“, die ein neues und besseres Polen verhindern wollen. Und Zbigniew Ziobro, der zu PiS gehörende Justizminister, möchte seinerseits als Antwort auf den Untersuchungsausschuss der Opposition einen Ausschuss einberufen, in dem die heimlichen Videoaufnahmen untersucht werden sollen.

Doch egal wie sehr sich die PiS noch bemüht, eine Neuwahl scheint unausweichlich, obwohl der Präsident und Zwillingsbruder der Premiers, Lech Kaczynski noch am Donnerstag sagte, er sehe „keine Chance auf eine bessere Regierung.“ Doch eine Regierung braucht eine parlamentarische Mehrheit, und diese scheint nach diesem Skandal noch unwahrscheinlicher als vor einer Woche nach der Entlassung Leppers und dem Ende der bisherigen Koalition. Nach einer Umfrage sind zwei Drittel der Polen für Neuwahlen.