Pressefreiheit im Fall Christian Lindner: Tagesspiegel siegt vor Gericht

Fand die Bank, die ihm einen Immobilienkredit gab, "von Grund auf sympathisch": Christian Lindner (FDP). Foto: Sandro Halank / Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Vorermittlungen gegen Finanzminister: Generalstaatsanwaltschaft muss Medien Auskunft geben. Warum der Beschluss einen faden Beigeschmack hat.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden: Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft muss der Presse zu den Vorermittlungen gegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Rede und Antwort stehen. Das ist begrüßenswert und bedenklich zugleich.

Was war passiert?

Der Minister hatte in einem Grußwort die BBBank über den grünen Klee gelobt und wenige Wochen später einen Immobilienkredit von ihr erhalten. Über die staatsanwaltschaftlichen Vorermittlungen gegen Lindner hatte der Tagesspiegel erstmals am 8. Januar 2023 berichtet.

Und das mit einigem Nachdruck: Es existieren gleich drei Beiträge von diesem Tag: "'Die BBBank ist mir von Grund auf sympathisch': Lindner unter Korruptionsverdacht – die Hintergründe", "Video-Grußwort für Bank: Was Lindner machte, macht man als Minister nicht" und "Korruption durch Kredit?: Lindner droht Strafverfahren wegen Bank-Grußwort".

Die Artikel beschäftigen sich damit, dass "die Korruptionsabteilung der Berliner Generalstaatsanwaltschaft derzeit die Aufhebung von Lindners Immunität als Abgeordneter" prüft, "um förmlich ermitteln zu können". Auch die Hintergründe des Lindner-Grußwort-Komplexes sowie mögliche Strafbarkeitsrisiken werden beleuchtet und kommentiert.

Kurze Zeit später, am 27. Januar 2023, gab die Berliner Generalstaatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung bekannt, dass kein Anfangsverdacht im Zusammenhang mit einer privaten Immobilienfinanzierung für Christian Lindner bestehe. Die in den Medien veröffentlichten Recherchen zu einem Kreditengagement der BBBank für den Bundesfinanzminister hätten keinen Anfangsverdacht strafbaren Verhaltens ergeben.

Weiter heißt es dort:

Anlass für die Prüfung war die Berichterstattung über das Verhältnis zwischen dem Wert der beliehenen Immobilie und der Höhe der für die Darlehensgeberin, die in Karlsruhe ansässige BBBank, bestellten Sicherungsgrundschulden sowie über den zeitlichen Zusammenhang zwischen einem Videogrußwort des Ministers für eine Veranstaltung der BBBank und der kurze Zeit danach noch einmal erhöhten Grundschuldsumme.

Der vor diesem Hintergrund eingeleitete Prüfvorgang diente dazu festzustellen, ob sich aus diesen Umständen und weiteren, allgemein zugänglichen Tatsachen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten ergeben (sog. Anfangsverdacht). Nur dann wäre die Generalstaatsanwaltschaft berechtigt und verpflichtet gewesen, in Ermittlungen einzutreten.


Generalstaatsanwaltschaft Berlin, 27. Januar 2023

Kurzum: Die Vorermittlungen gegen Lindner wurden eingestellt, ein Strafverfahren wurde nicht eingeleitet. Dennoch: Der Redakteur des Tagesspiegels ließ nicht locker und verlangte sowohl vom Bundesfinanzministerium als auch von der Berliner Generalstaatsanwaltschaft weitere Auskünfte.

Als ihm diese Auskünfte verweigert wurden, zog er vor Gericht – und das mit Erfolg. Mit Beschluss vom 26. Juni 2023 (Az. VG 27 L 28/23) stellte das Verwaltungsgericht Berlin klar, dass das Finanzministerium dem Redakteur weiter Auskunft geben muss.

Doch damit nicht genug: Die Generalstaatsanwaltschaft bleibt der Presse ebenfalls auskunftspflichtig, und zwar auch bezogen auf die gegen Lindner geführten Vorermittlungen. So hat es das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 24. Juli 2023 (Az. 6 S 26/23) entschieden.

Persönlichkeitsrecht oder Pressefreiheit?

Die vom Tagespiegel erwirkten Beschlüsse sind begrüßenswert. Denn sie bedeuten eine weitere Stärkung der Pressefreiheit, insbesondere des Auskunftsanspruchs der Presse. Damit heben sie vor allem die Bedeutung der Presse als sogenannter Watchdog hervor. Das ist richtig und gut.

Gleichzeitig kann man aber auch Bedenken haben. Im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg geht es um Auskünfte über Vorermittlungen. Staatsanwaltschaftliche Vorermittlungen sind gängige Praxis und weitgehend anerkannt. Kritik gibt es häufig erst dann, wenn diese Ermittlungen ins Uferlose ausarten. So geschehen im Fall der sogenannten Cum-Ex-Vorermittlungen gegen den heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die sich mehr als zwölf Monate hinzogen.

Vorermittlungen werden mit der Annahme weitgehend kritiklos hingenommen, eine solche Prüfung sei für die betroffene Person in aller Regel vorteilhaft und unproblematisch, weil sie als interner Vorgang meist vom behördlichen Schreibtisch aus erfolge und gegenüber der Einleitung eines Strafverfahrens der niedrigschwelligere Eingriff sei. Das mag sein.

Nimmt man die Strafprozessordnung jedoch streng beim Wort, dann steht dort nichts von Vorermittlungen. Im Gegenteil: Paragraf 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung sieht Strafverfolgung ausdrücklich erst dann vor, wenn "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen".

Das heißt, die Strafverfolgung beginnt erst, wenn ein Anfangsverdacht besteht; Vorermittlungen sind nicht vorgesehen. Werden dennoch Vorermittlungen angestellt, bedeutet das: Die von Vorermittlungen betroffene Person hat nicht den Status eines Beschuldigten und damit – formal gesehen – auch nicht die Rechte eines Beschuldigten. Zudem stehen Vorermittlungen, was ihre Tatsachengrundlage für den Tatverdacht angeht, zwangsläufig auf wackeligen Füßen.

Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf den Schutz des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen erscheint es nicht unbedenklich, wenn das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung darauf hinweist, dass eine Auskunftserteilung an Pressevertreter auch bei staatsanwaltschaftlichen "Vorermittlungen, die nicht in ein Ermittlungsverfahren gemündet sind", nicht per se ausgeschlossen ist.

Was bleibt, ist daher ein fader Beigeschmack – trotz des Sieges der Pressefreiheit.