Reformen auf der Tagesordnung des Arabischen Gipfeltreffens

Erstmals Kritik an palästinensischen Anschlägen gegen Zivilisten

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Nur wenige Araber erwarten sich Veränderungen auf den Gipfeltreffen ihrer politischen Führer. Regelmäßig werden wohltönende Beschlüsse gefasst, die folgenlos bleiben. Dieses Wochenende trafen sich die Staatsoberhäupter in Tunesien, hauptsächlich um über die Lage im Irak und in den von Israel besetzten Palästinensergebieten sowie über politische Reformen zu diskutieren. Aber nicht einmal die privaten TV-Sender der Region berichten in besonderer Weise über das Ereignis. Libyens exzentrischer Präsident, Muammar Ghadafi, war wie immer im Mittelpunkt der Berichterstattung. Er erboste sich schnell über die Ablehnung seines Friedensvorschlags, der Gründung eines bi-nationalen Staates für Israelis und Palästinenser. "Die arabischen Führer haben nur ihre eigenen Interessen im Kopf und nicht die ihrer Bevölkerung", folgerte er und drohte, den informellen Staatenbund zu verlassen. Er bezog sich damit auch auf innenpolitische Reformbestrebungen und die von vielen kritisierte "Greater Middle East Initiative" der USA.

"Reformen müssen von den betroffenen Gesellschaften selbst initiiert werden und nicht von außerhalb", so Hosni Mubarak bereits im Vorfeld des Gipfels. Und hier endet auch schon die Übereinstimmung des ägyptischen Präsidenten mit den Oppositionellen vieler Länder der Region. Der jordanische Journalist Batir Wardam beschreibt in der Tageszeitung Al-Dustur drei arabische Konterhaltungen gegenüber dem US-Plan:

Da ist die kulturelle und ideologische Zurückweisung des Konzepts Demokratie und politischer Pluralismus und dessen Vertretern, die die moralische Oberhoheit zu besitzen meinen. Die zweite Position ist die der arabischen Regimes, die ihre Privilegien behalten wollen. Sie verteidigen ihre Praktiken der Unterdrückung und Tyrannei.

Dazu komme das liberale Lager, für das Demokratie, Gerechtigkeit und Pluralität zwar der einzige Weg zu Reformen sind.

Sie sind sich aber ebenso sicher, dass die USA hierbei kein glaubwürdiger Partner sind, sondern ihr Engagement arabische Reformversuche vielmehr schwächt.

Den USA wird vorgeworfen, Diktaturen wie Saudi-Arabien und die Golf-Staaten zu stützen, während ein Staat wie Syrien, in dem Frauen im Vergleich zu allen anderen arabischen Staaten die meisten Rechte genießen, bekämpft wird.

Trotz allem hat die aggressive Initiative Washingtons und vor allem deren aggressive Umsetzung in der arabischen Welt Debatten über Menschenrechte, politische Gleichberechtigung und andere Werte frisch angestoßen. Neuer Höhepunkt ist der Skandal um die Folterung irakischer Häftlinge durch US-Soldaten in Abu Ghraib. "Natürlich muss man die Vorgänge dort kritisieren", so ein Kommentator auf dem TV-Sender Al-Dschasira. "Aber dieselben Dinge passieren in arabischen Gefängnissen, und darüber wird nicht geredet."

So wurde in Tunis am Wochenende über ein Papier diskutiert, in dem sich die Teilnehmer auf die Formung staatlich unabhängiger Rechtssysteme festlegen. "Der wichtigste Teil dabei ist", so der algerische Außenminister, "die Bekräftigung der Notwendigkeit zur Entwicklung eines arabischen Regierungssystems, der Zivilgesellschaft und einer demokratischer Praxis." Der ursprüngliche Gipfeltermin im März war vom tunesischen Gastgeber abgesagt worden, weil "einige Länder nicht reformbereit genug sind". Arabische Kritiker nennen allerdings Tunesien selbst als "einen der repressivsten arabischen Staaten". Die Opposition wird blutig niedergeschlagen, Tausende sitzen in den Gefängnissen.

Reformen überfällig

"Reformen sind in der arabischen Welt überfällig", meint deshalb Amir Naffach, Professor für islamische Philosophie an der Universität von Bagdad. "Die Mittelklasse schrumpft, Armut breitet sich aus. Und Staatsapparate wachsen auf Kosten zivilgesellschaftlicher Institutionen." Verschiedene Organisationen formulieren seit Jahren Reformvorschläge. Und nach Ansicht Amr Mussas, Ägyptens Außenminister, haben sogar " die arabischen Staaten mehr oder weniger stark die Initiative zur Modernisierung und Reform der Gesellschaften unternommen". Hierbei kann man sich in vielen Fällen europäische Beratung vorstellen. Waffenstarrende Reformanweisungen der USA seien allerdings nicht hilfreich.

Vereinbart wurde außer den üblichen Bekräftigungen zum Ausbau inner-arabischer Beziehungen auch die Verpflichtung zur friedlichen Beilegung von Konflikten, inklusive der von Israel seit 1967 besetzten palästinensischen Gebiete. Der Gipfel kritisierte aber nicht nur Israels expansive Militärpolitik, sondern auch "unterschiedslos Aktionen gegen Zivilisten". Damit werden zum ersten Mal palästinensische Organisationen gerügt, die Anschläge innerhalb Israels verüben.

Die Beschlüsse über politische Reformen bleiben allerdings zu allgemein, um zu greifen. Man hat sich auf die "Stärkung des bürgerlichen Konzepts sowie die Unterstützung und die Bewahrung der Menschenrechte" geeinigt, so der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amru Musa, in seiner Schlussrede am Sonntag. Das bedeutet allerdings wenig, wenn sich die Staaten nicht auf eine Definition bürgerlicher und Menschenrechte einigen können. Gestärkt werden soll auch die "Rolle der arabischen Frau beim Aufbau der Gesellschaft", jedoch "im Einklang mit den arabischen Werten". Und wie sich diese gestalten ist Auslegungssache.