Rechter Sektor ohne Führer

Waffenstillstand in der Ost-Ukraine, keine Arbeitsplätze für Front-Rückkehrer und nun auch noch Rücktritt von Dmitro Jarosch, Führer des Rechten Sektors

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Der Leiter des rechtsradikalen Rechten Sektors (RS), Dmitro Jarosch, spielt ein merkwürdiges Spiel. Zu einer Konferenz der Organisation in Kiew am 8. November erschien er nicht. Die Versammelten beschlossen eine "revolutionäre Strategie" zum Sturz der ihrer Meinung nach gegenüber Russland zu nachgiebigen Regierung.

Die Versammelten wählten Jarosch in Abwesenheit zu ihrem Führer und trugen ihm auf, eine neue, revolutionäre Strategie umzusetzen. Der Pressesekretär des Rechten Sektors, Artjom Skoropadskij, erklärte nach der Konferenz, die Bewegung müsse zur revolutionären Strategie zurückkehren. Jarosch habe sich nach seiner Verwundung im Januar von der Leitung des Rechten Sektor "etwas zurückgezogen … Wir erinnern ihn daran, mit was er sich beschäftigten soll."

Drei Tage Bedenkzeit

Doch der 44-jährige Jarosch, der den Dachverband "Rechter Sektor" im Dezember 2013 gegründet hatte, spielte nicht mit. Nach dreitägiger Bedenkzeit teilte er per Facebook mit, er sei mit Vielem nicht einverstanden und nicht in der Lage, für alles die Verantwortung zu übernehmen. Ein "Hochzeits-General" wolle er nicht sein, weshalb er zurücktrete. Untergliederungen des RS in Dnjepropetrowsk, Charkow und Lviv erklärten, sie würden den Rücktritt nicht annehmen und baten den "einzigen Führer" auf seinem Posten zu bleiben.

Der Kiewer Politologe Wladimir Fesenko glaubt nicht, dass sich Jarosch jetzt vollständig aus dem RS zurückzieht. "Er bleibt mindestens informeller Leiter", denn in dem Dachverband gäbe es keinen gleichwertigen Ersatz.

Dmitri Jarosch. Bild von seiner Facebookseite

Das Verhalten von Jarosch führte unter Beobachtern zu Spekulationen, ob der Führer des RS für den ukrainischen Geheimdienst einen Auftrag ausführt. Der Pressedienst des RS selbst förderte diese Spekulationen, als er mitteilte, dass nach der RS-Konferenz vom 8. November "einige Personen, die durch eigene, geschäftliche Interessen gelenkt sind und möglicherweise Verbindungen zum Geheimdienst haben, alles tun, um Dmitro Jarosch dazu zu bringen, dass er die Entscheidung der Konferenz nicht anerkennt und die revolutionäre Strategie nicht annimmt".

Er sei Revolutionär aber für einen starken Staat, erklärte Jarosch nach seinem Rücktritt. Dass Jarosch sehr gute Kontakte zu dem im Juni zurückgetretenen Geheimdienstchef Walentin Naliwaitschenko hat, ist allgemein bekannt.

Wie tief die Meinungsverschiedenheiten im Rechten Sektor sind, zeigt ein Text, der einige Tage vor der Konferenz des Rechten Sektors auf der Website der Organisation Trisub (Dreizack) - einer der Gründer-Organisationen des RS - veröffentlicht wurde. Dort wird zur Vorbereitung einer "nationalen Revolution" und dem Sturz des "herrschenden Regimes" aufgerufen. Die Revolution könne "schon Morgen oder Übermorgen" stattfinden. Nur mit "klaren revolutionären Ideen und Tätigkeiten, welche die Bereitschaft zur siegreichen Revolution zeigt", könne eine "kritische Masse geformt" werden. Die "Chance für eine Revolution" dürfe man "nicht verstreichen" lassen.

Weiterkämpfen in den Regionen?

Bei den Mitgliedern des RS handelt es sich um den radikalen Flügel des Maidan, der das erste Mal am 1. Dezember 2013 in Erscheinung trat, als mit Stahlketten bewaffnete, rechte Militante sich mit der Polizei eine Schlacht vor der Präsidialverwaltung lieferten (Hass auf Moskauer, Juden und "andere Unreine"). Unter den RS-Mitgliedern sind auch 700 Freiwillige, die in selbstorganisierten Bataillonen in der Ost-Ukraine kämpften und nun, wo ein Waffenstillstand herrscht, nicht wissen, womit sie sich beschäftigen sollen. Die RS-Mitglieder wissen, wie man Beamte überfällt, die mit dem alten Regime zusammengearbeitet haben, und sie in Mülltonnen steckt. Doch politische Arbeit und das Werben und Überzeugen mit Argumenten ist ihnen fremd.

Bei Wahlkämpfen war die im März 2014 gegründete Partei "Rechter Sektor" erfolglos. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 bekam Dmitro Jarosch nur 0,7 Prozent und bei der Parlamentswahl im Oktober 2014 scheiterte der RS mit 1,8 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde. RS-Führer Jarosch wurde zwar bei der Parlamentswahl als Direktkandidat in die Werchowna Rada gewählt. Von 114 Parlamentssitzungen hat er aber nur fünf besucht, wie die Kiewer Zeitung Segodnja nachrechnete.

Jarosch wird durch seinen Rücktritt bei vielen RS-Mitgliedern Vertrauen verlieren. Die Aktivität Rechtsradikalen in der Ukraine ist ungebrochen. Am 12. November gab es in der zentralukrainischen Stadt Saparoschje einen Fackelmarsch rechtsradikaler Gruppen. Die Demonstranten riefen "Bij moskalja!" (Schlag die Moskauer).

Bild von der Facebook-Seite von Jarosch

Nach Meinung von Beobachtern ist durchaus möglich, dass arbeitslose RS-Mitglieder jetzt in den Regionen der Ukraine bewaffnete Einheiten bilden und auf eigene Faust für "Ordnung" sorgen. Im Juli gab es bereits einen derartigen Fall. Im äußersten Westen des Landes, nur wenige Kilometer zur Grenze nach Ungarn, überfielen Mitglieder des RS einen Sportclub, wo sich angeblich ein Schmuggelkönig aufhielt und lieferten sich danach ein Feuergefecht mit der Polizei (Rechter Sektor probt den Aufstand in der Westukraine). Dmitro Jarosch musste anreisen, um den Konflikt zu schlichten.

Die Radikalität der von der Front Zurückgekehrten nimmt zu. Am 31. August warf während einer Kundgebung vor der Werchowna Rada, ein von der Ost-Front zurückgekehrter Freiwilliger eine Handgranate in die Reihen der Polizei ("Maidan-Helden" wittern Verrat). Vier Polizisten starben, über 100 Personen wurden verletzt. Dmitro Jarosch bezeichnete die Aktion als "idiotisch". Denn es gäbe in der Ukraine noch Möglichkeiten politisch etwas zu erreichen.

Nach der Bluttat vom 31. August warnte Jarosch vor übertriebenen Hoffnungen bei einem Sturz der Regierung. "Wenn sich Kameraden an mich wenden und sagen, 'lass uns eine Revolution machen, weil ich es nicht mehr aushalte, ich weiß nicht wovon ich leben soll', erkläre ich ihnen einfach, selbst wenn wir die Macht auswechseln, wird es nichts Besseres geben." Die Leute würden "einfach nicht verstehen", dass das Finanzsystem beim Sieg der Nationalisten "sofort zerstört wird und die Wirtschaft zum Stillstand kommt." Die Nationalisten seien zur Lenkung des Staates noch nicht in der Lage.

Unter hilflosem Geschrei abgeführt

Der ukrainische Regierung kommt der Rücktritt von Jarosch gelegen. Denn die Regierung ist dabei, den Einfluss der ultranationalistischen Heißsporne einzuschränken.

Am 31. Oktober wurde Gennadi Korban, der Leiter der Partei Ukrop von einer Polizei-Spezialeinheit in seiner Wohnung in Dnjepropetrowsk verhaftet Poroschenko mit eiserner Faust gegen ehemalige Kampfgenossen. Korban wird Unterschlagung von Geldern aus dem Fond zur Verteidigung des Vaterlandes vorgeworfen. Bei Durchsuchungen von Ukrop-Büros wurden über eine Million Dollar sichergestellt. In der Partei Ukrop haben sich viele Mitglieder von Freiwilligen-Bataillonen organisiert, die in der Ost-Ukraine gegen Separatisten kämpften. Dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko ist die Partei Ukrop suspekt, da sie von Igor Kolomoiski, einem mit ihm um die Macht konkurrierenden Oligarchen finanziert wird.

Am 12. Oktober dursuchten Polizisten in der West-Ukraine die Wohnungen von Funktionären der rechtsradikalen Partei Swoboda. Durchsucht wurde die Wohnung von Aleksandr Sytsch (vom 27. Februar 2014 bis zum 2. Dezember 2014 Vizeministerpräsident der Ukraine), Oleg Pankewitsch (ehemaliger Leiter des Swoboda-Parteirates im Gebiet Lviv) und Igor Jankiw (Leiter des Swoboda-Parteigerichts).Die ukrainische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Swoboda-Funktionäre, wegen einer Verwicklung in die Todesschüsse, die am 20. Februar 2014 aus dem Hotel Ukraina auf Demonstranten auf dem Maidan abgegeben wurden. Alle drei Funktionäre wohnten an diesem Tag im elften Stock des Hotels Ukraina.

Am 17. September 2015 traf es den bekannten Abgeordnete der Radikalen Partei Mosijtschuk, der für demonstrative Einschüchterungsaktionen gegen Personen des öffentlichen Lebens bekannt ist, die angeblich mit der alten Macht zusammengearbeitet haben. Diesem selbsternannten Hüter der neuen Ordnung präsentierte der ukrainische Generalstaatsanwalt im Plenarsaal der Werchowna Rada eine Überraschung. Es wurde ein mit versteckter Kamera aufgenommenes Video vorgeführt, in dem zu sehen ist, wie Mosijtschuk von einem Geschäftspartner zahlreiche Geldschein-Bündel für angebliche Schutzdienste entgegennimmt (Minute 5:30). Die Abgeordneten der Radikalen Partei, der Mosijtschuk angehört, sahen der Filmvorführung fassungslos zu (Minute 6:25). Die Abgeordneten des Blocks Petro Porschenko dagegen stimmten "Schande, Schande"-Rufe an.

Unmittelbar nach der Film-Vorführung stimmte die Rada mit 262 Stimmen für die Aufhebung der Immunität von Mosijtschuk. Darauf wurde der Abgeordnete im Parlament von einer Polizei-Spezialeinheit festgenommen und unter hilflosem Geschrei von Oleh Ljaschko, dem Vorsitzenden der Radikalen Partei, abgeführt.