Private Babes, historische Folter und Fetischwelten
Die Erotikbranche zelebrierte sich zum sexten Mal auf der Venus in Berlin - die Netzfirmen fürchten die neuen Jugendschutzbestimmungen und propagieren den Mobile Sex
Über 300 Aussteller aus aller Welt versammelten sich in den vergangenen vier Tagen erneut auf der Venus in Berlin, dem größten Event der europäischen Erotikbranche. Gaststar war neben den üblichen deutschen Darstellergrößen wie Dolly Buster oder Kelly Trump der mit der ganzen Familie angereiste Hustler-Gründer Larry Flint, der aufgrund seines Kampfes für die Akzeptanz der Porno-Industrie mit dem Ehren-Award für seine Lebensleistung ausgezeichnet wurde. Bei den Online-Firmen der Branche trübte das bevorstehende Inkrafttreten der neuen Jugendschutzregeln die sonst nach wie vor recht rosige Stimmung.
Wenn schon in der U-Bahn die locker verschnürten Brüste wippen, rund ums Messezentrum die High-Heels übers Pflaster wirbeln und es nach dunklem Leder und Gummi riecht, wissen die Berliner, dass die Venus - und damit die Stars und Sternchen der Pornowelt - wieder in town ist. Unterm Funkturm sammelt sich dann alles, was Rang und Namen hat im Geschäft mit der Lust, von Beate Uhse über Orion und das börsennotierte Unternehmen Private bis hin zum Fetisch-Versender aus dem bayerischen Selb.
Die Besucher - dazu zählen der schüchterne, blasse Junge von nebenan genauso wie die fesch herausgeputzte Latex-Queen - drängeln sich an den Ständen, um Logo-verzierte Käppies, Schlüsselanhänger oder unter "strengstem Jugendverbot" stehende Sex-Magazine zu ergattern und sich einmal mit einem nackten Busen im Arm für die Ewigkeit auf einem Foto festhalten zu lassen. Ein Hauch von S und M statt H&M liegt in der Luft, wenn das Tor zum Lusttempel in Halle 21a überschritten wurde und ein halbnackter, dickbäuchiger, maskenverzierter Zeberos entsetzt beim Anblick der Kamera auf schwäbisch zischelt: "Fotos nur von draußen!"
Hustler-Reporter sollen mit an die Front
Doch dann der erste Höhepunkt: Nachdem die Hustler-Girls eine Stunde lang den aufgegeilten Fotografen und Pressevertretern Modell standen, um die Verspätung des Herrn und Meisters zu überbrücken, rollt ein auch im Dauerregen- und Sturm-geplagten Berlin mit Sonnenbrille angetaner Bodyguard endlich Larry Flint persönlich auf den Hustler-Stand. Die Journalistenmeute wird vom Berliner Leibwächter-Urgestein Achmed zusätzlich auf Distanz und hinter einer Absperrung gehalten, sodass es kaum verwundert, dass eigentlich niemand richtig Fragen an den Pionier der Erotikmedien stellen mag.
Ein, zwei Reporter wollen dann doch wissen, wie es Flints Sammlung erotischer Kunst geht - die hat der Ami bereits vor acht Jahren eingestellt, weil er nichts mit ihr anzufangen wusste - und wie es mit dem Sex im Rollstuhl so läuft: "genauso wie ohne". Und dann erzählt Flint einfach selbst noch mit seiner an Mickey Mouse im Stimmbruch erinnernden Stimme von seinem "langen Kampf, Erotik als Mainstream akzeptabel zu machen".
Seinem Präsidenten, George W. Bush, wünscht er gleichzeitig Pest und Cholera an den Hals, für seine Kriegstreiberei in Afghanistan und im Irak (Krieg, Lügen,Videos). Zum Glück ist die Lautsprecheranlage so leise eingestellt, dass die Medienvertreter in der Ausstellungshalle kaum ein Wort verstehen und die "Majestätsbeleidigung" untergeht.
Zu verstehen blieb aber, dass Flint seine Hustler-Reporter demnächst bei den Truppen an der Front dabei haben möchte und dieses Anliegen notfalls mit dem Obersten Gerichtshof der USA durchzusetzen gedenkt. Im Kampf gegen die Al-Qaida-Kämpfer wurden Hustler-Redakteure bislang nämlich nicht von der Armee geduldet. Großes Lob hatte Flint für "Chancellor Schröder" parat, weil es schon einiges an Kraft brauche, Bush die Stirn zu bieten. Da haben sich also zwei Genossen im Geiste gefunden. Über den Verfall der Meinungsfreiheit allgemein und die Missachtung der Menschenrechte in den USA und anderswo auf der Welt klagt Flint dann noch eine Weile, bevor er wieder hinausgeschoben wird. Paris wartet auf den streithaften Medienmacher, dort will Hustler einen "Gentleman-Club" eröffnen, seinen ersten in Europa. Berlin soll als Standort folgen, wenn an der Seine alles gut läuft.
Keine Krise
Richtig flutschig geht das Geschäft nach wie vor im Bereich Online-Adult-Entertainment. Ein Großteil der Stände auf der Venus wirbt für "anspruchsvolle Erotik-Websites" wie Private Babes. Natürlich gibt's dort "keine (0190) Dialer", denn die sind in Verruf geraten. Glaubt man den überall groß angebrachten Hinweisen, dürfte es die Abzockmaschinen zumindest in Zusammenhang mit Online-Sex gar nicht mehr geben. Im Trend sind ferner Webcams, die auf einschlägigen Communities wie Cam24.de gebündelt werden. DVDs versprechen ebenfalls langen Genuss, beispielsweise für die Freunde historischer Foltermethoden, die unter www.history-torture.de wieder belebt werden. Außerdem ist "Mobile Sex" ein neues Stichwort auf der Venus und es wird mit PDAs, Handys und anderen Kleincomputern experimentiert.
Die Umsatzschätzungen der Online-Erotiker belaufen sich allein für Deutschland in diesem Jahr auf rund fünf Milliarden Euro. Die Branche hat damit auch in Zeiten der Krise ihre Kraft durchaus bewahrt. Das Joint-Venture FunDorado.de des Großversenders Orion mit der Freenet AG und der Firma Audiophon, das mit der Abo-Flatrate von 9,95 Euro lockt, hat nach weniger als einem Jahr den Break-Even geschafft und sorgt für 35 Prozent des Orion-Umsatzes. Mitbewerber aus den USA wie Adam & Eve liegen mit Quoten von 50 Prozent zwar noch vorn, aber beklagen will sich in Deutschland niemand.
Dabei ist auch für kleiner aufgestellte Neueinsteiger durchaus noch Platz. "Wir haben nach einem halben Jahr online jetzt schon unsere Jahreserwartung übertroffen", erklärt Björn B. Dorra vom Hannoveraner "Feuchtbiotop"-Spezialisten Cosmorotix.de. Mehrere zehntausend Kunden - die besten davon im Alter zwischen 20 und 35 - sorgen für siebenstellige Einnahmen. Das Geheimnis des Erfolgs sind "ausgefallen Produkte", so Dorra, wie "lustige Vibratoren, anspruchsvolle Dessous und Tie-up-Sets mit Klettverschluss".
Der dunkle Schatten
Wie einen dunklen Schatten fühlt die Branche allerdings die heftig umstrittene neue Jugendschutzgesetzgebung von Bund und Ländern über sich schweben. Just am 1. April nächsten Jahres sollen die neuen Auflagen in Kraft treten, die beispielsweise bessere Zugangssysteme zu Erotik-Seiten fordern und den Versandhandel mit Sex-Artikeln eigentlich verbieten. "Wir werden uns umstellen müssen", sagt Mirko Drenger, Geschäftsführer von FunDorado.de. Die bisherige Altersabfrage und die Nutzung der Kontonummer fürs Abbuchen der Beiträge dürften nicht mehr ausreichen. Einen "Medienbruch" zur Kundenidentifizierung über den stationären Handel oder das bis zu 8 Euro teure Post-Ident-Verfahren "überlebt die Branche nicht". Es komme daher alles auf die Interpretation der neuen Gesetze an. "Wir haben da große Bedenken", klagt Drenger. Schon heute gehe man deshalb verstärkt dazu über, die Laufkundschaft über die rund 120-Orion-Fachgeschäfte zu verifizieren und fürs Online-Geschäft freizuschalten.
Für die Restriktionen beim Online-Versandhandel scheinen die Erotik-Anbieter dagegen schon besser gerüstet zu sein. "Wir produzieren schon seit Jahren alle Videos und sonstigen Artikel mit FSK 16", erläutert Orion-Geschäftsführer Dirk Rotermund. Das koste zwar etwa 500 Mark für die Freigabe, die zudem oft bis zu 3 Jahre auf sich warten ließe. Aber anders ließen sich in Deutschland eben nichts vertreiben. Was im Netz angeboten werde, sei alles "nur soft". Härteres gebe es im Fernsehen nach 23 Uhr oder im Laden. "Alle unsere 800 Artikel sind FSK 16", behauptet auch Dorra von Cosmorotix.de. "Außerdem beschäftigen wir einen eigenen Jugendschutzbeauftragten".
Den krönenden Vor-Abschluss der Messe sollte dann die Venus-Awards-Party am Samstagabend bieten. Doch war die Verleihung im vergangenen Jahr ein rauschendes Fest mit Fünf-Gänge-Menü und gesponserten Getränken (Umsätze mancher Erotikanbieter im Internet lassen andere vor Neid erblassen), trafen sich dieses Jahr die Hustler-Girls zum Schnack mit den Schnauzbärten bei der von der eigentlichen Award-Zeremonie beraubten Party, ohne dass echte Stimmung aufkommen wollte. Der als Veranstaltungsort ausgesuchte "Nachtclub" Adagio hätte schon vorsichtig machen müssen, gilt er mit seinem barock-mittelalterlichen Inneren doch als schlechter Las-Vegas-Verschnitt ohne Flair. Bleibt zu hoffen, dass die bislang nicht gerade darbende Branche im nächsten Jahr wieder ein rauschenderes Fest auf die Beine stellt.