Prozess um Brand im Lager Moria: Geht es nur um Sündenböcke?
Mutmaßliche Brandstifter stehen im griechischen Chios vor Gericht. Obwohl viele Fakten unklar sind und die Prozessordnung verletzt wurde, bleibt die Presse außen vor. Was steckt dahinter?
Auf der griechischen Insel Chios stehen seit Freitagmorgen vier der sechs mutmaßlichen Verantwortlichen für den verheerenden Brand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos vor Gericht. Ihnen wird vorgeworfen, das Lager in der Nacht vom 8. auf den 9. September 2020 durch Brandstiftung vorsätzlich zerstört zu haben.
Zum Zeitpunkt des Brandes waren fünf der sechs Angeklagten noch nicht volljährig. Sie gehörten zu den unbegleiteten Minderjährigen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe schon hätten ausgeflogen sein sollen.
Die beiden Hauptverdächtigen wurden am 9. März nach einem zweitägigen Prozess vom Jugendgericht in Mytilini auf Lesbos trotz sehr dünner Beweislage zu fünf Jahren Freiheitsentzug in der Jugendhaftanstalt Avlonas nahe Athen verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Verteidigung Berufung ein.
Die übrigen vier Angeklagten müssen sich nun vor dem Schwurgericht auf Chios verantworten. Sie wurden nach dem Erwachsenenstrafrecht angeklagt, obwohl sie zum Zeitpunkt der Tat minderjährig waren. Einen Antrag auf ein Verfahren vor einem Jugendgericht lehnten die Richter ab.
Nur einer der vier jungen Männer war zur Tatzeit 18 Jahre alt. Die übrigen vier konnten ihr Alter mit Originalausweisen aus ihren Heimatländern belegen. Allerdings waren sie von den griechischen Asylbehörden als Erwachsene in die Registrierungsformulare eingetragen worden.
Öffentlichkeit wird ausgesperrt
Das ist nicht die einzige Ungereimtheit rund um das Verfahren. Derartige Prozesse sind in Griechenland aufgrund entsprechender Verfassungsartikel und der Strafprozessordnung öffentlich. Das heißt, die Öffentlichkeit muss entweder direkt oder indirekt über Pressevertreter präsent sein.
Vor allem im vorliegenden Fall ist das öffentliche Interesse nicht zu bestreiten: Mehrere Vertreter der Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hatten die tatverdächtigen wiederholt öffentlich vorverurteilt und damit die von der Verfassung garantierte Unschuldsvermutung verletzt
Kritiker aus Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien vermuten, dass Regierungsverantwortliche mit dem Prozess versuchen, Sündenböcke für ihr eigenes Versagen zu finden.
Der Vorsitzende Richter auf Chios aber dies das anders und wies die Kritik am Ausschluss der Öffentlichkeit zurück. Er berief sich auf die geltenden Pandemie-Regeln, welche nur insgesamt fünfzehn Personen in einem Gerichtssaal zulassen. Da allein sechs der im Saal anwesenden Personen Polizisten waren, blieb für Pressevertreter kein Platz.
Versucht hatten es zwei internationale und zwei lokale Journalisten. Ebenfalls des Saales verwiesen wurden zwei internationale Beobachter, darunter ein Vertreter des UN-Kinderhilfswerks UNHCR. Die Verteidiger hatten in ihren ersten Anträgen selbst um Präsenz internationaler Beobachter gebeten. Auch dies wurde abgelehnt.
Bordelle offen, Hochzeiten erlaubt – Prozess unter Panemieregeln?
Das Beharren des Vorsitzenden Richters auf die Beschränkung der Personenzahl und seine Weigerung, zumindest einen der mindestens sechs anwesenden Polizeibeamten gegen einen Beobachter auszutauschen, stehen in eklatantem Gegensatz zu den jüngsten Lockerungen. Die Tourismussaison hat begonnen und am vergangenen Montag gab es auch für den Betrieb von Bordellen grünes Licht. Ab dem 1. Juli dürfen Hochzeiten mit 300 Gästen gefeiert werden.
Vom Prozess selbst ist bekannt, dass der einzige Belastungszeuge nicht anwesend war. Somit war eine Befragung vor Gericht durch die Verteidiger ebenso wie ein Kreuzverhör nicht möglich. Auch dies ist laut Verfahrensordnung das Recht der Angeklagten.
Die Anwälte beantragten daher, die bei der Polizei hinterlegte Aussage des Zeugen der afghanischen Volksgruppe der Paschtunen nicht gelten zu lassen. Die Paschtunen stehen seit jeher in Konflikt mit den Hazara, denen die Angeklagten angehören. Auch dieser Antrag wurde vom Vorsitzenden abgelehnt.
Erst am späten Freitagabend, gegen 20 Uhr Ortszeit, wurden die ersten Entlastungszeugen aufgerufen, eine Stunde später begannen die Plädoyers. Unabhängig vom Urteil deuten die zahlreichen Verfahrensfehler und die Beschneidung der Rechte der Angeklagten auf einen langen juristischen Kampf hin. Ein fairer Prozess wurde den Angeklagten mit den erwähnten Einschränkungen nicht gewährt.
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