Querfront als Symptom

Seite 3: Querfront von Lechts bis Rings

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Derweil scheint aber vor allem die Rechte vom revolutionären Elan ergriffen zu sein, während große Teile der Linken in besagten rückwärtsgerichteten Anachronismen versinken - und anschlussfähig werden an den allgemeinen reaktionären Rechtstrend. Die CSU etwa fordert in Gestalt ihres Landesgruppenchefs Dobrindt nichts weniger als eine "Konservative Revolution" in Deutschland, wobei sein Parteikollege und Fraktionschef im Europaparlament, Manfred Weber, dies Vorhaben offensichtlich präzisieren wollte: indem er, so wörtlich, eine "finale Lösung der Flüchtlingsfrage" in Europa fordert.

Die Anknüpfung an den ordinären nationalsozialistischen Vernichtungsjargon durch CSU-Politiker, ihre Übernahme linker Revolutionsrhetorik beim angestrebten reaktionären Rollback - sie nötigen förmlich zu historischen Vergleichen zum deutschen Vorfaschismus in der Krisenepoche der frühen 30er Jahre. Unter dem Begriff der "Konservativen Revolution" werden von der Geschichtswissenschaft gerade all jene politischen und kulturellen Strömungen in der Weimarer subsumiert, die als Wegbereiter des Nationalsozialismus fungierten. Und auch der Nationalsozialismus sah sich als eine "revolutionäre" Bewegung an, auch wenn dessen Machtergreifung eher einer Machtübertragung glich.

Es kann ausgeschlossen werden, dass selbst in der CSU dies niemandem aufgefallen sein sollte - es handelt sich hier um eine reaktionär-revoluzzerhafte Provokation nach dem Muster der AfD. Thomas Mann, der sich in den frühen 20er Jahren von dieser reaktionären ideologischen Strömung trennte, bezeichnete schon im September 1933 den Nationalsozialismus als die "politische Wirklichkeit jener konservativen Revolution", einer geistigen Bewegung, der er aus "Abscheu vor ihrer Realität" widerstanden habe.1 In der CSU scheint es somit - angefacht durch die Erfolge der AfD - Kräfte zu geben, die mit revolutionärem Elan die "finale Lösung der Flüchtlingsfrage" angehen möchten.

Und auch die AfD bemüht sich, in ehemals linke Milieus vorzudringen, indem Sozialneid gegen Ausländer und Flüchtlinge bei marginalisierten Bevölkerungsschichten in einer durch Hartz IV und Agendapolitik gespaltenen Gesellschaft geschürt wird. Zudem drängen die Rechtspopulisten verstärkt in die ehemalige Stammwählerschaft der politischen Linken, in die Arbeiterschaft. Insbesondere der rechtsextreme, offen völkische Flügel um Höcke hat die verkürzte Kapitalismuskritik für sich entdeckt, wie der MDR anlässlich der sogenannten Compact-Konferenz berichtete, die eben von dem Jürgen Elsässer organisiert wurde, den auch Ken Jabsen interviewte.

Der für seine Goebbels-Imitationen und antisemitische Äußerungen berüchtigte Rechtsextremist wolle sich verstärkt "der kleinen Leute annehmen" und "die sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen". Elsässer selber sprach sich gemeinsam mit Höcke für ein stärkeres gewerkschaftliches Engagement der Rechtsextremisten aus, die "patriotische Kandidaten" bei Betriebsratswahlen unterstützen wollen. Als Vorbild dient dieser NS-Szene Oliver Hilburger, der es nach 20 Jahren als Gitarrist einer Neonaziband bis zum Betriebsrat bei Daimler brachte. Elsässer erklärte, diesen Erfolg "auf andere Betriebe ausweiten" zu wollen.

Die Verfilzung zwischen Rechts und Links verläuft somit in beide Richtungen: Während in die Linke zunehmend rechte Rhetorik und Argumentationsmuster einsickern, bedient sich die Rechte aus dem Fundus linker Rhetorik und Strategie. Die Querfront fungiert somit de facto einseitig als ein ideologischer Transmissionsriemen, der rechte Ressentiments tief in die Linke hineinträgt, während Rechte sich in sozialer Demagogie üben. Die Auseinandersetzungen um Querfronttendenzen in der Linken fanden somit in einem politisch-gesellschaftlichen Klima statt, in dem Exponenten der in der Offensive befindlichen rechten Krisenideologien die soziale Demagogie für sich entdecken, während Teile der in der Defensive befindlichen Linken verstärkt auf rechtspopulistische Argumentationsmuster setzen.

Konkrete Überlegungen zur Überwindung des politischen Koordinatensystems werden aber jenseits des evidenten Querfrontspektrums hingegen kaum öffentlich geäußert. Bislang hat nur Sahra Wagenknecht in der Hochphase des Wahlkampfes solche Gedankenspiele öffentlich artikuliert, indem sie gegenüber der Springerzeitung Die Welt eine "pauschale Ausgrenzung" der AfD ablehnte und mit Blick auf die parlamentarische Aufgabenverteilung eine etwaige Kooperation nicht von vornherein ausschließen wollte: "Auch da sollte man sich eben ansehen, wer kandidiert für was und sollte nicht Pauschalurteile abgeben."