Poroschenko: "Es ist ein Kampf der Kulturen, kein interner Konflikt"

Der ukrainische Präsident hat berechtigte Angst, dass über Syrien und die Annäherung zwischen Russland und dem Westen die Unterstützung der Ukraine einbrechen wird

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Bevor die Regierungschefs des "Normandie-Formats" sich treffen, um über die Umsetzung des Minsker Abkommens zu sprechen, wird der russische Präsident Putin die Bühne der Vereinten Nationen nutzen, um die russische Strategie im Nahen Osten vorzustellen und die USA bzw. die Nato-Staaten unter Druck zu setzen, mit ins Boot zusteigen, also eine irgendwie geartete Allianz mit Russland sowie mit Syrien, Iran und Irak einzugehen. Die gerade bekannt gewordene Vereinbarung zwischen den Geheimdiensten der vier Länder scheint Washington überrascht zu haben, zumal dies deutlich macht, dass der Irak, zumindest die schiitisch dominierte Zentralregierung, damit weiter von den USA abrückt (Russland schmiedet Anti-IS-Bündnis mit Syrien, Iran und Irak).

Das Ziel ist sicher erst einmal die Sicherung der russischen geopolitischen Interessen über die Stützung des Assad-Regimes, aber auch der Versuch, Russland wieder stärker als weltpolitischen Akteur ins Spiel zu bringen, der auf der Ebene der Großmächte handelt. Ob Putin mit seiner Syrienstrategie den Ukraine-Konflikt und damit den Konflikt Russland-Nato in den Hintergrund rücken lassen will, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht so klar. Klar ist, dass auch Moskau ein Interesse an der Deeskalation und vor allem an der Beendigung der Sanktionen hat.

Die ukrainische Regierung steht unter Beschuss wegen Korruptionsvorwürfen (Poroschenko in der Zange), ein Ermittlungsverfahren gegen Jazenjuk wegen der Annahme eines Bestechungsgeldes von 3 Millionen US-Dollar wurde gerade eröffnet. Zudem hat sie massiv an Rückhalt in der eigenen Bevölkerung verloren (Ukraine: Regierung ohne Volk) und fürchtet, auf der geopolitischen Bühne von Putin ausgebootet zu werden und für die Nato an Bedeutung zu verlieren. Das würde auch bedeuten, dass die Macht von Regierung und Präsident, die in unterschiedlichen Lagern verankert und mit unterschiedlichen Oligarchen verbunden sind, weiter bröckelt, während rechte und nationalistische Strömungen stärker werden dürften.

Poroschenko versucht, die Bühne in New York zu nutzen, um den Konflikt Russland-Ukraine als zentralen geopolitischen Konflikt für den Westen zu erhalten und gleichzeitig zu versuchen, Russland im UN-Sicherheitsrat zu schwächen. Unterstützt wird er da von manchen transatlantischen Kreisen wie dem Atlantic Council, wo man auch fürchtet, dass Putin mit dem Umschalten auf Syrien und angesichts des Flüchtlingsdrucks bei den europäischen Regierungen den Ukraine-Konflikt herunterspielen will, um das Festhalten an den Sanktionen zu untergraben.

Während man im Atlantic Council vor einem Abrücken von den Sanktionen warnt, solange das Minsker Abkommen nicht vollständig umgesetzt ist, glaubt Präsident Poroschenko, wieder mit der schon zum Ritual gewordenen Rhetorik Aufmerksamkeit zu finden, dass es in der Ukraine nicht um einen internen Konflikt geht, auch nicht nur um die "russische Aggression", sondern dass die Ukraine die Front des Westens ist, an der sich das Schicksal entscheidet.

Das wird deswegen auch immer schwieriger, weil die Flüchtlingsströme mittlerweile in Europa zu einem epochalen Ereignis hochgespielt werden, das Europa verändern und damit auch zur Schicksalsfrage wird. Die Menschen in Europa erleben diese Veränderungen vor ihrer Haustüre, während die Ukraine weit weg ist - und auch medial an Bedeutung verloren hat. Zudem ist über die Flüchtlingsfrage die europäische Einheit am Bröckeln, was auch Auswirkungen auf die Sanktionen haben wird. Schließlich sind genau die Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, auch in der Regel diejenigen, die vor allem an den Sanktionen festhalten wollen - und sich finanziell bislang praktisch nicht an der Flüchtlingshilfe in und um Syrien beteiligt haben.

In einer Rede am Atlantic Council rief Poroschenko zu einer stärkeren transatlantischen Einheit und Solidarität auf. Der Konflikt in der Ostukraine sei "keine Frage des Überlebens der Ukraine, sondern eine des globalen Überlebens". Während viele in Europa einen Kulturkonflikt zwischen den Europäern und den zuwandernden Muslimen sehen, will Poroschenko damit konkurrieren und den Ukraine-Konflikt gar zu einem globalen Kultur- oder Zivilisationskonflikt aufblähen: "Wir brauchen die Solidarität mit der Ukraine, weil es in der Welt nichts Wichtigeres als die Ukraine gibt. Es ist ein Kampf der Kulturen, kein interner Konflikt, wie der Aggressor dies darstellen will."

Auch Regierungschef Jazenjuk versucht ebenfalls mit einer drastischen Rhetorik, die bisherigen Unterstützer der Ukraine bei der Stange zu halten:

Wie appellieren an die ganze Welt: Der von Russland entfesselte Krieg ist ein Krieg gegen die Grundlagen der globalen Sicherheit, unseres Lebens und unserer Zukunft. Ukraine erwartet weder Sympathie noch Verzweifelung. Wir brauchen die Solidarität der Menschheit. Globale Einheit für die Ukraine bedeutet heute die Einheit zur Rettung des Planeten vor dem Krieg und dem Terror, die von Verrückten ausgehen. Die ganze Welt benötigt einen Sieg über Putins Aggression.