Quo Vadis, Patentrecht?

Möglichkeiten einer transatlantischen Annäherung

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Sowohl in den USA als auch in Europa denkt man über Änderungen des Patentrechts nach. Auf der diesjährigen Cebit nutzte die einschlägig bekannte Firma Sisvel die Situation aus, dass in Deutschland im Gegensatz zu den USA Patentansprüche unter Umständen auch mit Hilfe des Strafrechts geltend gemacht werden können, und schüchterte Standbetreiber mit Polizisten ein. Ähnliche Aktionen führten in der Vergangenheit häufig dazu, dass Sisvel mit den betreffenden Firmen Lizenzierungsabkommen schließen konnte – obwohl die von der Firma behaupteten Ansprüche auf Geräte, die das MP3-Format beherrschen, alles andere als unumstrittenen sind. Auf EU-Ebene wird derzeit an einer erheblichen Ausweitung dieses strafrechtlichen Instrumentariums gearbeitet, so dass Verbraucher auch direkt von solchen Maßnahmen betroffen sein könnten. Währenddessen gibt es in den USA nach einigen spektakulären Ansprüchen auf Standards eine lebhafte Diskussion darüber, wie die Qualitätsmaßstäbe bei der Erteilung von Patenten erhöht werden könnten. Wir fragten James Babineau von der auf Patentrecht spezialisierten Kanzlei Fish & Richardson zur Zukunft der beiden Patentsysteme.

Was sind die Hauptunterschiede zwischen europäischem und amerikanischem Patentrecht?

James Babineau: Ein prinzipieller Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Patentrecht ist, dass die USA der ersten Person, die etwas erfindet, das Patent gewähren, aber nicht notwendig der ersten Person, die ein Patent beantragt. Wenn also zwei Leute unabhängig voneinander dieselbe Erfindung machen, so kann es sein, dass zwar derjenige, der die Erfindung als zweites machte, zuerst das Patent beantragt, aber trotzdem der andere das Patent zugesprochen bekommt. Die Folge ist natürlich ein sehr komplizierter Prozess, um herauszufinden, wer etwas tatsächlich zuerst erfunden hat. So etwas ist teuer und zeitaufwändig.

Besser ist es natürlich, wenn man sein Patent einfach früh beantragt, und sich dann keine Sorgen um so etwas machen zu müssen. Man kommt in den USA aber dennoch nicht umhin, dass die Erfinder genaue Aufzeichnungen über den Entwicklungsprozess führen, denn ein Patentanwalt ist unter Umständen darauf angewiesen, sich auf ihre unterschriebenen Auskünfte zu verlassen, um sie gegebenenfalls als Beweis für den Zeitpunkt einer Erfindung nutzen zu können. Da ist es oft ein Problem, wenn man mit europäischen Erfindern zu tun bekommt, die es nicht gewöhnt sind, solche Aufzeichnungen zu führen. Amerikanische Firmen dagegen führen normalerweise sehr detaillierte Notizen über den Verlauf einer Erfindung – Notizen, die vor Gericht als Beweis verwendet werden können.

Wenn ein Erfinder dagegen seine Idee nur auf eine Serviette gekritzelt hat und es vielleicht nicht einmal ganz klar ist, was da überhaupt steht, er keinen Zeugen für die Idee hat, nicht einmal ein Datum auf der Serviette, dann ist das kaum ein guter Beweis für eine Erfindung. Wichtig ist auch, nachzuweisen, wann man die Erfindung erstmals praktisch umsetzen oder wenigstens testen konnte. Ein Software-Entwickler sollte sich also notieren, wann ein Code zum ersten Mal auch das erhoffte Resultat produziert hat.

Ihr Büro gab im Januar bekannt, dass sich amerikanisches und europäisches Patentrecht in Zukunft angleichen müssen. Wird das europäische Patentrecht dabei amerikanischer werden, oder umgekehrt? Und welche Punkte müssen dafür geändert werden?

James Babineau: Meiner Meinung nach ist es viel wahrscheinlicher, dass das amerikanische Recht gezwungen sein wird, sich an das europäische anzupassen. Der Rest der Welt bedient sich einer sehr viel europäischeren Herangehensweise an das Patentrecht. Ein anderer Punkt, der das amerikanische Patentrecht sehr vom europäischen Pendant unterscheidet und Kollisionen schwierig gestaltet, ist, dass ein amerikanischer Erfinder ein Jahr Zeit hat, um seine Erfindung zu veröffentlichen und anzumelden. In Europa dagegen gibt es einen absoluten Neuheitsanspruch, was bedeutet, dass ein Erfinder seine Erfindung geheim halten muss, bis er den Patentantrag stellt.

In Amerika dagegen gibt es diese einjährige Gnadenfrist. Der Kongress ist bis jetzt auch nicht gewillt, diese Gnadenfrist aufzuheben, die dem unabhängigen, kleinen Erfinder zu Gute kommen soll, der vielleicht nicht das Geld hat, um den Patentierungsprozess in Gang zu setzen und deshalb seine Idee zuerst kommerziell nutzen möchte. Wenn ein europäischer Erfinder seine Idee veröffentlicht hat, bevor er in Europa ein Patent darauf angemeldet hat, so hat er dort seine Chancen auf das Patent wahrscheinlich verspielt. In Amerika hat er aber immer noch ein Jahr Zeit, ein US-Patent anzumelden. Das gilt nicht nur für die Veröffentlichung, sondern auch für den Verkauf, auch wenn dieser geheim stattfindet. Auch das startet die Uhr für die einjährige Gnadenfrist.

Kennen Sie Barack Obamas Reformpläne zum Patentrecht?

James Babineau: Nein, leider nicht. Hat er sich dazu schon geäußert?

Er plädiert in seinem Technologieprogramm für ein Public-Peer-Review-System, das dem amerikanische Patentamt helfen soll zu entscheiden, ob es "Prior Art" gibt.

James Babineau: Das ist kein neuer Vorschlag. Das wurde schon im Rahmen verschiedener Reformpläne des Kongresses und des amerikanischen Patentamtes in Erwägung gezogen. Ein anderer Unterschied zwischen amerikanischem und europäischem Patentrecht ist der, dass in Amerika, sobald ein Patent einmal vom Patentamt bearbeitet wird, die automatische Annahme besteht, dass diese Patentforderung auch berechtigt ist. Wenn nun also jemand dieses Patent annullieren möchte, so muss er ein kompliziertes und teures Gerichtsverfahren auf sich nehmen, und das ist auch nur möglich, wenn ihn jemand mit diesem Patent bedroht. Ansonsten hat er nicht das Recht, das vor Gericht auszutragen, und es gibt kein Einspruchsverfahren (wie in Europa).

Ein Vorschlag des Senats würde eine Einspruchsfrist einführen, die zumindest Ähnlichkeit mit einem europäischen Annullierungsverfahren aufweist. Außerdem gab es die Idee, die Industrie in die Bearbeitung von Patentanträgen mit einzubeziehen. Einige Patentbeamte haben bereits damit angefangen, so etwas zu machen, obwohl es geltendem amerikanische Patentrecht widerspricht. Wir hatten Fälle, in denen Beamte die Mitbewerber unserer Kunden direkt kontaktiert und um Auskunft über möglicherweise relevante "Prior Art" gebeten haben. Dies ist nach amerikanischem Recht aber nicht zulässig. Das Patentamt veröffentlicht, wie auch in Europa, nach 18 Monaten, und dann kann jeder "Prior Art" beim Patentamt einreichen.

Da ist es natürlich von Vorteil, wenn man dieses Material nicht schon früher beim Anmeldungsprozess des Mitbewerbers freigeben musste, denn wenn das Patent dennoch gewährt wurde, dann ist das natürlich in einem Gerichtsverfahren ein schwerer Schlag für das Gewicht dieser Beweise. In Amerika sind Patentfälle Zivilprozesse und werden daher vor einem Geschworenengericht entschieden. Wir erinnern unsere Klienten also daran, dass ihre Patente nach dem Widerspruch schlussendlich noch von zwölf amerikanischen Bürgern mittlerer Bildung beurteilt werden, und dass diese Bürger schließlich entscheiden, ob die Patentierung gerechtfertigt ist. Es kann für einen Antragsgegner sehr riskant sein, vor Gericht zu gehen, vor allem in solchen Regionen, wo die Geschworenen in der Regel Patente bereits dann als gültig erachten, wenn sie vom Patentamt genehmigt wurden – gerade so als wären sie von Gott selbst abgesegnet worden. Wenn man dann auch noch sein "Prior Art" bereits vorher eingereicht hatte, dann sind die Chancen noch schlechter.

In Europa gibt es Pläne, die Instrumente zum strafrechtlichen Schutz von Patenten erheblich auszuweiten. Denken Sie, das ist der richtige Weg?

James Babineau: Nein, ich persönlich bin ein Gegner der Strafverfolgung von Patentverletzungen. Denken Sie daran, ein Patent ist letzten Endes eine Vereinbarung zwischen dem Erfinder und der jeweiligen Regierung, dass im Gegenzug für die öffentliche Verfügbarmachung einer neuen Erfindung diese durch das Gesetz geschützt wird. Eine Patentverletzung war – zumindest in den USA – noch nie ein Verbrechen. Sicherlich: Patente setzen die aus ihnen resultierenden Ansprüche nicht von selbst durch. In Amerika lösen wir das Problem, indem wir den Gerichten erlauben, den dreifachen verursachten Schaden einer Patentverletzung als finanziellen Ausgleich zu verhängen und außerdem die Anwaltskosten der siegenden Partei den Verlieren aufzuerlegen. Das ist in Europa ja ohnehin üblich, im Gegensatz zu den USA. Dafür sind hier die Anwaltsgebühren auch gerne mal höher als der eigentliche Schaden. Ich würde mich sehr wundern, wenn in Amerika irgendwann einmal Patentverletzungen strafrechtlich verfolgt würden. Das sind Geschäftsschäden, und die kann man normalerweise beheben, indem man die Gegenpartei finanziell entschädigt.

Vor Allem Softwarepatente werden manchmal ja nicht nur als Anreiz für die Entwickler verwendet, sondern auch, um großen Firmen die Möglichkeit zu geben, über Patent-Arsenale Konkurrenten vom Markteintritt abzuhalten. Manche Programmierer beklagen, dass sie Ideen nicht verwirklichen, weil sie Angst vor einer Klage wegen Patentverletzung haben müssen. Wie könnte man diesen potentiellen Missbrauch verhindern?

James Babineau: Was verstehen Sie unter "Missbrauch" in diesem Fall, nur damit wir uns richtig verstehen...?

Sagen wir mal, dass beispielsweise IBM ein Patent für etwas anmeldet, dass die Firma gar nicht verwertet, sondern nur deshalb beansprucht, um anderen Firmen den Markteintritt zu verwehren.

James Babineau: Ich verstehe. Dieses Problem existiert überall. Schon seit einiger Zeit. Das Patentrecht verlangt von einem Erfinder in keiner Weise, seine Erfindung in Form eines Produkts zu vermarkten. Wenn jetzt eine Firma ein Patent veröffentlicht und damit den Rest der Welt davon abhält, diese Erfindung zu nutzen, während die Firma selbst die Erfindung aber auch nicht durch ihre Anwendung öffentlich verfügbar macht, dann kann ich verstehen, dass Leute von Missbrauch sprechen, da ja die Öffentlichkeit nicht in den Genuss des Vorteils der Erfindung kommen kann. Gewisse Vorteile sind zwar da, denn sobald eine Idee veröffentlicht ist, kann sie jeder einsehen und seine Entwicklungen darauf aufbauen oder andere Wege suchen. So funktioniert technischer Fortschritt. Aber es kann eben niemand diese Entwicklungen nutzen, und das ist ein Nachteil für die Öffentlichkeit.

Manche Patentsysteme machen Gebrauch von einer Zwangslizenzierung. Das heißt, dass ein Patentinhaber ein Patent zur Lizenzierung freigeben muss, wenn er es nicht innerhalb einer bestimmten Zeit selbst verwertet. Im Moment wird das in den USA nicht praktiziert, und meines Wissens nach auch nicht in Europa - aber viele Länder ziehen so etwas in Erwägung. Am Wichtigsten ist das im Moment in Entwicklungsländern, beispielsweise auf dem Feld der Gesundheitstechnologie. Die dritte Welt kann nun mal die Preise, die von großen internationalen Firmen für neue Medikamente verlangt werden, einfach nicht bezahlen - also schalten sich die Regierungen ein und verhandeln mit den Pharma-Konzernen. Ihr Druckmittel ist dabei, dass sie, wenn die Firmen nicht bei ihren Preisen einlenken, einem anderen Produzenten auf ihrem Staatsgebiet erlauben, das Patent unlizenziert zu benutzen. Die gleiche Spannung kann man auch auf anderen Feldern beobachten, aber sie ist wohl bei der Gesundheitstechnologie am sichtbarsten.

Für Ihre Leser in der IT-Welt kann es bestimmt frustrierend sein, wenn jemand eine Technologie patentiert und nicht anwendet. Sie hatten IBM als Beispiel gewählt, eine Firma mit einem sehr, sehr großen Patent-Portfolio, bestimmt einem der größten der Welt. IBM hat außerdem eines der weltweit aggressivsten und facettenreichsten Lizenzierungsprogramme. Normalerweise versucht IBM auch aus den Technologien Geld zu machen, die sie nicht selbst nutzen. Es nützt ihnen nichts, eine Technologie im Schrank verstauben zu lassen. Also tun sie das nicht, in der Regel.

Es sind wirklich nur ein paar extreme Fälle, wo Leuten vorgeworfen wurde, eine Technologie nach ihrer Patentierung zu verstecken, um die Industrie am Fortschreiten zu hindern. In den 70ern gab es einen entsprechenden Aufruhr gegen die Automobilindustrie der USA. Alle sechs Monate behauptete wieder jemand, dass er eine Technologie entwickelt habe, die es ermöglicht, dass ein Auto mit einer Gallone Benzin 500 Meilen fährt. Aber die Automobilindustrie oder die Ölfirmen hätten diese Technologie vereinnahmt, so dass sie weiter all den Treibstoff verkaufen können. Um ehrlich zu sein halte ich solche Theorien für in aller Regel falsch. Ich komme selbst aus der Automobilindustrie, und ich kann Ihnen versichern, dass selbst die größte Autofirma der Welt – für die ich gearbeitet habe – liebend gerne eine Technologie in ihre Autos eingebaut hätte, welche die Treibstoff-Effizienz eines Autos verdreifacht – schon allein, um sich eine entsprechend gute Marktposition zu sichern. Wahrscheinlich hätten sie eine solche Technik nicht sofort an alle Konkurrenten unterlizenziert, aber sie hätten sie bestimmt genutzt. Es ist nicht gerade sinnvoll, eine Technologie nur zu patentieren, dann aber nicht zu benutzen. Und wenn das doch jemand macht, dann würde ich mich mit ihm gerne mal zusammensetzen und erklären, dass er viel mehr Geld machen könnte, wenn er sie lizenziert, als wenn er sie einfach verstauben lässt.