Rasterfahndung in Vorratsdaten: Die unterschätzten Finanzermittlungen
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Banken und Kreditinstitute speichern Aktivitäten ihrer Kunden auf Vorrat. Im Gegensatz zu Telekommunikationsanbietern müssen sie selbst überwachen
Der Begriff "Finanzermittlungen" wird häufig als Verfolgung und Beschlagnahme von Vermögen oder Erlösen aus illegalen Verkäufen missverstanden. Vielmehr geht es um die Analyse von Netzwerken von Personen, Organisationen oder Ereignissen. Die niederländische EU-Ratspräsidentschaft will Finanzermittlungen nun zum Standard bei der Kriminalitätsbekämpfung verhelfen. Der Ausbau von Kooperationen mit Privaten und die Einführung neuer Technologie kollidieren mit Prinzipien des Datenschutzes.
Spätestens seit den Snowden-Veröffentlichungen ist die Bedeutung sogenannter Metadaten auch für Laien verständlich. Beispielsweise wird der Inhalt von gesprochener Telekommunikation von den Anbietern nicht aufgezeichnet, jedoch profitieren Polizeibehörden und Geheimdienste vom Informationsgehalt anfallender Verbindungsdaten. Hierzu gehören Angaben zu den Teilnehmern der Gespräche, aber auch Zeitpunkt, Ort und Gerätekennung. Mit den Daten können in einer sogenannten Sozialen Netzwerkanalyse die Beziehungsgeflechte unter Personen, Organisationen oder Ereignissen rekonstruiert werden.
Telekommunikationsdaten werden bei den Anbietern auf Vorrat gesammelt und auf Anfrage an die Behörden herausgegeben. Ähnlich verhält es sich mit den Finanzdaten, die bei Banken und Kreditinstituten auf Vorrat gespeichert werden. Im Rahmen von Ermittlungen werden sie genutzt, um etwa Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung aufzuspüren.
Vorteil bei Finanzermittlungen: Institute überwachen selbst
Bei der Telekommunikation sind die Provider passiv und überwachen ihre Kunden nicht selbst. Finanzinstitute sind hingegen verpflichtet, bei verdächtigen Überweisungen eine Meldung an die Kriminalämter zu machen. Zuständig ist das Bundeskriminalamt (BKA), das hierfür eine bundesweite Anlaufstelle für Finanzermittlungen eingerichtet hat. Dort sind auch die Landeskriminalämter angeschlossen.
Mittlerweile sind die "Financial Intelligent Units" aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union untereinander vernetzt. Die Polizeiagentur Europol in Den Haag fungiert seit diesem Jahr als Zentralstelle. Europol führt hierzu die sogenannte Ma3tch-Technologie ein, mit der Banken und Kreditinstitute auffällige Transaktionen sofort übermitteln. So will Europol den Polizeibehörden der Mitgliedstaaten ermöglichen, unverzüglich weitere Ermittlungen anzustellen und die Transaktionen möglicherweise in Echtzeit zu überwachen.
Die derzeitige niederländische Ratspräsidentschaft erklärt die Ausweitung von Finanzermittlungen auf weitere Kriminalitätsbereiche und die Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nun zur Chefsache. Der Plan ist nicht neu und wird von der Europäischen Kommission und von Europol bereits seit einigen Jahren verfolgt. Vor vier Jahren hatte der Rat der Europäischen Union entsprechende Schlussfolgerungen und Empfehlungen veröffentlicht, in denen eine "übergreifende Politik für Finanzkriminalität und Finanzermittlungen" angeregt wird.
"Proaktiv" wird zum Buzzword
Der Bericht sieht rechtliche Hindernisse in den Datenschutzregelungen einiger Mitgliedstaaten, die über den Umweg der Europäischen Union umgangen werden könnten. Sollte die Ausweitung von Finanzermittlungen auf nationaler Ebene nicht möglich sein, könnten demnach "maßgeschneiderte Vereinbarungen über den Datenaustausch" gefördert werden.
Die Kommission hat hierfür eine Studie beauftragt, deren Ergebnisse im Dezember vorlagen und auf einer Konferenz mit dem Titel "Folge dem Geld" diskutiert wurden. Präsentiert wurde beispielsweise eine Fallstudie, in der durch die Rückverfolgung von Finanzströmen ein niederländisch-ungarisches Netzwerk mutmaßlicher Menschenhändler aufgespürt wurde.
Finanzermittlungen sollen aber nicht nur rückwirkend ("reaktiv") erfolgen, sondern laut der Studie "in allen Stadien strafrechtlicher Ermittlungen und juristischer Verfolgung eingesetzt werden. Die Rede ist von "proaktiver Identifizierung" krimineller Netzwerke, auch wenn diese noch gar keine konkreten Straftaten begangen haben. Diese Vorverlagerung der Kriminalitätsbekämpfung ist in Deutschland als Gefahrenabwehr bekannt, im englischen Sprachraum wird hierfür der Begriff "aufklärungsbasiert" ("intelligence-led") benutzt. Die dabei anfallenden Erkenntnisse könnten als Anstoß ("trigger") für weitere Ermittlungen dienen.
"Proaktiv" ist mittlerweile zum Buzzword von Polizeibehörden und Geheimdiensten geworden, allerdings existiert bislang keine gemeinsame Definition. Im Bereich der Finanzermittlungen könnte das die Beobachtung von Vermögen oder die vorbeugende Ausforschung von Transaktionen umfassen. So könnten Verdächtige identifiziert und die Ermittler auf Tatkomplexe aufmerksam werden.