Putintrolle kommen als Weihnachtsmann

Seite 2: Der rot-weiße Pilz: Treibstoff für den Flug der Seele

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Wenn also die lieben Kleinen fragen, warum an Weihnachtsbäumen ausgerechnet rot-weiße Pilze aufgehängt werden und der Weihnachtsmann immer in diesen Farben und durch den Kamin ins Haus kommt - und man nicht mit Fake News antworten will - müsste man erzählen: Pilze leben eigentlich unter der Erde, was wir von ihnen sehen, sind nur ihre Früchte. Der Fliegenpilz wächst in Symbiose vor allem mit den Wurzeln von Birken, dem heiligen Baum der Russen, und Tannen, unserem Weihnachtsbaum.

Weil die Pilze so plötzlich aus der Erde kommen, bezeichnet man ihr Erscheinen auch als jungfräuliche Geburt - und diese feierte man zur Wintersonnenwende. In Indien presste man den Saft der Fliegenpilze, um daraus den heiligen Trank "Soma" zu gewinnen, in Sibirien hängte man sie an Bäumen auf , um sie zu trocknen. Roh verzehrt können die Pilze Übelkeit verursachen, getrocknet versetzen sie das Bewusstsein in visionäre Zustände - sie verbinden den Schamanen mit dem Baum des Lebens von seinen unterirdischen Wurzeln bis an seinen höchsten Ästen im Himmel. Er versetzt sich in den Geist der Rentiere und fliegt mit ihnen davon.

In "Soma - The Divine Mushroom of Immortality" (1968) berichtet Wasson auch über die Besonderheit der psychoaktive Wirkstoffe der Fliegenpilze - sie behalten Wirkung auch noch, wenn sie das Verdauungssystem durchlaufen haben und im Urin gelandet sind - sowie von dem Brauch, dass die Hirten nach dem Genuss der Pilze ihren Urin sammelten um ihn dann ihrem liebsten Rentier zu trinken zu geben.

Die Symbiose der Hirten mit ihren Herden scheint also nicht nur auf biologischer, sondern auch auf kulturell/spiritueller Ebene zu laufen: Gemeinsam mit seinem Krafttier geht der Schamane auf einen Trip in höhere Sphären, wo er sein Wissen über die Heilung von Krankheiten bezieht und als Geschenk auf die physikalische Ebene zurück bringt. Seine roten Backen - und auch die rote Nase des Rentiers "Rudolf" - sind auf die Hautrötungen zurückzuführen, die Amanita muscaria verursacht und seine Kleidung, sowie das ganze Rot-Weiß sind nichts anderes als der Pilz selbst, der Treibstoff für den Flug der Seele.

Auf Felszeichnungen im Nordosten Russlands, deren Entstehung auf 1000 v. Chr. datiert wird, sind Rentiere mit tanzenden Menschen zu sehen, die große, pilzartige Hüte tragen. Auch bei den Ritualen des Mithras-Kults im vor-christlichen Rom, als dessen Symbol rote Hüte galten, stand ein Fliegenpilz-Gebräu im Zentrum. So rigoros das aufsteigende Christentum dann mit diesen Ursprüngen der Religion aufräumte kam es an der tiefen Bedeutung und Symbolik ihrer Gebräuche nicht vorbei.

Wie den eingeweihten Mithras-Jünger verpassten sie ihren Würdenträgern vom Bischof aufwärts rote Hüte und setzten an die Stelle des sibirischen Schamanen ihren beliebtesten Heiligen und Freund aller Kinder, den Nikolaus. Weil auch das noch nicht verhindern konnte, dass sich die alten Bräuche und Sakramente weiter hielten - und etwa die Heiler der Koryaken in Sibirien bis in unsere Zeit im rot-weißen Gewand Pilze sammeln - erklärte Papst Gregor den "Santa" dann definitiv zum "Satan". So wurde der heilige Pilz zum Hexengebräu und Teufelswerk.

Und doch ist der unterirdische Symbiont der Tanne, das stille und stumme "Männlein im Walde", nach wie vor anwesend wenn es im christlichen Abendland auf die Zeit und die Feier der Wintersonnenwende zugeht: wir holen Tannen ins Haus, schmücken sie in rot und weiß und der Weihnachtsmann kommt in denselben Farben. Warum sich Amanita muscaria trotz aller Verbannung und Unterdrückung gehalten hat, nicht als Giftling aus dem Reich des Bösen, sondern als Glückspilz und Freund aller Kinder bis hin zur Trophäe von Nintendos Super-Mario - auch diese symbolische Bedeutung hat fraglos mit der geistbewegenden Wirkung des Pilzes zu tun.

Passend dazu berichten die Agenturen dieser Tage über eine Studie der "New York University" mit mexikanischen Zauberpilzen, denen die Forscher "beispiellose" Wirkung im Kampf gegen Depressionen bescheinigen. Eine winzige Portion "Magic Mushrooms" könne Angstzustände beseitigen, und zwar für Monate."

Die Schamanen vor 3000 Jahren wussten offenbar gut Bescheid, weshalb sie als Weihnachtsmänner bis heute so beliebt sind - auch wenn sie keinen Treibstoff für die Seele mehr bringen, sondern als Drogendealer nur noch Süßkram und Plastik...