Proteste in Polen - O Tannenbaum im Sejm
Die verzweifelte Opposition will Weihnachten und Silvester im Parlament verbringen
"Schritt für Schritt", so ein populäres polnisches Adventslied, "kommt die Weih - nachts -zeit!"
"Schritt für Schritt", so klagen die Regierungsgegner, "wird die Demokratie abgebaut".
Nach den seit Freitag vergangener Woche anhaltenden Protesten hat sich Opposition zu einem verzweifelten Schritt entschieden: Sie will Weihnachten wie Silvester im Plenarsaal des Sejms verbringen, bis zum 11. Januar, wenn die erste offizielle Sitzung beginnt.
Der Anlass: Als oppositionelle Parteien im polnischen Sejm gegen eine geplante Einschränkung der Medienvertreter im Sejm protestierten, verlegte die Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ihre Parlamentsdebatte in einen anderen Raum und entschied daraufhin ohne Anwesenheit der politischen Gegner per Handzeichen über den künftigen Haushalt. Dabei gibt es bis heute Ungereimtheiten über die Anzahl der Abgeordneten und die Auszählungen.
Mit einem dicken Schal trat Katarzyna Lubnauer, die Abgeordnete der liberalen Partei Nowoczesna (Modernes Polen), vor die Kameras und verkündete die lange Parlamentssitzung. Nur so könnten die Polen in Ruhe Weihnachten feiern - und müssten nicht selbst protestieren. Dass nun Familien der Oppositionellen alleine unter dem Baum sitzen, hat seine Analogie im Kriegszustand, der vor 35 Jahren in Polen galt . Damals zerschlug General Wojciech Jaruzelski die freie Gewerkschaft Solidarnosc und ließ die antikommunistischen Gegner inhaftieren.
Doch ob die Opposition mit ihrem Verzweiflungsakt diesmal als Helden angesehen wird, scheint fraglich. Nach jüngsten Umfragen, die nach den Protesten erhoben wurden, ist die Zustimmung für die national-konservative Regierungspartei um fünf Prozent auf 36 Prozent gewachsen. Der vormaligen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) sind nur noch 15 Prozent beschieden, die frischer wirkenden Liberalen werden von 24 Prozent der Befragten begrüßt.
Die Oppositionellen wollen aus dem Sejm weitere Fakten zu der unrechtmäßigen Abstimmung an die polnische Öffentlichkeit funken. Innenminister Mariusz Blaszczak kündigte an, im Januar bei Fehlverhalten der Opposition erneut in einem anderen Raum abzustimmen, sollte sich die Opposition unrechtmäßig benehmen.
In den rechten Netzwerken und Webportalen herrscht einhelliger Spott über die Sejmbesetzung, die Politiker gelten ihnen als Witzfiguren. Auch derzeit harrt nur noch ein Grüppchen von Demonstranten vor dem Sejm aus.
Dabei gibt es durchaus Ereignisse, die Grund zu einer ernsthaften Besorgnis geben. Denn die PiS, die seit November 2015 regiert, versucht den Staat nach dem Willen von Parteichef Jaroslaw Kaczynski umzubauen. Immer offener beziehen sich die Würdenträger von Regierung und Parlament auf ihn, obwohl er formal nur ein einfacher Abgeordneter ist.
Präsident Andrzej Duda unterschreibt alle Gesetze, die ihm der Sejm hinlegt. Das Verfassungsgericht in seiner derzeitigen Konstellation wird vom obersten Gericht als nicht verfassungsgemäß angesehen, der Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro droht nun Polens obersten Richtern mit Disziplinarstrafen. Die EU-Kommission hat aufgrund der Eingriffe in das Justizwesen ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen eröffnet, über das sich der 66-jährige Kaczynski lustig macht (Aufschub für Polen). Die staatlichen Medien haben mittlerweile propagandaartige Züge und greifen in einem hämischen Ton die Opposition als "abgehobene Elite" an.
Und auch die Investitionen gehen zurück. Gegenüber Reuters erklärte Kaczynski heute, was jedoch wirklich Priorität hat: "Ich wäre bereit, sich für ein Verlangsamen des Wirtschaftswachstums zu entscheiden, wenn dies der Preis für die Durchsetzung meiner Vision von Polen wäre."