Projekt Gegneranalyse: Matthias Meisner, Morddrohungen und Medienkritik

Mediensplitter (2): Projekt des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne nimmt zur eigenen Arbeit keine Stellung. Inhaltliche Auseinandersetzung wird vermieden. Am Ende bleibt viel Gegner und wenig Analyse.

In mehreren Texten hat sich Telepolis Ende Juni einem medienpolitischen Projekt gewidmet, das beim politischen Thinktank Zentrum Liberale Moderne angesiedelt ist und sogenannte alternative Medien ins Visier nimmt. Die Bereitschaft zur Debatte auf dieser Seite scheint begrenzt: Im Vorfeld der Veröffentlichungen hatte der Autor eines ersten Papiers, Markus Linden, auf wiederholte Anfragen nicht reagiert. Linden hatte sich mit dem Watchblog Nachdenkseiten befasst.

Nach den Beiträgen antwortete der am Projekt beteiligte Journalist Matthias Meisner indirekt über den Kurznachrichtendienst Twitter– ohne aber auf die inhaltlichen Kritikpunkte einzugehen. Die Art der Auseinandersetzung scheint typisch für den fehlenden Dialog im Streit zwischen etablierten Medien und "alternativen" Redaktionen: Es herrscht allenthalben Sprachlosigkeit und Unwille zum Austausch.

Meisner, der vor einem Jahr aus der Redaktion des in Berlin erscheinenden Tagesspiegel ausgeschieden ist, widmete den Telepolis-Beiträgen einen Thread, in dem er vorrangig auf einen fragwürdigen Kommentar im Heise-Leserforum abhob.

Der an der Universität Trier angestellte Linden wurde in dem Kommentar unter dem Telepolis-Forum auf diffamierende Weise kritisiert, der User schob den klar sperrwürdigen Satz nach: "In Paris gab es für solche Mietlinge einmal Laternen."

"Dass die Kommentare mit den Morddrohungen gegen den Trierer Politik-Prof. Linden nicht gelöscht werden, ist bemerkenswert", schrieb Meisner, der ausführlich aus dem Forenthread mit drei Kommentaren zitierte.

Im Forum des Heise-Verlagshauses gehen nach Auskunft meiner Kollegen derzeit täglich im Schnitt 5.500 Kommentare ein. Es ist die klare Verantwortung unseres Hauses, justiziable Inhalte auszufiltern und die User in schweren Fällen zu sperren. Das hat die Fachabteilung im vorliegenden Fall umgehend getan.

Meisner hätte freilich die Möglichkeit gehabt, diesen Prozess zu beschleunigen, hätte er den entsprechenden Beitrag über einen Button gemeldet, der in jedem Kommentar sichtbar ist – statt die inkriminierten Inhalte über Twitter weiterzuverbreiten.

Kritik von Berliner Medienwissenschaftlerin

Trieb Meisner die Sorge um seinen Autor – oder ging es darum, von der Kritik an der Auftaktarbeit seines Projektes abzulenken? Wir haben am Freitag nachgefragt – und Meisner antwortete umgehend. Er habe auf justiziable Inhalte aufmerksam machen wollen und freue sich, "dass dies kurzfristig Wirkung gezeigt hat, Kommentare gelöscht wurden und Telepolis sich für meinen Hinweis ausdrücklich bedankt hat". Mit der Meldefunktion habe er sich "nicht vertraut gemacht".

Stattdessen hatte Meisner Foreninhalte im Wortlaut verbreitet, die im Heise-Forum inzwischen gesperrt sind. Ein Klick zur Sperrung hier – zu kompliziert? Ein 15-teiliger Thread dort – machbar? Es bleiben Fragen.

Auf wenig Verständnis stößt dieser Umgang bei der Berliner Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer, die sich in einer Analyse mit dem Nachdenkseiten-Papier des Projektes "Gegneranalyse" auseinandergesetzt hat:

Der Aktivist Matthias Meisner, der als "Journalist" die sogenannte Gegneranalyse mit verantwortet, scheint nicht an Aufklärung oder gar Schadensabwehr interessiert. Statt auf Rechtsverstöße oder gar Morddrohungen aufmerksam zu machen, ergötzt er sich an solchen Posts und twittert sie fast triumphierend durch die Gegend. Meisners Stil bleibt dabei unverkennbar: Er erstellt Kontaktschuld-Listen, weit weg von jeder inhaltlichen Auseinandersetzung. So umgeht er immer wieder durch das Aufrufen von Kronzeugen das, was das Projekt des Zentrums Liberale Moderne vorgibt schützen zu wollen: eine kritische Debatte über nachgewiesene Falschinformationen. Am Ende bleibt also nur ein Ruch.

Die kritische Debatte aber ist notwendig: Über Defizite etablierter Medien und über den Kurs einiger alternativer Medien. Aber auch über das Design von vorgeblichen Monitoringprojekten wie der "Gegneranalyse", dessen Selbstmandatierung beachtlich nah an dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" des Inlandsgeheimdienstes liegt – und das zugleich aus Bundesmitteln finanziert wird.

Wo endet der medienkritische Diskurs, wo beginnt politischer Aktivismus, zumal staatlich finanziert? Erweitert ein solches Projekt diskursive Räume oder ist es darauf angelegt, sie zu verengen?

Die Frage der staatlichen Finanzierung stellt sich auch vor dem Hintergrund aktueller Meldungen. Nach Fake-Anrufen bei Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey und anderen Lokalpolitikern berichtete das ARD-Magazin Kontraste in dieser Woche, dass das verantwortliche russische Komiker-Duo von der Plattform Rutube bezahlt wurde, die zum Gazprom-Konzern gehört. "Der Kreml will den Humor kontrollieren", so das Resümee von tagesschau.de.

Das mag sein. Doch ist hier staatliche Finanzierung okay, dort aber problematisch? Schon hier wäre ein genauerer Blick notwendig, denn Gazprom-Strukturen haben unter anderem auch den regierungskritischen und inzwischen geschlossenen Radiosender Echo Moskau sowie weitere entsprechende Medien mitfinanziert – und damit auch den bissigen Kommentator Anton Orech, der auch bei Telepolis veröffentlicht hat.

Diese Netzwerke sind ein Erbe aus Zeiten von Glasnost und Perestroika, das in Russland gerade abgeschafft wird. Spannend wäre gerade in Anbetracht der geopolitischen Zuspitzung ein Blick auf die staatliche Einflussnahme auf die Presselandschaft in Deutschland.

Top Ten: Inhaltliche Kritik an Linden-Papier bei "Gegneranalyse"

Meisner jedenfalls umgeht die Frage der politischen Implikation durch seine staatlichen Finanzquellen wie auch jedwede inhaltliche Kritik. Linden schweigt beharrlich. Daher hier noch einmal zehn Kritikpunkte an dem Papier zum Watchblog Nachdenkseiten, der Artbeit Lindens und dem Projekt "Gegneranalyse":

      1. Sabine Schiffer schreibt, das Paper von Linden enthalte offensichtlich willkommene Botschaften, die schnell von einigen und auch weiterhin kolportiert werden, nachdem bereits Kritik an der Wissenschaftlichkeit laut wurde. Dies sei eine Parallele zu einem vergleichbaren Papier des Soziologen Wolfgang Storz aus dem Jahr 2015 – das wiederum Lindens Hauptquelle ist.
      2. Linden ließ sich nach der Publikation seines Papiers zu den Nachdenkseiten interviewen. Und zwar von Wolfgang Storz. "Im Grunde ein Zitierkartell", so Schiffer.
      3. Linden gab an, er habe "eine repräsentative Auswahl einschlägiger Beiträge" erstellt. Schiffer dazu: "Wer auch nur ansatzweise etwas von Empirie versteht oder einfach logisch denken kann, müsste den Widerspruch auf Anhieb erkennen. Natürlich ist eine ‚Auswahl einschlägiger Beispiele‘ legitim, um sie qualitativ inhaltsanalytisch auszuwerten, aber diese Auswahl kann niemals ‚repräsentativ‘ sein – für eine Grundgesamtheit, die man (quantitativ) gar nicht ermittelt, also ausgezählt, hat."
      4. Linden bedient sich, so Schiffer, bei seinen Vorwürfen gegen die Nachdenkseiten einer Methode, die die Gesellschaftswissenschaftlerin Helma Lutz einst als "Ins-stereotype-Licht-Zurückrücken" bezeichnete, wenn die recherchierten Fakten nicht zu den Erwartungen der Journalisten passten.
      5. Linden stellt in parallelen Veröffentlichungen politische Forderungen und argumentiert selektiv.
      6. Christiane Voges schreibt bei Telepolis, Linden scheine sich kaum zu fragen, woher – jenseits von etwaigen Verschwörungsannahmen – die auch von ihm nicht bestrittene Wirksamkeit der Nachdenkseiten kommen mag – also, inwiefern es einen sozialen (und womöglich ja gesellschaftlich geschaffenen) Resonanzboden für diese Art von Medienangeboten zu geben scheint.
      7. Das Projekt "Gegneranalyse", das weitere Fallstudien erstellen will, ist bei der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne angesiedelt, die dezidiert transatlantische Positionen vertritt. Es handelt sich mithin um eine politische Struktur, die sich – was immer das heißen mag – der "Verteidigung und Erneuerung der liberalen Moderne" verschrieben hat.
      8. Das Zentrum Liberale Moderne wiederum steht unter Leitung des ehemaligen Grünen-Politikers Ralf Fücks, der als politischer Akteur in Erscheinung tritt.
      9. Finanziert wird die "Gegneranalyse" vom Familienministerium, dem politischen Bundesprogramm "Demokratie leben" und der Bundeszentrale für politische Bildung.
      10. Die Trennung zwischen dem Eigenauftrag des Projektes "Gegneranalyse" mit seiner Ausrichtung gegen eine vermeintliche "radikale Systemopposition" von der Zielsetzung entsprechender Vorhaben Inlandsgeheimdienstes ist unklar; das Gleiche gilt für die Abgrenzung zu Counter Propaganda Units der EU und Nato.

Redaktioneller Hinweis: Wir haben Punkt 10 in der Zusammenfassung präzisiert. Der Punkt hebt nicht auf eine institutionelle Kooperation ab, sondern auf übereinstimmende Zielsetzungen.