Putin im Klo-Koma: Bizarre Deep-Fake-Satire spaltet Kinopublikum

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Polnischer Regisseur wagt sich an heikles Projekt: Eine Putin-Satire mit Deep-Fake-Technologie. Doch was als Abrechnung gedacht war, wirft verstörende Fragen auf.

Wann starb wohl je ein Drache am Gift einer Schlange?"

Friedrich Nietzsche

Die Kunst ist frei und muss es bleiben. Der Kunst ist alles erlaubt. Filmemacher dürfen auch schlechte Filme machen und Spielfilme dürfen Fakten verändern, verfälschen oder vollkommen neu erfinden. Insofern gibt es von der Faktencheck-Fraktion der Mainstream-Medien gegen Patryk Vegas Film "Putin" nichts einzuwenden.

2026: Die nahe Zukunft

Denn es handelt sich um einen Spielfilm und um ein Stück Near-Future-Science-Fiction, denn das Ganze soll im Jahr 2026 spielen. Allerdings zeigt diese mit Deep-Fake-Technologie entstandene polnische Produktion auch die zunehmenden Gefahren, die durch die technischen Möglichkeiten der Realitätsverfälschung entstehen.

Sie zeigt, wie nachweisbare Wirklichkeiten und nachweisbare Irrealitäten sich ununterscheidbar miteinander paaren und vermischen. Das Resultat sind Chimären-Filme wie dieser.

Allerdings muss man zugeben: Die mithilfe des Schauspielers Slawomir Sobala und unter Einsatz einer KI-Technik erschaffene Kunstfigur "Putin" und die Ähnlichkeit der Schauspielermaske mit dem realen Vorbild, auch die Ähnlichkeit von Blicken und Mimik sind eindrucksvoll.

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Wie schwach muss die Position der Demokraten sein?

Das größte Problem an einem Film wie "Putin" ist aber nicht die geradezu lächerliche und groteske Fakten-Verfälschung. Ihr könnte man leicht mit Tatsachen begegnen und mit Argumenten, wie etwa diesem: Wie schwach muss die Position der Demokraten sein?

Auf welch tönenden Füßen müssen die Anklagen, Vorwürfe, Vorhaltungen und Einwände gegen Putin stehen, wenn man es nötig hat, auf einem derart primitiven Niveau Stimmung gegen den russischen Präsidenten zu machen?

Weit gravierender liegt aber der Einwand des Niveaus, auf dem hier Stimmung gemacht wird. Putin blutend, kackend, zitternd, nach Luft schnappend, ängstlich. In Unterhosen.

Es sind die Mittel der Demütigung, des Lächerlichmachens gepaart mit billiger Psychologisierung und Zaubertricks aus dem Märchenkinderfilm: Denn auch vor dem regelmäßigen Auftritt eines Geistes aus der Kindheit schreckt dieser Film nicht zurück.

Himmel und Hölle

Zwei Zitate leiten den Film ein: "Der Geist ist eine Welt für sich, in der die Hölle zum Himmel und der Himmel zur Hölle werden kann" – von John Milton.

Und: "Ganz gleich wie hoch der Thron ist, kein Mann steigt zur Macht auf und lässt die Schatten seiner Vergangenheit zurück. Sie sind ein Flüstern seines Gewissens, welche sein Schicksal formt" – von einem unbekannten Autor, vielleicht dem Regisseur selbst.

Alles beginnt irgendwann 2026 im Zentralkrankenhaus in Moskau.

Man sieht die Tür eines schwer bewachten Einzelzimmers. Die Tür geht auf und das Erste, was man nach wenigen Sekunden des Films von Wladimir Putin, der Haupt- und Titelfigur erkennen kann, ist ein fast nackter Mann, offensichtlich desorientiert und nicht ganz Herr seiner Sinne mit auffällig – und man möchte sagen: übertrieben – zitternder rechter Hand auf dem Boden sitzend und vor sich hin starrend.

Die Leiden des Westens

Dieser Beginn ist besonders interessant, denn er zeigt die Welt der allernächsten Zukunft, wie sie uns der Film zeigen möchte. Ein General (gespielt von Hollywoods Edelnazi-Darsteller, dem Deutschen Thomas Kretschmann), trägt die Lage vor: Die Menschen hungern.

Zwangsrekrutierungen, Russen fliehen ins Ausland, russische Frauen bitten um Einlass nach Belarus – Weißrussland würde man in Putins Büro tatsächlich wohl eher formulieren –, dann aber kommt das aus Putins Sicht Positive "der Westen redet viel von Menschenrechten, hetzt aber seine Hunde an der polnischen Grenze auf die Frauen. In Anbetracht der Entwicklung der Demokratien und der Meinungsfreiheit in Russland sollte der Westen als 'totalitär' bezeichnet werden".

Dann wird es albern: "Fahrräder sind das Hauptverkehrsmittel der Engländer. Die Inflation hat den höchsten Stand seit 30 Jahren erreicht, es hat sich gezeigt, dass die Sanktionen der westlichen Länder sie selbst am meisten getroffen haben".

Die Energieabhängigkeit der USA und der Anstieg der globalen Erwärmung habe allein im vergangenen Jahr – also 2025 – die USA 165 Milliarden Dollar gekostet. "Wir schätzen, dass diese Zahl bis 2027 die Billionen-Dollar-Marke erreichen wird. In der Folge wird es zu einem Massenexodus von Amerikanern kommen."

Ursache sei die Überflutung der Küstenstädte: "Es wird unmöglich sein, dass die verwöhnten Amerikaner dort noch existieren können."

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Bei diesen lustigen Visionen der nahen Zukunft fragt man sich, ob es sich um eine wohl eher um eine polnische Dystopie handelt als um eine polnische Utopie? Aber vielleicht weiß dies der Regisseur Patryk Vega selbst nicht so genau.

"Überlange, misanthropische und misogyne Nabelschau"

Den Regisseur kann man in diesem Fall nämlich noch weniger vom Film selbst trennen als in anderen Fällen.

Wer sich über Patryk Vega auf dem Filmportal IMDB.com informiert, dem fällt sofort auf, dass der 1977 in Warschau geborene Regisseur zwar bisher als Drehbuchautor 25 Filme und als Regisseur sogar 37 Filme verantwortet hat – manche von ihnen sind Fernsehstücke und Serien –, dass diese aber allesamt bemerkenswert schlechte Bewertungen bekommen.

"2,7 von 10" beispielsweise bei "Love, Sex and Pandemic" – das muss man erst mal schaffen. Und auch 3,7 bei "Petla" ist eine bemerkenswert niedrige Bewertung.

Was zum zweiten auffällt, ist, dass der Regisseur bislang keineswegs je irgendetwas mit politischen Themen oder gar faktenorientierter Recherche zu tun hatte. Stattdessen drehte er Filme wie "Women of Mafia" und "Women of Mafia 2" oder "Bad Boy" oder "The Plague of Breslau", über einen Serienmörder, oder "Pitbull".

Es sind vor allem Filme über "idealistische Polizeioffiziere in einem tödlichen Kampf gegen das gewissenlose organisierte Verbrechen", so eine typische Inhaltsbeschreibung. In "small world" geht es um einen Polizisten, der in einer internationalen Polizeiermittlung ein Mädchen wiederfinden möchte, das von der russischen Mafia – von wem sonst? – gekidnappt wurde.

Der Gipfel des Schaffens von Patryk Vega ist aber der Film "Invisible War". In dem geht es um – Patryk Vega. Der Internet-Pitch des Films verspricht "die Wahrheit über Patryk Vega, den kontroversesten polnischen Filmregisseur".

Ausgerechnet dieser Film hat nun die allerniedrigste der niedrigsten IMDB-Bewertungen bekommen, die man über Vega im Netz finden kann: 1,8. Die deutsche Filmzeitschrift Filmdienst resümiert:

Autobiografisch inspiriertes Porträt eines polnischen Regisseurs, der sich aus einer von Armut geprägten Kindheit bis an die Spitze der Filmindustrie vorkämpft. Die Welt verschwört sich immer wieder gegen ihn, doch findet er stets eine Möglichkeit, seine kreativen Vorstellungen durchzusetzen.

Bar jeder Ironie angelegt, scheitern alle Versuche, den filmischen Lebenslauf in Richtung einer Mediensatire zu überzeichnen und in ein 'Saulus zum Paulus'-Narrativ zu lenken. Was bleibt, ist nicht mehr als eine überlange, misanthropische und misogyne Nabelschau.

Diese Beschreibung gibt auch eine treffende Ahnung, was einen in "Putin" erwartet.

Psychologisierung der bösen Macht

Die Psychologisierung der bösen Macht, wie sie oben beschrieben wurde, gehört zu den Standard-Topoi der Propaganda.

Nach dem erwähnten Auftakt folgt erst einmal eine Zeitreise in die Vergangenheit, für die sich der Film viel Zeit nimmt. 1960 erlebt Putin sein erstes Kindertrauma, als er von seiner Mutter getrennt wird.

Er ist zu höflich, zu wohlerzogen, zu schwach und kann sich unter den armen Kindern in dem Ort, an den er kommt, zunächst nicht recht durchsetzen. Doch dann lernt er zurückzuschlagen, und begreift: "Wenn du einer von uns sein willst, musst du daran glauben: Es ist besser, aufrecht zu enden, als auf Knien zu leben."

Das hilft ihm über 20 Jahre später, 1989 in Dresden im KGB Büro, und in den Neunzigern in Moskau und Leningrad. Er kümmert sich um Boris Jelzin, der im Wodka-Delirium besoffen auf dem Boden krabbelt, er nutzt den ersten Tschetschenienkrieg, er erpresst und droht sich nach oben, dabei immer begleitet und beraten von einem Geist, der ihn aus Kindheitstagen verfolgt. Und immer wieder zittert seine rechte Hand so stark, dass er sie mit der Linken festhält.

Putin ballert mit Farbpatronen auf Playboy-Bunnys, er verbündet sich mit der Mafia und demütigt mit höhnischem Blick den Petersburger Bürgermeister, der ihm daraufhin hilft.

Die Konsequenzen der Privatisierung des freien Marktes werden von dem offenbar analfixierten Regisseur folgendermaßen beschrieben: "In den heutigen Zeiten, in denen wir uns vollstopfen mit Delikatessen, aber nichts haben, um uns den Arsch abzuwischen."

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Dieser Bürgermeister war Anatoli Sobchak und wurde vermutlich ermordet, weil sein Einfluss auf Putin zu stark war. Ein viel besserer Film, "Delo Sobchak", hat diese Geschichte 2019 ausführlich beschrieben. Unerwähnt bleibt aber, dass Anatoli Sobchak der am meisten westlich orientierte Politiker Russlands war

Hier erlebt man vor allem meine biedere Nacherzählung des Werdegangs von Wladimir Putin, bis er an die Macht kam, nur 40 Minuten dieses Films erzählen von der Zeit nach 2000

Heimliche Bewunderung: Zwei Machtmenschen unter sich

Die eigentliche Pointe dieses Ansatzes entdeckt man aber erst, wenn man noch einmal auf Vegas autobiographischem Film "Invisible War" zurückgreift: Auch da beginnt nämlich der Traum des kleinen Patryk vom großen Kino in einer Plattenbausiedlung.

Von seiner alleinerziehenden Mutter bedingungslos unterstützt, verschwört sich aber sein Umfeld gegen das unentdeckte Genie, das von diesem immer wieder betrogen und verraten wird.

So beginnt er schon in jungen Jahren und den Bedingungen des Raubtier-Kapitalismus der Neunziger, nach legalen und illegalen Wegen zum Ruhm zu suchen. Bereits zur Grundschulzeit liest er mit einem IQ von 148 Bücher über die gezielte Manipulation von Menschen. Immer wieder findet Vega eine Möglichkeit, aufwühlende, "fantastische" Filme zu machen.

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Genau so könnte man auch Klein-Putins Weg in die Politik erzählen. Man erkennt: Hier identifiziert sich einer mit dem anderen Alpha-Tier, das er heimlich bewundert. Zwei Machtmenschen unter sich.

Primitiv spekulative Fiktion

Nackt und in vollen Windeln endet also Wladimir Putin auf dem Linoleum seines Krankenzimmers. Der Durchfall besudelt seine Beine. Manche sadistisch gestimmte Menschen mag diese Aussicht befriedigen.

Was bleibt, ist aber vor allem primitiv spekulative Fiktion statt Aufklärung und Subtilität. Von dem Meister der faschistischen Propaganda, Joseph Goebbels, hätte Regisseur Patryk Vega zumindest lernen können, dass nur diejenigen Lügen glaubhaft sind, die man mit der Wahrheit verwechseln kann. Zugegeben: auch der "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" hat sich nicht immer daran gehalten.

Was hier bleibt, ist reißerische Häme. Trotz Geistern und Kunstwillen aber nie ein Sowjet-"Richard III.", kein polnischer Shakespeare.