Raumsonden-Landung auf einem Öl-Ozean

Die Landung der ESA-Sonde "Huygens" auf dem Saturnmond Titan im Januar 2005 dürfte im wahrsten Sinne des Wortes wie geschmiert laufen

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Auf Titan, dem zweitgrößten Mond im Sonnensystem, soll Anfang 2005 die Raumsonde Huygens der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) landen. Zur Vorbereitung dieser Mission wird der Saturn-Mond derzeit weltweit ständig beobachtet. Jüngst hat eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern die Oberfläche des Trabanten mit bisher unerreichter Klarheit und Schärfe aufgenommen. Neue Oberflächenkarten sollen die Festlegung des Landeanflugs und des Landeplatzes von Huygens erleichtern. Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor. Gegenüber dem Wissenschaftsblatt "New Scientist" erklärte Martin Hartung von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile, wo und wie Huygens landen könnte.

23. Dezember 2004. Der Huygens-Lander hat sich gerade vom Cassini-Orbiter getrennt. Drei Wochen währt der freie Fall der irdischen Forschungssonde. Erst am Vormittag des 14. Januar 2005 taucht die büchsenähnliche Kapsel mit einer Geschwindigkeit von 30.000 Stundenkilometern in die dichte Gashülle des geheimnisumwitterten Saturnmondes ein.

Bereits nach fünf Minuten bremst die dichte Stickstoffatmosphäre den fremden Eindringling auf rund 1.000 Kilometer in der Stunde ab, bevor sich in einer Höhe von rund 180 Kilometer zunächst ein kleinerer Fallschirm öffnet, der den oberen Hitzeschutzschild wegzieht und Raum für den ersten Hauptfallschirm freigibt. Dieser zweite Fallschirm bremst Huygens schnell auf 370 km/h ab. Nach einer kurzen Stabilisierungsphase löst sich anschließend der große Hitzeschutzschild und die eigentliche Sonde kommt zum Vorschein.

Der Huygens-Landers kurz vor dem "Touchdown" (Bild: NASA)

Während des zweieinhalbstündigen Sinkfluges durch die eisigen Stürme des Saturnmondes schwebt Huygens mit pausenlos arbeitenden Sensoren der Oberfläche des Titan entgegen und analysiert die Umgebung und die chemische Zusammensetzung der dunstigen Atmosphäre, sammelt Daten über Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, Windstärke, elektrische Eigenschaften, Wolkenbedeckungen und vieles andere mehr. Nach dem Durchbrechen der Wolkendecke, quasi in der letzten Phase des Abstiegs, nimmt ein Kameraauge die bislang unbekannte Oberfläche des Himmelskörpers ins Visier und funkt augenblicklich sämtliche Daten und Bilder an das Mutterschiff, die dort zwischengespeichert und dann zur Erde gesendet werden.

Sanft schwebt der kleine Roboter seinem Zielgebiet, einem fremden Ozean, entgegen, legt eine bilderbuchmäßige Landung hin und schafft es sogar, sich 30 Minuten über "Wasser" zu halten, bevor er in den "titanischen" Fluten versinkt.

"Wasserung" in außerirdischen Gefilden

Sollte Huygens in acht Monaten wirklich ein derartig perfekter Abstieg und eine solch geniale Landung glücken, hätte auf jeden Fall das erste Mal in der Raumfahrtgeschichte ein irdischer Flugkörper mit einem außerirdischen Ozean Tuchfühlung aufgenommen. Es wäre zudem das erste Mal, dass Astronomen einen genauen Blick hinter dem ständig präsenten dichten orange-braunen Wolkenteppich geworfen und dabei in Erfahrung gebracht hätten, woraus die Oberfläche des "mystischen" Saturnmonds besteht, welche Umweltbedingungen dort herrschen und wie lange Huygens nach der Landung auf dem unwirklichen Terrain wenigstens theoretisch überleben kann.

Immerhin sind sich die Forscher in einem Punkt einig. Wenn das ESA-Gefährt auf dem fernen Mond mit einer berechneten Aufprallgeschwindigkeit von 20 km/h aufsetzt, wird dieses nicht etwa festen Boden touchieren, sondern vielmehr mit einem Meer in Kontakt treten, das mit einem irdischen Meer gleichwohl wenig gemein hat.

ESA-Huygens-Lander im Original in der Probephase (Bild: NASA)

Wie das englische Wissenschaftsmagazin New Scientist in seiner aktuellen Ausgabe (8. Mai 2004, S. 18) berichtet, glaubt der deutsche Astronom Markus Hartung von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile, der kürzlich mit einem ESO-Team mit einem der vier 8,2-Meter-Spiegel eine detaillierte Observation durchführte, dass der Huygens-Lander Anfang nächsten Jahres bei seiner Saturnmond-Visite sehr wahrscheinlich auf einem Ozean aufsetzen wird, der aus öligem Kohlenwasserstoff besteht.

"Korrekt hätte es heißen müssen: 'Ozean aus flüssigen Kohlenwasserstoffen' oder eben einfach 'Öl-Ozean'", relativiert Hartung gegenüber Telepolis die seiner Meinung nach etwas irreführende Formulierung "ocean of hydrocarbon oil", die im New Scientist zu lesen ist. "Die chemische Zusammensetzung von Ölen sind Kohlenwasserstoffketten – auch verzweigt – je länger, desto zähflüssiger. Die einfachste chemische Formel wäre CH4 (Methan), nur das würde man nicht unbedingt Öl nennen. In jenen hypothetischen Ozeanen aber vermutet man längerkettigere Kohlenwasserstoffe."

Minus 175 Grad Celsius kalte Titanoberfläche

Hartung und etliche andere Kollegen beobachten zur Vorbereitung der Huygens-Mission den Saturn-Mond schon seit geraumer Zeit mit leistungsstarken Teleskopen. Mit dem Ziel vor Augen, eine vollständige Karte der Oberfläche Titans zu erstellen und die Planung sowie den Landeanflug zu optimieren, soll Titan auch in den kommenden Monaten kontinuierlich anvisiert werden.

Bislang konnten die rund um den Globus verstreuten Teleskope den Trabenten so einige Geheimnisse entlocken. So konnte Voyager in der Stickstoffatmosphäre des Mondes nicht nur zahlreiche Kohlenwasserstoffverbindungen wie Acetylen, Ethylen, Äthan, Methylacetylen, Propan und Diacetlyen, sondern auch Blausäure nachweisen, welche als Grundlage für die Bildung von bestimmten Bausteinen des Erbmoleküls DNA dient.

Cassini-Aufnahme vom November 2002. Link vom Saturn unten ist der 'Titan' zu sehen. (Bild: Cassini Imaging Team, NASA)

Vorläufig deutet nach Ansicht der Forscher jedoch nichts auf die Anwesenheit von Leben auf Titan hin, befindet sich doch der Saturnmond derzeit in einem Zustand, der dem der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren sehr ähnelt. Dennoch vermuten Astrobiologen in der Atmosphäre des Saturnmondes reichlich Aminosäuren und Moleküle, die eine Vorstufe zum organischen Leben darstellen und die für die Bildung von Leben unabdingbar sind. Zumal kürzlich ein US-Team mithilfe der weltgrößten unbeweglichen Arecibo-Radioantenne in Puerto Rico entdeckte, dass ein großer Teil der etwa minus 175 Grad Celsisus kalten Titanoberfläche von einem Ozean aus verflüssigten Kohlenwasserstoffen bedeckt ist.

Genau dies konnten Markus Hartung (ESO) und Tom Herbst (MPIA) im Rahmen einer sechstägigen Observationssequenz im Februar 2004 bestätigen. Hierbei kam das im Infraroten arbeitende Instrument NACO1 am Very Large Telescope (VLT) der ESO und ein neuartiges Zusatzgerät zum Einsatz, das speziell zur Untersuchung von Objekten mit einer Methanatmosphäre entwickelt wurde. Mit diesem Gerät, dem sogenannten "Spectral Differential Imager” (SDI) 2, konnten die Astronomen jene dichten Wolken aus Methan und anderen Kohlenwasserstoffen durchdringen, die den Titan einhüllen und in fast allen Wellenlängenbereichen einen direkten Blick auf seine Oberfläche verhindern. Dabei gelang es ihnen, Bilder in mehreren benachbarten Wellenlängen zeitgleich aufzunehmen.

"Drachenkopf" und "jagender Hund"

Die gesammelten Daten lassen nur einen Schluss zu: Bei den hellen Strukturen mit hohem Reflexionsvermögen handelt es sich höchstwahrscheinlich um von Eis bedeckte "Kontinente” oder Hochebenen, wobei die großen, gleichmäßig dunklen auf der Oberfläche des Himmelskörpers zu sehenden Strukturen zweifelsfrei auf riesige Kohlenwasserstoff-Meere hindeuten. Ausgehend von den vorliegenden Daten glaubt Hartung, wie er gegenüber dem "New Scientist" zum Ausdruck brachte, dass die ESA-Sonde – sofern sie der vorgesehenen Flugbahn folgt – in dem so genannten Drachenkopf-Ozean landen wird, einem meerähnlichen Gebilde, das ausschließlich aus Kohlenwasserstoffen, vornehmlich Methan besteht.

Zur besseren Orientierung haben die Wissenschaftler den dunklen Regionen, die viele Sonnenlicht absorbieren und sehr wahrscheinlich Ozeane sind, mit den vorläufigen Namen "Drachenkopf", "jagender Hund" und "liegendes H" versehen. Endgültige, offizielle Namen werden erst zu einem späteren Zeitpunkt von der Arbeitsgruppe zur Benennung der Objekte im Sonnensystem der Internationalen Astronomischen Union (IAU) vergeben.

Auf jeden Fall sei Huygens, so Hartung, dafür konstruiert, in dem außerirdischen Meer eine Zeitlang zu schwimmen. Einige Instrumente seien sogar besser für eine Analyse von Flüssigkeiten als von Feststoffen geeignet. Tatsächlich scheint die 343 Kilogramm schwere Eintrittssonde derart robust, dass sie den harten Aufschlag, der sowohl auf dem Festland als auch in Form einer "Wasserung" in einem möglichen Öl-See erfolgen könnte, wenigstens für kurze Zeit überleben kann. Garantiert werden drei Sekunden, erhofft dagegen 30 Minuten.

Wolkenbilder von einer unwirklichen Welt

Binnen vier Jahre soll Cassini den Saturn in einer Distanz von 180.000 bis 420.000 Kilometern insgesamt 76 Mal umkreisen und dabei auch möglichst viele seiner 30 Monde ins Visier nehmen. Am 26. Oktober 2004 erfolgt sodann der erste gezielte Titan-Nah-Vorbeiflug in nur 1.200 Kilometer Distanz und am 13. Dezember 2004 der zweite, gezielte aus 2.350 Kilometern Abstand zum Titan.

Zwar wird die Kapsel bereits am 23. Dezember 2004 abgesetzt; die Landung auf der Mondoberfläche erfolgt aber erst am 14. Januar 2005. Vorgesehen ist, dass die Landesonde auf der kargen Titan-Oberfläche zurückbleibt, während Cassini sein vierjähriges Forschungsprogramm fortsetzt und Saturn mitsamt lunarem Anhang weiter unter die Lupe nimmt.

Was auch immer Huygens im nächsten Jahr an Bit und Bytes gen Erde abstrahlen wird: Das technisch komplexe und anspruchsvolle, fernab der Erde durchgeführte Unternehmen verspricht eine höchst spannende Zeitreise in die Vergangenheit zu werden, eine Zeitreise zu den Anfängen des irdischen Lebens – dahin zurück, wie die Erde einmal ausgesehen haben mag, als der Homo sapiens sapiens noch in weiter, weiter Ferne war.