Per Entengang in die Zukunft Polens
Das Zerbrechen der polnischen Regierungskoalition könnte zu Neuwahlen führen, die Premier Kaczynski aber gerne vermeiden will
Am Freitag entließ der polnische Präsident Lech Kaczynski den bisherigen Landwirtschaftsminister und Vizepremier Andrzej Lepper. Damit zerbrach nach nur sechs Monaten die bisherige rechtskonservative Regierungskoalition aus PiS, Samoobrona und LPR, die laut Koalitionsvertrag Polen zu einem "solidarischen Staat" machen wollte. Doch vor allem die Bauernpartei Samoobrona von Andrzej Lepper und die Partei des Premierministers Jaroslaw Kaczynski PiS hatten zu unterschiedliche Vorstellungen von dem Weg und der Art und Weise des neuen Polen. Schon seit längerer Zeit rumorte es in der Regierung, weshalb die Entlassung von Lepper keine große Überraschung ist. Spannend ist nun die nähere Zukunft. Noch ist unklar, ob es Premier Kaczynski gelingt, eine neue Regierungsmehrheit zu bilden oder ob es zu Neuwahlen kommt.
Der Name Kaczynski ist abgeleitet aus dem Wort "Kaczor", der polnischen Übersetzung für Enterich. Für polnische Journalisten, Komiker und politische Gegner eine Einladung, um sich einen Spaß zu machen und die Brüder Kaczynski mit den typischen Eigenschaften dieses Tieres zu vergleichen. Die ehemalige Regierungspartei SLD bietet auf ihrer Internetseite sogar ein Spiel an, bei dem man eine Entenjagd nachspielen kann. Die Brüder Kaczynski finden dies natürlich nicht lustig, Premierminister Jaroslaw Kaczynski bezeichnete das Internetspiel gar als geschmacklos.
Doch wenn man sich den Regierungsstil des seit Juli amtierenden Premierministers Kaczynski anschaut (Zwei Ämter, ein Gesicht), dann kann man seine Handlungen durchaus mit dem tollpatschigen Gang einer Ente vergleichen, die nur langsam vorwärts kommt. Von Anfang an wird die Amtszeit von Skandalen und politischen Fettnäpfchen bestimmt, die sich auch auf die deutsch-polnischen Beziehungen ausgewirkt haben. Es gab den Streit um die taz-Satire von Peter Köhler und dem Beharren der polnischen Regierung auf eine offizielle Entschuldigung seitens der Bundesregierung, sowie ein im ganzen Ausland belächeltes Ermittlungsverfahren gegen den Autor der Satire, wegen Beleidigung des polnischen Staatsoberhaupts (Warum Polen die TAZ braucht). Im August folgte dann aus Warschau eine heftige Kritik an der vom Zentrum gegen Vertreibungen organisierten Ausstellung "Erzwungene Wege", obwohl kein einziges Regierungsmitglied die Schau in Berlin besucht hat, und zuletzt dachte die polnische Regierung sogar laut darüber nach, die politischen Freiheiten der deutschen Minderheit in Polen einzuschränken.
Aber genauso wie im Umgang mit dem westlichen Nachbar bewies Kaczynski auch in der Zusammenarbeit mit den eigenen Koalitionspartnern mangelndes Einfühlungsvermögen und führte einige Entscheidungen im Alleingang durch. Ein Beispiel dafür ist die Entsendung 1.000 polnischer Soldaten nach Afghanistan, die während des USA-Besuches des polnischen Verteidigungsministers Sikorski bekannt gegeben wurde.
Für den Koalitionspartner LPR (Liga Polnischer Familien) kein Grund zu protestieren, da sich die erzkatholische Partei des Bildungsministers Roman Giertych mittlerweile in einem desolaten Zustand befindet und ums politische Überleben kämpft. Die Partei ist innerlich zerstritten, viele Entscheidungen, wie die Einführung des Schulfachs Patriotismus, stießen in der Bevölkerung auf Unverständnis und auch einige Skandale – so stellte sich heraus, dass mit Piotr Farfal von der LPR ein ehemaliger Neo-Nazi an die Spitze des polnischen Staatsfernsehen gelangte (Lieb mich oder geh) –, schadeten dem Ansehen der Partei. Laut Umfragen würde die Partei heute nicht einmal die 5 Prozent-Hürde überspringen und somit aus dem polnischen Parlament verschwinden.
Ganz anders dagegen war die Reaktion von Andrzej Lepper und seiner Samoobrona auf die Alleingänge von Jaroslaw Kaczynski. Für den Gründer und Führer der Bauernpartei war die Entsendung der polnischen Soldaten an den Hindukusch ein Grund, seinen Unmut kundzutun. Vor allem die Kosten des Einsatzes in Höhe von 340 Millionen Zloty (85 Millionen Euro), kritisierte der bisherige Landwirtschaftsminister und Vizepremier. „Es ist Geld, welches man für Rentner, Arbeitslose, für den Gesundheitsdienst und die Polizei hätte ausgeben müssen“, sagte Lepper kurz nach seiner Entlassung in einem Radiointerview. Damit führt Lepper auch die Kritik an dem Haushalt der Regierung fort, den er noch während seiner Regierungszeit bemängelte. Für ihn ist und war der Haushalt „unsozial“ und verstößt gegen die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag, der den Titel "Ein solidarischer Staat" erhielt, und in dem vor allem eine Verbesserung der Lebenssituation von Rentnern, Arbeitslosen, der bäuerlichen Bevölkerung sowie der Ausbau des öffentlichen Dienstes festgeschrieben wurde.
Leppers Kritik stieß bei Kaczynski auf Unverständnis. „Ruhe und Stabilität sind Polen heute notwendig“, rechtfertigte der Regierungschef in einem Radiointerview die Entlassung Leppers. Es war eine Entlassung, die sich ankündigte, denn bereits in einem zwei Tage vor der Absetzung Leppers erschienen Interview in der Tageszeitung "Zycie Warszawy", gab der Premierminister der Koalition nur noch wenig Chancen: „Es wird schwer, die Koalition fortzuführen.“
Doch nicht nur die Kritik an der Regierungspolitik war für Jaroslaw Kaczynski ein Vertrauensbruch, sondern auch ein angebliches Treffen zwischen Andrzej Lepper und Donald Tusk, dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei PO (Bürgerplattform). Ob dieses Treffen tatsächlich stattfand, wissen nur die zwei Betroffenen genau, da weder Lepper noch Tusk es bisher offiziell bestätigt haben. Aber bereits das existierende Gerücht reichte Jaroslaw Kaczynksi aus, um Lepper und seine Samoobrona zu einem unzuverlässigen Koalitionär zu erklären. „Wenn Lepper Gespräche mit Tusk führt, ist es ein Beweis, dass Lepper und Tusk gemeinsam regieren wollen“, sagte Kaczynski in dem schon erwähnten Zeitungsinterview.
Nach der Entlassung Andrzej Leppers von seinen Ämtern, herrscht in Polen nun wieder mal politischer Stillstand, wie schon in den ersten Monaten der PiS-Regierung, als eine Minderheitsregierung unter Kazimierz Marcinkiewicz von der Tolerierung ihrer späteren Koalitionspartner abhängig war. Nur diesmal ist dieser Stillstand bestimmt von gegenseitigen verbalen Attacken der ehemaligen Koalitionspartner. Jaroslaw Kaczynski warf Lepper vor, wieder in die „Zeiten der Hetzerei“ zurückgekehrt zu sein, und spielte damit auf die politischen Anfänge Leppers an, als dieser mehr durch populistische Aktionen wie der Blockierung von Straßen auf sich aufmerksam machte, als durch konstruktive politische Vorschläge.
Gefahr für die polnische Demokratie
Lepper wiederum wirft Kaczynski und der PiS (Recht und Gerechtigkeit) unlautere politische Methoden bei der Beschaffung einer neuen parlamentarischen Mehrheit vor. In einem Interview für die Radiosendung "Signale des Tages" berichtete der Vorsitzende der Bauernpartei, wie sofort nach seiner Entlassung, sich Funktionäre der PiS um die Sejm-Abgeordneten der Samoobrona bemühten. Bis spät in die Nacht sollen die Telefone bei den Parteifreunden Leppers geklingelt haben, und ihnen, ihren Familien und Freunden wurde dabei Hilfe jeglicher Art angeboten, wenn sie nur die Fraktion der Samoobrona verließen und in die der Kaczynski-Partei wechselten. Glaubhaft macht diese Aussage die Tatsache, dass die PiS in den letzten Monaten schon öfter diese Methode angewendet hat und dabei auch nicht Halt vor den eigenen Koalitionspartnern machte, wie es der Fall einiger LPR-Abgeordneter zeigt. Und auch in diesem Fall hatte die PiS mit dieser fragwürdigen Methode Erfolg, denn bereits vier Abgeordnete der Samoobrona verließen die Fraktion in Richtung der PiS.
Mit dieser Politik unterstreicht Jaroslaw Kaczynski den unbedingten Machtwillen, den er und seine Partei hat, um das Land zwischen Oder und Bug in die angekündigte IV. Republik zu führen. „Wir wollen Polen regieren, um es zu verändern“, sagte der Premier kürzlich in einem Radiointerview. Doch auch Kaczynski ist klar, dass Neuwahlen unvermeidbar sind, falls ihm keine Bildung einer neuen Koalition gelingt. Die bürgerliche PO hat sich bereits für Neuwahlen ausgesprochen, die wahrscheinlich noch im Herbst dieses Jahres, zeitgleich mit den Lokalwahlen, stattfinden würden.
Für Kaczynski und die PiS könnten aber Neuwahlen ein gefährliches Unterfangen sein, denn die PiS geht aus kaum einer Meinungsumfrage als die stärkste Partei hervor. In den Umfrageergebnissen von TNS OBOP wäre die bisherige Oppositionspartei PO mit 30 Prozent die stärkste Partei, gefolgt von der aktuellen Regierungspartei PiS mit 24 Prozent und der Samoobrona mit 8 Prozent. Der Koalitionspartner LPR wäre mit 4 Prozent gar nicht mehr im polnischen Parlament vertreten. Auch in den Umfrageergebnissen von PGB, eines weiteren großen polnischen Institutes für Meinungsforschung, sieht es für die PiS nicht rosig aus. Laut PGB würde sie bei Wahlen zwar 29 Prozent erhalten, wäre aber nicht die stärkste Partei, da die PO ebenfalls auf 29 Prozent käme und auch hier aufgrund des schlechten Ergebnisses von 5 Prozent für die LPR, eine Koalitionsregierung unter der Führung der PiS unmöglich wäre.
Mit diesen Ergebnissen dürften es sich die PiS und ihr Vorsitzender Jaroslaw Kaczynski überlegen, ob sie wirklich Neuwahlen befürworten, denn sie könnten als die Verlierer aus den Neuwahlen hervorgehen und müssten so ihre Pläne von einer Regierungsverantwortung und der Schaffung einer IV. Republik begraben, oder zumindest für die nächsten Jahre in die Schublade legen.
Bei den möglicherweise stattfindenden Neuwahlen würde es aber neben der PiS und ihrem Koalitionspartner LPR noch einen anderen großen Verlierer geben, nämlich die polnische Demokratie. Bereits bei den Parlamentswahlen im Herbst letzten Jahres lag die Wahlbeteiligung bei gerade mal 50 Prozent, was schon damals als das Ergebnis einer Politikverdrossenheit gewertet wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde die Beteiligung bei den Neuwahlen aber noch niedriger sein, und dies wäre für die polnischen Parteien, auch für den Sieger, eine Bankrotterklärung, denn er hätte bei den bisherigen Umfrageergebnissen nur die Stimmen einer Minderheit der polnischen Gesellschaft erhalten.