Querfront als Symptom

Seite 4: Ideologische Berührungspunkte - und Unterschiede

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Solche Versuchsballons der Spitzenkandidatin einer "Linkspartei" fußen aber auf entsprechenden ideologischen Überschneidungen zwischen rechter Rhetorik und verkürzter linker Kapitalismuskritik. Die in Regression befindlichen Splitter der - spätestens mit der Durchsetzung von Hartz IV - untergegangenen Sozialdemokratie, die nun in der Linken wirken, sind vielfach anschlussfähig an rechte Positionen. (Und, nebenbei bemerkt, macht das Elend dieser Ex-Sozialdemokraten, die nun die Linke links der SPD mit ihrer Postengeilheit, ihrer grenzenlosen Regierungswut und ihrer altertümlichen keynesianischen Quacksalberei aus der Mottenkiste des 20. Jahrhunderts heimsuchen, nur den niederschmetternden Sieg des Neoliberalismus in den vergangenen Dekaden deutlich.).

Wo berühren sich nun Neue Rechte und Alte Linke? Zum einen werden die Ursachen der 2008 ausgebrochenen globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in der globalisierten Finanzsphäre verortet. Die Verlaufsform des Krisenprozesses, also der wuchernde Finanzsektor samt dem Globalisierungsprozess wird als dessen falsche Ursache ausgegeben, die ja gerade in den Widersprüchen kapitalistischer Warenproduktion zu finden wäre (Die Krise kurz erklärt).

Die falsche Gegenüberstellung von "schädlichem" globalem Finanzkapital und der "nützlichen" nationalen Warenproduktion, die von den "gierigen" Bänkern in die Krise geführt wurde, ist anschlussfähig an die Ideologie der extremen Rechten. Die Nazis haben in ihren antisemitischen Fieberträumen das "raffende jüdische Finanzkapital" verteufelt, dem das "gute" schaffende deutsche Unternehmertum entgegengestellt wurde.

Dies soll natürlich nicht heißen, dass alle Bankenkritiker in der Linken jetzt Antisemiten wären. Aber die oberflächliche, falsche Gegenüberstellung von nationaler Warenproduktion und globalisiertem Finanzkapital als zentrale Krisenursache, die nach 2008 so ungemein populär wurde, weist unzweifelhaft ideologische Anknüpfungspunkte an die berüchtigte NS-Ideologie auf. Zudem ist die offene Artikulation von Antisemitismus, wie sie immer wieder vor allem die AfD erschüttert, in der Öffentlichkeit immer noch tabuisiert - auch wenn diese letzten zivilisatorischen Dämme langsam im Gefolge des rechten Durchmarsches erodieren. Dies hat innerhalb der antisemitischen Rechten dazu geführt, sich mittels Codes und Ersatzphrasen zu behelfen, um Ressentiments zu ventilieren. An der Oberfläche wirken somit die Argumentationsfiguren linker Bankenkritiker und rechter Antisemiten durchaus ähnlich - und es sind eben die oben erwähnten Wahnräume des Internets, wo verkürzte, postsozialdemokratische Kapitalismuskritik und antisemitisches Ressentiment amalgamieren können.

Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Verschwörungsdenken, das einen zentralen Bestandteil antisemitischer Wahnsysteme bildet, die ja hinter den Widersprüchen kapitalistischer Vergesellschaftung das bösartige Wirken einer jüdischen Weltverschwörung halluzinieren. Und es ist eben auch dieses Querfrontspektrum, das regelrecht besessen ist von der Suche nach den mächtigen Kreisen und Zirkeln im Hintergrund, die hinter den Kulissen die Strippen der Weltgeschichte ziehen und die Welt regieren, Krisen auslösen, etc..

Wiederum muss hier betont werden, dass dieses Verschwörungsdenken nicht zwangsläufig in den Antisemitismus münden muss - es kann auch in eine Kondensstreifen- oder in eine Bargeldverschwörung münden, wie sie etwa der Handelsblatt-Ökonom und Jebsen-Fan Norbert Haering predigt.

Und dennoch: Die Parallelen zwischen regressiven, alten Sozialdemokraten und neuen Nationalisten sind gerade beim Verschwörungswahn unübersehbar. Dies gilt beispielsweise für die Wahnvorstellung, Deutschland - das spätestens seit der Eurokrise die EU dominiert - sei immer noch kein souveränes Land, da es insgeheim von den Alliierten (zumeist sollen es die USA sein) ferngesteuert werde. Diese wirren Anschuldigungen äußerte bekanntlich die AfD-Spitzenkandidatin Weidel, die die Bundesregierung als "Marionetten" der Siegermächte bezeichnete.

Ähnlich argumentierte aber noch 2013 der Chef der "Nachdenkseiten", das sozialdemokratische "Urgestein" Albrecht Müller, für den Deutschland ebenfalls kein "souveränes Land" sei! Und auch hier muss betont werden, dass Parallelen keine Gleichsetzung bedeuten. Selbstverständlich argumentiert Müller ohne die rassisitischen und ausländerfeindlichen Ausfälle einer Weidel, die Parallelen in der quasi "manichäischen" Denkstruktur sind hier aber evident - auch wenn Weidel viel schärfer gegen die alllierte "Fremdherrschaft" polemisiert.

Des Wahnsinns reeller Kern: Das weitverbreitete Gefühl der Heteronomie, dass man gewissermaßen "ferngesteuert" werde, dass Politiker nichts weiter als Marionetten dunkler Mächte seien, resultiert aus der Ahnung dessen, dass der Mensch nicht Herr seines gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses ist, dass dieser durch die fetischistische Bewegung uferloser Kapitalverwertung eine Eigendynamik gegenüber den oftmals ohnmächtigen Gesellschaftsmitgliedern entwickelt. Der Kapitalismus sei eine Gesellschaftsformation, "worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert", bemerkte hierzu etwa Karl Marx in einem Geistesblitz.

Die Marktsubjekte bringen somit unbewusst marktvermittelt eine zerstörerische gesamtgesellschaftliche Dynamik hervor, die ihnen dann als eine scheinbar fremde, objektive Macht (deswegen auch der ganze "Sachzwangdiskurs") gegenübertritt. Der Weg zur Verschwörungstheorie ist vor allen in all jenen politischen Zusammenhängen nicht mehr weit, die alltäglich zum Mittel der Verschwörung beim Hauen und Stechen um Posten und Pöstchen greifen - die eigenen Erfahrungen bei der politischen Karriere, etwa in der SPD, werden dann auf die gesamtgesellschaftliche Dynamik kapitalistischer Widerspruchsentfaltung projiziert.

Die Ursachen solcher absurden Vorstellungen sind aber nicht nur in der Tendenz zur Personifizierung der vermittelten, subjektlosen Herrschaft im Kapitalismus zu suchen, die dem Verschwörungsdenken zugrunde liegt, sondern auch in der besagten verkürzten Kapitalismuskritik. Wenn die Ursachen aller möglichen Verwerfungen, Spannungen und Fehlentwicklungen in der Globalisierung und dem Finanzkapital verortet werden, dann scheint die Nation als eine natürliche, widerspruchsfreie Entität, in die Widersprüche quasi "von außen" hineingetragen werden. Wenn nun die Regierung und die Funktionseliten etwas anderes wollen als der national gesinnte Sozialdemokrat oder AfDler, dann kann es sich ja nur um Verrat handeln - schließlich wissen sie am besten, was gut ist für Deutschland.

Der zunehmende Nationalismus bildet auch die Grundlage der reaktionären Identitätspolitik, die in diesem Spektrum praktiziert wird. Die Kritik einer Sahra Wagenknecht an der linken Identitätspolitik, die sich im Gefolge des Kampfes um die Emanzipation sexueller Minderheiten herausgebildet hat, weist insofern eine unfreiwillige Komik auf, wenn diese selber eine anachronistische Rückkehr zur nationalen Identität des vergangenen Jahrhunderts predigt.

Die reaktionäre Kritik linker Identitätspolitik greift diese aber nur deswegen an, weil ihr noch das Versprechen der Emanzipation von Minderheiten innewohnt. Der Identitätswahn, der in Reaktion auf die jüngsten Krisenschübe in Europa um sich greift (und von den Rechtsextremen der "Identitären" bis zur Realsatire explizit gemacht wird), will aber identitäre Unterwerfung unter das Bestehende.

Die Forderung nach Grenzschließung, nach der Rückkehr in den Nationalstaat, die Renaissance der nationalen Identität mittels eines neuen Schubs der "Invention of Tradition" (Hobsbawm) - es sind unbewusste Reaktionen auf die Krisenschübe der Vergangenheit wie Zukunft: auf Wirtschafts-, Flüchtlings-, Klimakrise. Die unverstandenen, mitunter ignorierten Krisentendenzen sollen "draußen" gehalten werden, zugleich dient die angstbedingt gesteigerte Identitätsproduktion als ein massenpsychologischer Anker in unsicheren Zeiten, der Orientierung, Zusammenhalt und klare Feindbilder aufbaut.

Identität ist aber Folge der Sozialisation in der gegebenen Gesellschaft. Mit dem Festhalten an Identität wird somit auch an den gesellschaftlichen Strukturen festgehalten, die diese Identitäten formten - auch wenn eben diese Strukturen in Auflösung übergehen. Die klar ins Ideologische abdriftende Identitätsproduktion wird dann in einem reaktionären Impuls ins Extrem getrieben.

Wohin das identitäre Festhalten am Bestehenden hinführt, wenn eben dieses Bestehende zerfällt, kann an dem Islamismus in vielen "gescheiterten Staaten" studiert werden, der die bestehenden religiösen Identitäten in der "Mitte" des islamischen Kulturkreises ins Extrem einer Massenmordsekte wie des Islamischen Staates trieb. In Europa ist es hingegen die nationale Identität, die als Resonanzboden für entsprechende reaktionäre Reflexe dient.