Reaktion auf Terroranschlag:
Kenia will weltgrößtes Flüchtlingslager schließen
Am Gründonnerstag stürmten Mitglieder der somalischen Terrorgruppe al-Shabaab die Universität der ostkenianischen Stadt Garissa und töteten während eines mehrstündigen Massakers 142 Studenten und sechs Wachleute. Vorher forderten sie ihre Opfer dazu auf, aus dem Koran zu rezitieren: Wer das konnte, galt als Moslem und wurde laufengelassen. Wer nicht, wurde grausam getötet und beim Sterben verhöhnt.
Der Anschlag, bei dem es mehr als sieben Stunden dauerte, bis eine Anti-Terror-Einheit am den Tatort eintraf, setzte die Regierung unter Druck: Am 6. April bombardierte sie zwei Lager der al-Shabaab-Miliz in Somalia. Nun forderte der kenianische Vizepräsident William Ruto die Vereinten Nationen dazu auf, das kenianische Flüchtlingslager Dadaab innerhalb der nächsten drei Monate hinter die somalische Grenze zu verlegen und dort weiterzubetreiben. Handele die UN nicht innerhalb der gesetzten Frist, dann werde Kenia die Lagerbewohner selbst umsiedeln.
Dadaab gilt als das weltweit größte Flüchtlingslager. Hier leben 350.000 bis 600.000 Somalis, die vor dem seit mittlerweile 27 Jahre andauernden Bürgerkrieg in ihrer Heimat geflohen sind. Darunter befinden sich auch Anhänger der al-Shabaab, die eine gewisse informelle Kontrolle über das Lager ausüben und "Steuern" (Schutzgeld) kassieren sollen. Die kenianische Regierung glaubt, dass die Terrorgruppe den Standort und die Bewegungsfreiheit der dort lebenden Somalis außerdem dazu nutzt, um Ziele für Anschläge auszuspionieren und Terrorakte vorzubereiten.
In den letzten Jahren gab es neben dem Garissa-Massaker zahlreiche solcher Terrorakte: In einem Steinbruch in der Nähe von Mandera erschossen und enthaupteten al-Shabaab-Dschihadisten am 2. Dezember 36 Arbeiter, die sie vorher als "Ungläubige" ausgemacht hatten. Am Tag vor dem Massaker im Steinbruch hatten somalische Salafisten Handgranaten in eine Bar im südlich von Mandera gelegenen Wajir geworfen und auf die Gäste geschossen, wobei einer ums Leben kam und 12 weitere verletzt wurden.
Wesentlich mehr Tote hatte ein Überfall auf einen Bus zur Folge, bei dem al-Shabaab im Bezirk Mandera am 22. November 2014 28 Menschen ermordete. Hier ließen die Terroristen die an ihrer Physiognomie als Somalis erkennbaren Fahrgäste in Ruhe und forderten die anderen auf, die Schahāda zu rezitieren. Wer das nicht konnte, wurde erschossen.
Im Juli 2014 überfiel ein Shabaab-Kommando ein Polizeirevier im County Tana River und tötete dabei neun Menschen. Im Monat davor verübte al-Shabaab einem Anschlag auf die in der Nähe der Ferieninsel Lamu gelegenen Stadt Mpeketoni, bei dem 48 Personen ums Leben kamen. Dazu stürmten die Dschihadisten unter anderem eine Videohalle, in der ein gerade ein Fußballweltmeisterschaftsspiel ausgestrahlt wurde, und zwei Hotels. Dabei erschossen sie gezielt Männer, während deren Frauen zusehen mussten.
Im Mai 1014 sprengten die somalischen Salafisten einen Marktplatz in Nairobi in die Luft und warfen Handgranaten auf die Flüchtenden, wobei sie mindestens vier Menschen töteten. Im März 2014 brachten sie bei Anschlägen im Eastleigh-Viertel in Nairobi und auf eine katholische Kirche acht Menschen um. Und im Dezember 2013 bewarfen sie einen Bus mit Granaten, wobei vier Fahrgäste zerrissen wurden.
Den vor dem Garissa-Massaker schwersten Shabaab-Anschlag in Kenia gab es im September 2013 auf das Westgate-Einkaufszentrum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Hier töteten die Terroristen 61 Zivilisten und sechs Sicherheitskräfte. Auch bei diesem Massaker schlachteten sie gezielt Nichtmoslems und stellten Fragen, um diese zu ermitteln.
Dass die Verlegung des Lagers hinter die somalische Grenze hundertprozentigen Schutz vor solchen Anschlägen gewähren wird, ist insofern unwahrscheinlich, als in Kenia nicht nur somalische Flüchtlinge, sondern auch zahlreiche einheimische Somalis leben, weil der somalisch besiedelte Osten des Landes bei der Auflösung des britischen Kolonialreichs nicht über sein Schicksal abstimmen durfte, sondern einfach Kenia zugeschlagen wurde. Hinzu kommen Salafisten aus anderen kenianischen Volksgruppen, die sich der somalischen Terrorgruppe angeschlossen haben oder mit ihr sympathisieren.
Auch Abdirahim Abdullahi einer der Anführer des Garissa-Massakers war ein kenianischer Staatsbürger. Dass er darüber hinaus gut ausgebildet und wohlhabend war, zeigt, dass sich das komplexe Problem des salafistischen Terrorismus nicht alleine mit monokausalen Benachteiligungsbehauptungen erklären lässt.
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