Querfront als Symptom

Seite 5: Jagd auf antideutsche Volksverräter

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Die aufschäumende nationale Welle braucht ein Feindbild. Und hier hat, neben den Flüchtlingen und dem antisemitisch konnotierten Antiamerikanismus, die Querfront ihren größten Beitrag zur ideologischen Ausformung der Neuen Rechten geleistet: mittels der Transformation, der "Entkernung" des Begriffs des Antideutschen.

Ursprünglich handelte es sich hierbei um einen marginalen, linken Begriff, der außerhalb des linken Szenesumpfs kaum Beachtung fand. Er bezeichnete eine Strömung innerhalb der Linken, die dezidiert in Reaktion auf die Wiedervereinigung und insbesondere die rechte Pogromwelle der frühen 90er Jahre sich etablierte. Die Antideutschen warnten innenpolitisch vor dem weiterhin bestehenden faschistischen Potenzial in Deutschland, sowie außenpolitisch vor einem neuen imperialen Weltmacht-Anlauf des vergrößerten Deutschlands.

Zugleich sahen sie die Welt in einer Zeitschleife gefangen, in der die Konstellation des Zweiten Weltkrieges sich ewig wiederholen würde. Die USA galten den Antideutschen als das wichtigste zivilisatorische Bollwerk gegen das abermalige deutsche Weltmachtstreben, was letztendlich den Zerfall dieser ohnehin kleinen, nie dominanten Strömung beförderte: Spätestens mit der Unterstützung der Irak-Invasion der USA durch Teile der Antideutschen hat sich diese Strömung diskreditiert und fristet nun ein marginales, auf mehrere hundert Anhänger begrenztes Schattendasein. (Eine umfassende Kritik der "antideutschen Ideologie" leistete der Krisentheoretiker Robert Kurz in seinem gleichnamigen Werk).

Wer die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts in der deutschen Linken verbringen musste, kennt noch die ermüdenden, nie enden wollenden Auseinandersetzungen zwischen den "Antideutschen" und anderen, orthodoxen Teilen der Linken, etwa den nicht minder berüchtigten "Antiimperialisten", die umgekehrt in den USA den Wiederkehr des Faschismus befürchteten und alle noch so brutalen Regimes unterstützten, die ins Fadenkreuz des amerikanischen Weltpolizisten gerieten.

Glaubt man der Querfront samt der Neuen Rechten, scheinen inzwischen aber die Antideutschen nun wirklich überall zu stecken. Die marginale Gruppe muss sich irgendwie wundersam vermehrt haben und alle Schalthebel der Macht in ihren Händen halten, da nun wirklich jeder der antideutschen Umtriebe verdächtig ist, der nicht Teil des neurechten Wahnkollektivs ist. Dies liegt vor allem daran, dass Teile der orthodoxen und postsozialdemokratischen Linken am Querfrontdiskurs andockten und eben diese Auseinandersetzung mit einschleppten in den braunroten Internet-Sumpf. Im anonymen Hassschwarm der sich in ihrem Wahn wechselseitig bestätigenden Internettrolle wandelte sich der Begriff des Antideutschen, der nun auch von der Neuen Rechten verwendet wird. In der Gosse des Internets, in der die neue Rechte ihre wahre Heimat hat, in den Foren, Hassschwärmen und Kommentarspalten, werden alle einstmals festgefügten Begriffe entkernt, bis nur noch Worthülsen übrig sind, die je nach Gusto verwendet werden.

Inzwischen werden alle Gegner der neuen Rechten, insbesondere engagierte Antifaschisten, als "antideutsch" beschimpft. Alle Linken, die sich der Öffnung nach rechts verweigern, müssen antideutsch sein. Der rechte Identitätswahn hat in diesem ehemals linken Szenebegriff einen perfekten Kampfbegriff gefunden. Nicht nur die Gegner der Neuen Rechten - man ist ja Deutschland - müssen antideutsch sein, auch alle Kritiker deutschen Großmachtstrebens und der deutschen Dominanz in Europa werden als Antideutsche tituliert. Hier bricht sich einfach nur noch deutscher Chauvinismus, deutscher Weltmachtwahn freie Bahn, indem Opposition gegen das historisch verhängnisvolle deutsche Dominanzstreben als "antideutsch" diffamiert wird.

Die Jagd nach der Chimäre einer allmächtigen antideutschen Verschwörung, die in der Querfront praktiziert wird, eignet sich somit hervorragend, um rechte Ideologie zu transportieren. Zum Beispiel beim neudeutschen Opferwahn, indem man etwa Deutsche, gegen die die allmächtigen Antideutschen offensichtlich eine Art Vernichtungsfeldzug führen, als die neuen, wahren Juden halluziniert. Am besten dazu eignet sich ein "antideutsches" Ziel, das sich nicht wehren kann, wie etwa der in der Türkei inhaftierte Journalist Denis Yücel, der angesichts eines satirischen Kommentars zur demografischen Krise in Deutschland jüngst antideutscher Umtriebe überführt wurde.

Die Nazis befanden sich im Kampf gegen den "ewigen Juden". "Antideutsche", eine sich selbst so nennende Strömung, zu der Yücel gehört, stilisieren sich als Kämpfer gegen ihr Konstrukt des "ewigen Deutschen".

Die Deutschen sind die neuen Juden - ein bizarres, hysterisches Wahngebilde, das völlig losgelöst von jeglichem Realitätsbezug das Andenken an Millionen Opfer Nazideutschlands schändet. Was ist schon der industriell betriebene Massenmord an den Juden Europas oder der deutsche Vernichtungsfeldzug in Osteuropa gegen eine launige Taz-Kolumne eines deutschtürkischen Journalisten? Solche Aussagen sind getragen von eben demselben Ungeist, der Pegida-Horden sich als KZ-Opfer stilisieren lässt oder der Rechtsextremisten dazu veranlasst, Stolpersteine für jüdische NS-Opfer mit deutschen Namen zu überkleben. Und diese Ausfälle macht nur ein einziges Zauberwort möglich: "Antideutscher".

Die Querfront ist somit eine Art "Einstiegsdroge" in die Wahnwelt der Neuen Rechten. Ihr Erfolg beruht darauf, rechte Ideologie in linke Rhetorik zu verpacken. Objektiv fungiert die Querfront als ein reaktionärer Transmissionsriemen, der einerseits rechtes Gedankengut in linke und progressive Milieus hineinträgt, und andrerseits der Neuen Rechten immer neues, verblendetes Menschenmaterial zuführt. Dass viele in Regression befindliche Linke subjektiv in dem Spektrum aus anderer Motivation heraus aktiv werden, etwa um die "Menschen dort abzuholen, wo sie stehen", ändert nichts an der objektiven Funktion der Querfrontstrukturen. Entscheidend ist somit nicht, was diese postlinken Kräfte wollen, sondern was sich objektiv gesellschaftlich vollzieht.

Stellungnahme von Meinhard Creydt

Zu T. Konicz' Bezugnahme auf meinen Artikel "Wie denkt Denicz Yücel" (in Telepolis vom 3.1.2018) in seinem Artikel "Querfront als Symptom": Yücel spricht von Deutschland als Nation, die "seit jeher" "dem absolut Bösen Namen und Gesicht verliehen" habe und insofern "Völkersterben" verdiene (taz vom 4.8.2011).

Nazis und "Antideutsche" haben e i n Merkmal gemeinsam – die essentialisierende Form des Feindbildes.

Das Auffinden einer Eigenschaft an zwei verschiedenen Objekten unterscheidet sich ums Ganze von der These, die beiden Objekte seien infolge dieser partiellen Gemeinsamkeit substanziell gleich oder identisch.

Konicz ignoriert in seinem Vorwurf gegenüber meinem o. g. Artikel nicht nur diese elementare logische Unterscheidung. Er übergeht zudem in seinen Assoziationen zu dem von ihm zitierten Satz aus meinem Artikel den Unterschied zwischen Nazis, die einen Kampf führen, und Antideutschen, "die sich als Kämpfer stilisieren".

Yücel tituliert einen politischen Gegner (Sarrazin) als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur", "dem man nur wünschen kann, der nächste Schlaganfall möge sein Werk gründlicher verrichten" (taz v. 6.11.2012). Wertet Konicz auch dies als "Satire"?

Bei kaum einem politischen Gefangenen treten so viele für seine Freilassung ein wie bei D. Yücel. Dieses Engagement zu befürworten, schließt keineswegs aus, Äußerungen von D. Yücel zu kritisieren.