Rechte auf dem Vormarsch: Das bedeutet Geert Wilders‘ Sieg für Deutschland
- Rechte auf dem Vormarsch: Das bedeutet Geert Wilders‘ Sieg für Deutschland
- Krisenwerte in Deutschland sind sogar noch dramatischer
- Mehr Probleme als Lösungen: das System kollabiert
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Das Wahlergebnis schockiert viele. Die Bedeutung für Deutschland sehen wenige. Drei Gründe, warum auch uns ein Den-Haag-Moment bevorsteht. Ein Telepolis-Leitartikel.
Empörung und das Entsetzen herrscht in Politik und Medien über den Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders in den benachbarten Niederlanden. Die larmoyanten Reaktionen wurden am Donnerstag dieser Woche durch Agenturbilder verstärkt. Sie zeigten Anhänger der bürgerlichen Parteien kurz nach Bekanntwerden des Ergebnisses mit entsetztem Gesichtsausdruck und Tränen in den Augen.
Doch dieser Umgang mit dem Thema war nicht nur unprofessionell, weil distanzgemindert, und damit unjournalistisch. Er war geradezu skurril.
Haben die Korrespondenten in den Niederlanden, die Kommentatoren in Deutschland, die verantwortlichen Redakteure und schließlich auch die Politiker die letzten Jahre verschlafen?
Tatsächlich gibt es keinen Grund zur Verwunderung. Wer nicht in einer politischen Blase gelebt hat oder aus anderen Gründen ideologisch verblendet ist, versteht: Der Sieg von Geert Wilders ist kein Betriebsunfall.
Er ist Ausdruck des Zusammenbruchs des liberal-bürgerlichen Lagers, das seine Bürger, welcher Herkunft auch immer, zunehmend im Stich lässt.
Dieses Versagen zeigt sich in vielen wichtigen Politikfeldern: in der Sozialpolitik, in der Wohnungspolitik, in der Steuerpolitik, in der Geldpolitik, in der Infrastrukturpolitik, in der Migrationspolitik und im Umgang mit der inneren Sicherheit.
Geht es um die Niederlande, scheint die Erinnerung keine acht Jahre zurückzureichen: Im Herbst und Winter 2015 führte die gescheiterte Flüchtlingspolitik des damaligen Ministerpräsidenten (und inzwischen gescheiterten Ex-Ministerpräsidenten) Mark Rutte zu Ausschreitungen und Unruhen. Das war ungewöhnlich für die bis dahin so entspannt wirkenden Niederländer.
Schon damals im Visier: Ruttes Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), die Volkspartei für Freiheit und Demokratie. Im Dorf Oranje in der nordöstlichen Provinz Drenthe griff damals eine aufgebrachte Menge das Auto des VVD-Politikers und damaligen Justizstaatssekretärs Klaas Dijkhoff an.
Der Grund: Dijkhoff hatte zuvor verkündet, dass der kleine Ort mehr als doppelt so viele Flüchtlinge aufnehmen müsse wie ursprünglich geplant, nämlich 1.200.
Zahlreiche Bürgermeister warfen der Regierung daraufhin vor, sie mit der plötzlichen Unterbringung von Flüchtlingen zu überfordern – eine Debatte, die zeitversetzt spätestens im Sommer dieses Jahres auch Deutschland erreichte. Und das ist nur eine Parallele.
Ruttes Reaktion auf Unruhen: Moral, Appelle und ein Weiter-so
In Utrecht kam es später zu Ausschreitungen. Im benachbarten Woerden griffen Demonstranten eine Sporthalle mit 100 erwachsenen Flüchtlingen und 50 Kindern mit Feuerwerkskörpern und Eiern an. Rutte verurteilte den "feigen Angriff" und zeigte sich auf Facebook entsetzt über die "absolut inakzeptable" Attacke.
Doch niemand, am allerwenigsten Rutte, fragte nach dem Anteil der bürgerlichen Parteien an der Eskalation.
Dabei liegen die Gründe auf der Hand und sind vielfältig.
Grund 1: Versagen in der Integrationspolitik
Dieses Versagen der bürgerlich-liberalen Mitte betrifft die Sozial- und die Wohnungspolitik gleichermaßen. Von Aubervilliers bei Paris über Duisburg-Marxloh bis Amsterdam-Bijlmermeer: Die Problemviertel sind historisch gewachsen.
Zahlreiche aufeinander folgende Regierungen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene haben die soziale, gesellschaftliche und städtebauliche Segregation zugunsten wirtschaftlicher Interessen in Kauf genommen und damit einen verheerenden Teufelskreis in Gang gesetzt: Flüchtlinge werden mehrheitlich nur noch in den Problemvierteln untergebracht oder finden bloß noch dort eine Bleibe.
Ihre Kinder werden in den meisten Fällen aufgrund ihrer Herkunft stigmatisiert und können – wenn überhaupt – nur schlechte Schulen besuchen. Mit sinkendem Bildungsniveau, selten selbst gewollt, sinken die Chancen und steigt die Wahrscheinlichkeit einer Ausgrenzung aus der Mehrheitsgesellschaft.
Womit wir wieder beim Liberalismus wären. In Deutschland waren es die Preußen, die Ende 1717 unter Wilhelm I. gegen erhebliche Widerstände die allgemeine Schulpflicht einführten.
Friedrich der Große entwickelte die Schulpolitik weiter, verbesserte die Lehrpläne und die Lehrerausbildung. Er berief sich, wie sein ebenso philosophisch interessierter Zeitgenosse Benjamin Franklin, auf die Menschenrechte und stellte den gesellschaftlichen Fortschritt ins Zentrum des politischen Handelns.
Wenngleich diese preußische Politik, wie der deutsch-britischen Publizist Sebastian Haffner einmal meinte, auch eigennützig war, weil sie dem "Erhalt und Selbsterhalt" diente, war sie auf den nachhaltigen Aufbau einer funktionierenden Gesellschaft ausgerichtet.
Und heute? Schule und Bildung sind eine der Bruchstellen europäischer Gesellschaften. Nicht nur in Deutschland, aber auch hier. Selbst in mittelständig-bürgerlichen Vierteln sind viele Schulen marode und leiden unter Mangel an Ressourcen und Lehrpersonal. Von sozialen Brennpunkten ganz zu schweigen.
Oft wird der Satz bemüht, Investitionen in Bildung seien Investitionen in die Zukunft. Doch was bedeutet das im Umkehrschluss für die heutige Gesellschaft und ihre führenden Akteure?
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