Präsident und Dealmaker

Seite 4: Despotische Performanz

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Wie lange nach der Amtszeit eines Präsidenten solche Entscheidungen noch wirksam sein können sieht man an Hugo Black. Ernannt 1937, blieb er Mitglied des Supreme Court bis eine Woche vor seinem Tod. Richter Black starb 1971. Präsident Rinehard in Tweeds Roman will nicht auf das Ableben widerspenstiger Richter warten, und ein Mörder ist er auch nicht. Also vergrößert er den Supreme Court, bis seine Anhänger die Mehrheit haben. Das macht allerdings auch deutlich, dass selbst eine von außerirdischen Mächten beratene Führerfigur das demokratische Staatssystem nicht mit einem Schlag zertrümmern kann.

Der Film dagegen will Dynamik und keinen Sisyphos, der auf dem Weg in die Diktatur erst mühsam die checks and balances im politischen System der USA abtragen muss. Darum genehmigt er sich einen Präsidenten Hammond, der nach dem Prinzip der performativen Verben regiert. Performative Verben sind solche, die im Akt des Sprechens etwas herstellen. Der President-elect führt uns gerade vor, wie man durch Telefonanrufe und Tweets andere Länder in Bedrängnis bringt und an der Börse schnell mal ein paar Milliarden vernichtet. Ein ganz simples Beispiel für ein performatives Verb ist dieses hier: "Ich taufe dieses Präsidentenflugzeug auf den Namen 'Trump'." Im Akt des Sprechens ist es auch schon geschehen.

Der Film demonstriert uns das Prinzip anhand der Minister, die Hammond nicht mehr brauchen kann, weil sie "antiquierte Politiker" sind. "Antiquiert" heißt: Man trifft sich heimlich, in einem Hinterzimmer, um gegen den Präsidenten zu konspirieren, den das gesamte Kabinett für verrückt hält. Brooks, der bereits entlassene Secretary of State und Parteichef, schwört die anderen darauf ein, sich nichts anmerken zu lassen und ein falsches Gesicht aufzusetzen, damit sie Hammond, den einzig wahren Repräsentanten des amerikanischen Volkes, leichter des Amtes entheben können.

Plötzlich wird Beekman angemeldet, der Sekretär des Präsidenten. Das ist ein unheimlicher Moment. Alle fragen sich, woher Hammond von dem Treffen wusste. Mir fällt dazu J. Edgar Hoover ein, seit 1924 Direktor des Bureau of Investigation. Hoover betrieb in der Entstehungszeit des Films intensive Lobbyarbeit, um sich mehr Kompetenzen zu verschaffen. 1935 zahlte sich das aus. Die nun in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannte Schnüffelbehörde erhielt mehr Vollmachten und wurde im Justizministerium zur eigenständigen Abteilung. Roosevelt bestätigte Hoover als Direktor, obwohl ihn viele Berater gedrängt hatten, den Überwachungs- und Karteikartenfetischisten zu feuern.

An Beekmans überraschendes Erscheinen im Hinterzimmer hätte der Film sehr gut ein paar Reflexionen darüber anschließen können, was eigentlich von den Methoden eines Präsidenten zu halten ist, der in der Öffentlichkeit die Geheimniskrämerei anprangert und als Held der Transparenz auftritt, während er gleichzeitig seine Minister bespitzeln lässt. Gabriel Over the White House belässt es aber dabei, dass der Präsident dem Kabinett zeigt, was eine Harke ist. Beekman überreicht jedem der Herren ein Kuvert mit der Aufforderung zum Rücktritt. Dann geht er wieder. Der geforderte Rücktritt ist vollzogen, weil Hammond performativ regiert.

Gabriel Over the White House

Im Roman gründet Präsident Rinehard das Dezernat für öffentliche Sicherheit, eine landesweit operierende Bundesbehörde zur "Aufrechterhaltung der moralischen Standards des Lebens in Amerika". Rinehard will, das das Gesetz wieder "respektiert, gefürchtet und befolgt wird". Das Dezernat erarbeitet sich schnell den Ruf, extrem effizient, überparteilich, absolut integer und frei von politischen Einflüssen zu sein. In der Wirklichkeit war es so, dass sich Hearst und Hoover um die Jahreswende 1932/33 auf eine Kooperation verständigten. Beide hatten gemerkt, wie nützlich sie sich sein konnten.

Kampf gegen den Rechtsstaat

Hearst kriegte Insider-Informationen, Material für seine Medien und einen wertvollen Kontakt im Regierungsapparat. Hoover kriegte kostenlose Reklame für seine Behörde und für sich selbst als Direktor. Wie wenig integer dieser Direktor war weiß man längst. Zweifel an der Effizienz und Überparteilichkeit seines Ladens sind erlaubt. Keine Zweifel an der Großartigkeit der Behörde gab es in der von Hearst produzierten Wochenschau. Die Kamerateams der Metrotone News waren ständig im Kriminallabor des FBI zu Gast, um den Kinozuschauern davon zu berichten, was für tolle Arbeit da geleistet wurde.

Louis Pizzitola zufolge (Hearst Over Hollywood) war die Cosmopolitan 1935 an der Produktion von G-Men beteiligt. James Cagney, neben Edward G. Robinson (Little Caesar) und Paul Muni (Scarface) der bekannteste Gangster-Darsteller (The Public Enemy), wechselt als Brick Davis die Seiten und wird FBI-Agent. Bei einer Anhörung durch den Kongress hält Bricks Vorgesetzter ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, seiner Behörde endlich die Waffen an die Hand zu geben, die sie braucht, um das Verbrechen wirkungsvoll bekämpfen zu können. Das war eine Szene, wie Hearst sie liebte.

G-Men

Würde man die Forderungen des FBI-Manns in konkrete Politik übersetzen wäre die Demokratie mindestens so bedroht wie die Bankräuber. In G-Men ist der Rechtsstaat beim Durchsetzen von Recht und Ordnung eher hinderlich. Von den Gangstern unterscheidet sich Brick Davis vor allem dadurch, dass er nicht für ein Verbrechersyndikat arbeitet, sondern für das FBI. Statt auf Konkurrenten und Polizisten zu schießen wie in The Public Enemy schießt Cagney jetzt nur noch auf Gangster.

Hearsts Zeitungen rührten kräftig die Werbetrommel für G-Men, der eng mit ihrer Kampagne für eine härtere, sich nicht mit rechtsstaatlichen Bedenken aufhaltende Bekämpfung des Verbrechens verzahnt war. Nach anfänglicher Reserviertheit adoptierte das FBI G-Men sehr bald als "seinen Film". Als er 1949 zurück in die Kinos kam war eine Szene vorangestellt, in der ein hoher FBI-Mann den Film angehenden Agenten vorführen lässt, damit sie etwas über die Geschichte der Behörde lernen, als sei das ein Dokumentarfilm.

G-Men

Der Anlass für die Wiederaufführung von G-Men, kann man immer lesen, sei das 25-jährige FBI-Jubiläum gewesen. Tatsächlich war es das 25-jährige Jubiläum von J. Edgar Hoover als Direktor. Ob ihn mit Hearst eine echte Freundschaft verband, oder ob es eher eine Interessengemeinschaft war, ist eine Frage der Interpretation. Jedenfalls arbeiteten sie seit 1932/33 zum gegenseitigen Vorteil eng zusammen. Von einer Cosmopolitan-Produktion wie Gabriel Over the White House sollte man also keine Kritik an einer FBI-ähnlichen Behörde erwarten, die im Film Federal Police heißt. Es bleibt der unheimliche Moment, in dem sich alle fragen, von wem Präsident Hammond seine Informationen bezieht.

Letzte Mahnung für Maurice Chevalier

Sehr wirkungsvoll waren die drastischen Tatortphotos, die - von FBI-Chef Hoover ausdrücklich begrüßt - in Hearsts Zeitungen abgedruckt wurden. Sie befriedigten den Voyeurismus des Publikums, schürten den Volkszorn und schufen das Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung, was wiederum der Forderung nach mehr Kompetenzen für die Sicherheitsorgane größeren Nachdruck verlieh. Da der Kampagnenjournalismus ein Markenzeichen von Hearsts Medienimperium war blieb es nicht beim Kampf gegen das Verbrechen.

1930 lief die "America First!"-Kampagne an, die das ganze Jahrzehnt über andauern sollte. Die Hearst-Presse rief dazu auf, anstelle von europäischen Importen amerikanische Produkte zu kaufen. Der Patriotismus, an den da appelliert wurde, war ein vergifteter, weil er mit Ressentiments gegen Ausländer getränkt war. Hearsts Zeitungen prügelten auf die europäischen Verbündeten ein, die sich im Weltkrieg von den Vereinigten Staaten hatten retten lassen und jetzt ihre Schulden beim amerikanischen Volk nicht bezahlen wollten. Diesen Verbrechern sollten die Amerikaner eins auswischen, indem sie nichts mehr von ihnen kauften.

Am schlechtesten kamen die Franzosen in der Hearst-Presse weg, weshalb es umgekehrt besonders patriotisch war, den Froschessern die kalte Schulter zu zeigen. Für die Paramount war das besorgniserregend. Das Studio produzierte Operettenfilme wie Ernst Lubitschs One Hour with You und Rouben Mamoulians Love Me Tonight (beide 1932) mit dem Publikumsliebling Jeanette MacDonald. Ihr Partner war Maurice Chevalier - ein Import aus Frankreich. Hilfreich war die "America First!"-Kampagne für das neue Traumpaar nicht. Chevalier ging 1934 nicht nur, aber auch ihretwegen zurück nach Frankreich.

One Hour with You

Warum waren gerade die Franzosen so schlimm? Wahrscheinlich deshalb: Hearst wurde 1930 bei einem Frankreich-Urlaub als unerwünschter Ausländer ausgewiesen, weil seine Zeitungen Details aus einem geheimen Marinevertrag zwischen Frankreich und Großbritannien veröffentlicht hatten. Danach hegte er einen Groll gegen die Franzosen. Bei Hearst war es wie bei Donald Trump. Wunderbarerweise waren seine privaten und wirtschaftlichen Interessen die des amerikanischen Volkes. Das muss mit der Perspektive zusammenhängen. Wenn man von weit oben auf die anderen herunterschaut wird alles deckungsgleich.

Es ist nur zu verständlich, wenn jemand wie Hearst, dessen Geschäft die Verbreitung von Nachrichten (und Falschmeldungen) ist, eine Aversion gegen Konferenzen hinter verschlossenen Türen und Geheimdiplomatie hat. In seinem Fall kam eine sehr persönliche Komponente dazu. Seit der in Frankreich erlittenen Demütigung ärgerte er sich noch mehr als zuvor über geheime Abmachungen zwischen Staaten. Das hatte Konsequenzen für Gabriel Over the White House. Hearst muss es eine besondere Befriedigung bereitet haben, dass der Präsident eine Transparenz-Offensive startet und bei der internationalen Schuldenkonferenz die Delegierten damit überrumpelt, dass alles live im Radio übertragen wird.

Gabriel Over the White House

Vor Beginn der Konferenz bittet Hammond die amerikanischen Reporter zu einem Pressegespräch. Es bestehe die Befürchtung, sagt er, dass der Präsident der Vereinigten Staaten wieder einmal von gerissenen europäischen Politikern übertölpelt werde. Die Sorge, dass Amerika erneut mit leeren Taschen aus einem Konferenzzimmer herauskomme, sei unbegründet. Mit in Zimmern abgehaltenen Konferenzen sei jetzt Schluss. Dieses Treffen werde nicht, wie sonst, im Weißen Haus stattfinden, sondern im Lichte der Öffentlichkeit, auf einer Yacht (und im Freien).

Hammond ist die Vorfreude anzusehen, wenn er den Pressevertretern von seinem Plan erzählt, den Europäern die militärische Stärke der USA zu demonstrieren und so sicherzustellen, dass sie endlich ihre Schulden bezahlen. "Diese Schulden", sagt er, "müssen bezahlt werden." Dann wiederholt er es zweimal: "Diese Schulden müssen bezahlt werden. Diese Schulden müssen bezahlt werden." Die Frage, ob er einen Krieg riskieren würde, um die Schulden einzutreiben, lässt er unbeantwortet. Das vorgebliche Hauptziel der Veranstaltung, die Sicherung des Weltfriedens durch internationale Abrüstung, scheint ihm da noch nicht so präsent zu sein.

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