"Putin laviert zwischen Patrioten und Liberalen"

Seite 2: "Eine Wende liegt geradezu in der Luft"

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Wird es nicht auch innerhalb der Eurasischen Union ein Machtverhältnis geben?

Vasily Koltashov: Es geht um eine andere Form der Integration. Keine Integration auf Basis eines freien Marktes und freien Außenhandels, sondern um die Schaffung eines gemeinsamen protektionistischen Marktes, der die Binnennachfrage unterstützt. So ein Projekt wäre eine Alternative zur EU und würde dazu führen, dass Staaten die EU verlassen. Deshalb wurde die Eurasische Union in Brüssel seinerzeit als "gefährliches Projekt" bezeichnet, dass es tatsächlich ist.

Ist es möglich, dass die russische Führung irgendwann zu einem echten keynesianischen Programm übergeht, und der Staat gezielt Wohnungs- und Straßenbau fördert?

Vasily Koltashov: Im Jahr 2017 wird die wirtschaftliche Situation so schlecht sein, dass eine Wende geradezu in der Luft liegen wird. Die Versuche der russischen Regierung mit dem Westen ein Auskommen zu finden, werden dazu führen, dass Russland ein noch neoliberaleres Regierungskabinett bekommt, was sehr schnell völlig unpopulär wird. Das Gesundheits- und das Bildungswesen werden endgültig zerstört werden. Die Zollgebühren werden gesenkt und staatliche Aktienpakete verkauft. Diese Politik wird die Widersprüche in der Gesellschaft verstärken. Die Menschen werden fordern, dass man ihre Interessen berücksichtigt.

Das patriotische Lager wird von dieser Entwicklung profitieren?

Vasily Koltashov: Die russische Gesellschaft unterteilt sich in zwei Parteien, in die Partei der "Belyje lenti" (Menschen mit den weißen Bändchen), die liberale Positionen vertreten, und in die Partei der Menschen mit dem Georgi-Bändchen (orange-schwarzes Bändchen, U.H.) , die patriotische und protektionistische Einstellungen vertreten und für eine postsowjetische Integration eintreten. Zwischen diesen beiden Parteien laviert die Macht.

Das sind zwei sehr starke Bewegungen. Die Bewegung der Belyje lenti ist aber vor allem eine Moskauer Bewegung und die Zahl ihrer Unterstützer ist begrenzt. Die andere patriotische Partei hat über 90 Prozent der Bevölkerung hinter sich. Die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass die patriotischen Kräfte an die Macht kommen, ist eine Politik, die zum Wirtschaftswachstum führt, das heißt, dass Russland zu der Situation zurückzukehrt, die es 2008 gab. Doch das ist nicht möglich.

Weil der Ölpreis so niedrig ist.

Vasily Koltashov: Und es wird in absehbarer Zeit keinen Anstieg des Ölpreises geben, weil die Krise in Russland schon zu tief ist und weil man das Land mit den neoliberalen Rezepten nicht aus der Krise bringen kann. Gerade beginnt eine zweite Welle der Krise. Im diesem Jahr wird es noch einen schweren Wirtschafts-Einbruch in China, eine Rezession in den Vereinigten Staaten und möglicherweise eine Rezession in der Euro-Zone geben. Das heißt es wird viele Ereignisse geben, welchen den Preis für Öl und Metall drücken und damit auch die Situation der russischen Wirtschaft verschlechtern. Nach meiner Einschätzung wird sich in Folge dieser Entwicklung die Unterstützung für das patriotische Lager verstärken.

Besteht die Möglichkeit, dass die Partei "Einiges Russland" bei den Duma-Wahlen am 18. September nicht die absolute Mehrheit bekommt?

Vasily Koltashov: Diese Partei ist nicht populär. Der Vorsitzende von Einiges Russland ist Ministerpräsident Dmitri Medwedew. Seine Regierung ist gescheitert. Man verbindet mit ihm die Wirtschaftskrise. Er erhielt von Ministerpräsident Putin 2012 eine Wirtschaft mit Wachstum und führte diese Wirtschaft in ihren jetzigen, jämmerlichen Zustand. Es kann durchaus sein, dass die Mitglieder und Abgeordneten der Partei einen Aufstand machen und ein aufständisches Parlament gewählt wird. Viele Abgeordnete von Einiges Russland sind mit dem neoliberalen Kurs nicht einverstanden. Denn mit einem neoliberalen Programm können sie den Wählern nicht in die Augen gucken.

Das heißt, es sind Überraschungen zu erwarten?

Vasily Koltashov: Ich hatte ein Gespräch in einer russischen Region mit einem Journalisten. Ich fragte ihn, wie ist es möglich, dass ihr in Eurer Zeitung Putin so hart kritisiert. Er sagte: "Wer ist euer Putin. Vielleicht gibt es ihn gar nicht. Aber unser Gouverneur, der hat Macht." Das heißt, den Gouverneur kann er nicht hart kritisieren, die zentrale Macht aber schon. Und in den Regionen - im Unterschied zu Moskau - kann sich die örtliche Macht in einem kritischen Moment gegen die zentrale Macht stellen und Kundgebungen unzufriedener Bürger organisieren.

Wie stabil ist die Position von Wladimir Putin?

Vasily Koltashov: Ein beachtlicher Teil der herrschenden Elite will mit dem Westen ein Auskommen finden und Putin absetzen. Die Personen, die mit Putin zusammenarbeiten und unter die Sanktionen fallen, wollen diese Perspektive nicht. Es gibt ernste Konflikte in der russischen Elite, die nicht öffentlich sind, die sich aber auf die Duma-Wahlen am 18. September auswirken können. Vieles ist noch unklar: Wird Putin zu den Duma-Wahlen eine Partei anführen und wie wird sich die von Putin 2011 gegründete Volksfront verhalten?