Rechter Terror: Ein Cold Case mit zehn Toten und der Ruf nach Aufklärung

Das Haus in der Lübecker Hafenstraße nach dem Anschlag.

Das Haus in der Lübecker Hafenstraße nach dem Anschlag. Foto: Stephan Grimm / CC-BY-SA-4.0

Ein Neonazi gestand den Lübecker Brandanschlag 1996. Überlebende gaben Hinweise. Verdächtigt wurde dennoch ein Mitbewohner. Wird bald neu ermittelt?

"Diese Leute sind immer noch auf freiem Fuß", sagt Esperanca Bunga. Sie ist eine der Überlebenden eines sehr wahrscheinlich von Neonazis verübten Anschlags, der nie aufgeklärt wurde.

Rassismus als wahrscheinliches Motiv

Zehn Menschen mit migrantischem Hintergrund starben nach einem Brandanschlag am 18. Januar 1996 in der Hafenstraße 96 in Lübeck. Bis heute wurde für diese Mordtat niemand verurteilt. Ein "Cold Case" mit zehn Toten – bis heute unaufgeklärt.

Dafür wurde mit Safwan Eid, ein aus dem Libanon stammender Mitbewohner der Opfer, als angeblicher Brandstifter angeklagt, saß in Untersuchungshaft und wurde zweimal freigesprochen.

Dafür sorgte auch seine engagierte Anwältin Gabriele Heinecke. Sie ist neben Esperanca Bunga auch eine der wichtigsten Protagonistinnen des Rechercheprojekts "Hafenstraße", das zurzeit am Theater Lübeck gezeigt wird.

Neue Ermittlungen durch öffentlichen Druck?

Wie so oft in der letzten Zeit finden wichtige politische Interventionen im Theater statt. Regisseur des Projekts Hafenstraße ist der in Schwerin geborene Theaterwissenschaftler Helge Schmidt, der schon in der Vergangenheit mit engagierter politischer Kultur aufgefallen ist. Als Ziel der Theaterarbeit benennt er ganz klar, dass die Verantwortlichen für den Anschlag vor 28 Jahren vor Gericht gestellt werden sollen.

"Es klafft eine Wunde in der Stadt, die im kollektiven Gedächtnis zu verblassen droht", betont Schmidt die Notwendigkeit einer juristischen Aufarbeitung. Tatsächlich haben der Anschlag von Lübeck und die Anklage gegen Safwan Eid die gesellschaftliche Linke nach 1996 über Jahre beschäftigt.

Video-Performance mit brisanten Informationen

Es gab zahlreiche Kongresse, Demonstrationen und ein gut recherchiertes Buch des Journalisten Wolf-Dieter Vogel unter dem Titel "Der Lübecker Brandanschlag". Vogel hat gemeinsam mit Anwältin Heinicke einen großen Anteil daran, dass Safwan Eid freigesprochen wurde.

Leider wurde das Buch im Rechercheprojekt am Lübecker Theater nicht erwähnt. Aber es werden tatsächlich sehr viele Informationen über den heute fast vergessenen Brandanschlag zusammengetragen. Mit den Fundstücken und zahlreichen Interviews, die per Video auf sieben Jalousien projiziert werden, die im Theater von der Decke hängen, werden tatsächlich brisante Informationen vermittelt.

Verstörendes Polizeiverhalten: Strafvereitelung im Amt?

Dabei steht sogar Strafvereitelung im Amt durch die Lübecker Polizei und Justiz im Raum. Denn drei Neonazis waren mit Brandspuren im Gesicht in der Tatnacht in der Nähe der Brandstelle angetroffen und kurzfristig festgenommen worden. Doch kurze Zeit später waren sie wieder auf freiem Fuß. Schließlich sollte ja einer der Bewohner der Brandstifter sein.

Nach dem Freispruch von Safwan Eid wurde keine Anklage mehr erhoben, obwohl zwei der Neonazis die Tat sogar gestanden. Einer von ihnen wiederholte seine Aussage sogar bei der Polizei. Doch das führte nicht etwa zu einer Anklage. Denn die Polizisten sollen den Jungrechten erfolgreich überzeugt haben, die Aussage wieder zurückzuziehen.

Das unerwünschte Geständnis eines Neonazis

Im Theater wird die Aussage eines bei dem Termin anwesenden Beamten des Landeskriminalamts eingespielt, der aber nicht selbst an der Vernehmung beteiligt war. Dessen Aussage müsste eigentlich eine Ermittlung wegen Strafvereitelung im Amt nach sich ziehen. Der Polizist sagt selbst, wie überrascht er über das Verhalten der Vernehmungsbeamten gewesen sei, und dass er seitdem sein Vertrauen in die Polizei verloren habe.

Äußerst befremdlich ist auch die Reaktion des damals mit der Sache befassten Lübecker Staatsanwalts, der dessen Statement im Theater eingeblendet wird. Er bekundete lächelnd vor der Kamera, er habe das Geständnis des Neonazis nicht gelesen, dazu habe er seine Leute. Er habe Wichtigeres zu tun.

Nun handelt es sich bei den drei Grevesmühlener Neonazis um genau diejenigen, die in der Nähe des Brandorts von der Polizei kontrolliert wurden. Zwei von ihnen hatten Brandspuren im Gesicht, die sie mit abenteuerlichen Erklärungen rechtfertigen wollten. Aber bei der Justiz fanden sie Glauben.

Die falsche Theorie vom Brand im Inneren des Hauses

Sehr kundig widerlegt Anwältin Heinecke die Grundannahme der Staatsanwaltschaft, dass der Brand im Inneren des Hauses gelegt worden sein müsse und somit die Neonazis nicht als Täter in Frage kämen. Das Szenario, das die Anwältin gemeinsam mit Brandsachverständigen entwickelte, scheint sehr überzeugend.

Demnach wurde das Feuer in einem hölzernen Vorbau des Hauses gelegt, den die Täter von außen erreichen konnten. Dann warfen sie einen Molotow-Cocktail durch das Feuer in den ersten Stock. Der dort entstandene Brand versperrte den Bewohnerinnen und Bewohnern den Fluchtweg.

Migrantische Opfer und verschleppte Ermittlungen

Im Laufe des Theater-Abends werden Erinnerungen an Oury Jalloh wach, der am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt war. Auch in seinem Fall waren die Ermittlungen verschleppt worden. Erst durch die unermüdliche Aufklärungsarbeit der Unterstützer der Familie von Oury Jalloh wurde bekannt, dass schon vorher zwei weitere Männer in oder in der Nähe der Dessauer Polizeiwache unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen waren.

Rechter Terror: Erinnerungen an den NSU

Der Umgang der Polizei mit den Bewohner:innen der Hafenstraße erinnert auch an die Klagen, die Angehörige der Mordopfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) äußerten. Sie waren in Polizeiverhören wie Schuldige behandelt worden. Jeder Hinweis, dass Rechte hinter den Morden stehen könnten, wurden vehement zurückgewiesen, bis sich der NSU quasi selbst enttarnte.

Überlebende dementierten Gerüchte über Streit im Haus

Auch die Bewohner:innen der Hafenstraße 96 hatten schon kurze Zeit nach dem Anschlag in einer gemeinsamen Erklärung betont, dass den Brand niemand von ihnen gelegt habe.

Wir haben in der Hafenstraße jahrelang zusammengelebt wie eine große Familie. Unsere Kinder haben überall im Haus miteinander gespielt – egal, ob sie schwarz oder braun oder weiß waren. Wir haben uns sehr gut verstanden.

Jetzt behaupten die Medien einen bösen Streit zwischen Arabern und Afrikanern. Diesen Streit gibt es nicht. Wir haben in Frieden und Freundschaft zusammengelebt – wir, Flüchtlinge aus Angola, aus dem Libanon, aus Syrien, aus Togo, aus Zaire. Es wird ihnen nicht gelingen uns zu spalten.

Der Brandanschlag vom 18. Januar war nicht der erste Angriff auf uns. Bereits im Juni letzten Jahres wurde im Eingang des Hauses eine stark riechende, brennbare Flüssigkeit ausgeschüttet. Es ist damals nichts weiter passiert. In der Nacht zum 18. Januar haben einige von uns deutlich gehört, wie eine Scheibe eingeschlagen wurde. Kurz darauf stand das ganze Haus in Flammen. Viele von uns sind aus den Fenstern gesprungen.

Aus der Erklärung der Überlebenden des Brandanschlags vom 18. Januar 1996

Die Überlebenden von Lübeck gaben auch einen Hinweis auf die deutschen Täter.

Die deutschen Jungen sind nur wenige Stunden vernommen worden. Sie kamen nicht in Untersuchungshaft. Sie sind nach weniger als 48 Stunden freigelassen worden. Ihre Namen wurden geschützt.

Aus der Erklärung der Überlebenden des Brandanschlags vom 18. Januar 1996

Auch hier wurde migrantisches Wissen ignoriert wie bei den Opfern des NSU, die schon 2006 mit der Forderung "Kein zehntes Opfer" auf die Straße gegangen sind. Erst Ende 2011 wurde der NSU durch sein zynisches Propagandavideo bekannt, das Beate Zschäpe nach dem mutmaßlichen Doppelselbstmord ihrer Komplizen verschickt haben soll.

Es geht auch um die Rolle der staatlichen Akteure

Im Fall des Lübecker Anschlags haben hingegen selbst die Geständnisse der Neonazis nicht zu einer Anklage gegen sie geführt.

28 Jahre später versucht die Initiative Hafenstraße doch noch einen Prozess gegen die Verdächtigen durchzusetzen. "Dann haben wir auch Platz zum Trauern und zum Gedenken", betont einer der Überlebenden. Das ist auch die Forderung einer Petition von Überlebenden und Unterstützern schon vor zwei Jahren online gestellt wurde. Doch es geht auch um die Rolle der staatlichen Akteure.

"Wir fordern Sie auf, sich für die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses einzusetzen, um die Tat und die Ereignisse der Nacht des 18. Januars 1996 neu aufzuarbeiten, zu bewerten und in die Untersuchungen ein rassistisches Tatmotiv einzubeziehen", heißt es in der Petition.

Teile von Polizei und Justiz wollen keine deutschen Täter

Vielleicht sorgt die Theateraufführung dafür, dass der öffentliche Druck zur Durchsetzung dieser Forderungen steigt. Solange dies nicht der Fall ist, kann nicht von einem funktionierenden Rechtsstaat gesprochen werden.

Kurz nachdem Safwan Eid 1996 verhaftet worden war, hatten Ultrarechte in Lübeck mit einem Plakat demonstriert, auf dem stand: "Wer entschuldigt sich jetzt bei uns Deutschen?". Hier wird auch der Grund hinter der bisher verweigerten Aufklärung deutlich: Deutsche Täter sind in Teilen von Polizei und Justiz nicht erwünscht.