Reich der Mitte will Taikonauten zum Mond schicken
China will den Weltraum erobern und plant deshalb eine bemannte Reise zum Mond und eine Teilnahme an der ersten internationalen Mars-Mission
Angenommen Zukunftsmusik erklänge tatsächlich in melodischen Tonfolgen, dann müsste das, was China in punkto Raumfahrtoptimismus schon seit geraumer Zeit intoniert, ein wahrer Ohrenschmaus sein. Doch Chinas hochfliegende Pläne klingen ein wenig zu abgehoben. Ob die Volksrepublik wie geplant bis zum Jahr 2005 ihren ersten Raumfahrer ins All, ob sie in der nächsten Dekade einen Taikonauten zum Mond schicken oder ob sie an der ersten bemannten Mars-Mission teilnehmen wird, steht in den Sternen. Mögen Insider diese utopischen Ziele mit einem Augurenlächeln quittieren: Chinas abstrakte Pläne sind durchaus ernst zu nehmen. Denn das bevölkerungsreichste und flachenmäßig drittgrößte Land der Welt hat nicht nur ein enormes wirtschaftliches und technisches Potential, sondern auch den unbedingten politischen, wenngleich prestigeorientierten und propagandageprägten Willen zum Erfolg.
"Let's get this motherfucker out of here!" - mag sein, dass dieser Kommentar im Gegensatz zu Neil Armstrongs legendären Worten gelinde gesagt wenig "zitierfähig" ist. Dafür weist er desgleichen aber einen lunaren und raumfahrthistorischen Bezug auf, wurde er doch von dem letzten irdischen Besucher auf dem Mond zum Besten gegeben. Es war der amerikanische Apollo-Astronaut Eugene Cernan, der sich mit diesem spontanen, prosaischen Spruch am 12. Dezember 1972 von La Luna verabschiedete (Vgl. Zäsur in der Raumfahrt) Obgleich bereits zu diesem Zeitpunkt alles auf ein vorläufiges Ende der Apollo-Missionen hindeutete, konnte Cernan anno dazumal aber auf keinen Fall nur halbwegs erahnen, dass er der letzte Mensch des 20. Jahrhunderts sein sollte, der seinen Fuß auf einen fremden Himmelskörper setzen sollte. Eigentlich hatte damals keiner damit gerechnet, dass alle bemannten Mondmissionen so schnell allesamt auf Nimmerwiedersehen im Haushaltsloch der NASA verschwinden würden. Eigentlich sollte doch schon irgendwann in den Neunziger Jahren der Mars erobert werden. Aber seit Ende 1972 wirbelte kein irdisches Lebewesen, keine Landefähre mehr den weißen samtenen Mondstaub, geschweige denn irgendeinen anderen extraterrestrischen Staub auf.
Große Anstrengungen in der Vergangenheit
Durch die bizarre von Kratern durchzogene wüstenartige Landschaft und den feinen mehligen Sandstaub, den bislang nur Amerikaner in natura zu sehen bekommen haben, wollen in einigen Jahren aber Menschen eines anderen Kontinentes und Kulturkreises promenieren. Sollte der ehrgeizige, aber keineswegs näher konkretisierte Plan der Volksrepublik China wirklich Gestalt annehmen, dann wird das Reich der Mitte den Mond in naher Zukunft einige Visiten abstatten - vorerst nur mit einer unbemannten Raumsonde, später im Rahmen einer bemannten Mission, so wie es China bereits während der Expo im nationalen Pavillon präsentiert hat. Zu sehen war ein kleines Modell einer Mondlandfähre mitsamt Astronauten und einer chinesischen Flagge, die im fiktiven Mondsand steckte.
Diesem fernen Ziel will sich China zunächst einmal "sukzessive" nähern. Schon seit geraumer Zeit unternimmt die Volksrepublik große Anstrengungen, um den ersten Taikonauten (die Prefix 'Taiko' bedeutet so viel wie 'Astro' oder 'Kosmo') weltraumtauglich zu machen und in die Schwerelosigkeit zu entlassen. China hat schon mehrfach einen Starttermin lanciert. Beispielsweise verdichteten sich schon vorletztes Jahr die Gerüchte, dass die Volksrepublik definitiv Ende 2001 den ersten Taikonauten ins All bringen will, was wohl auch dieses Jahr mit Sicherheit noch ein illusorisches Unterfangen sein dürfte, obgleich Peking über eine langjährige Erfahrung mit Trägerraketen verfügt.
Denn bereits 1959 startete China seine erste Rakete. Zwar basieren die Systeme damals wie heute größtenteils auf sowjetischer Technologie; allerdings wurde die chinesische Sojus-Variante stark modifiziert, so dass Kenner der Materie der chinesischen Raumfahrt inzwischen ein unverkennbares eigenes Profil attestieren. So bietet die Taikonauten-Kapsel gleich vier Raumfahrern Platz. Außerdem ist sie mit einer Art Tunnel und einer Andockstation ausgestattet, so dass zwei Kapseln zusammengekoppelt werden und für einige Zeit eine kleine Raumstation bilden können. Dank der modifizierten und weiterentwickelten Langer-Marsch-Raketen verfügt Peking über ein zuverlässiges, erfolgreiches Trägersystem für Satelliten, das sogar billiger operiert als die US-Systeme oder die europäische Ariane. Diese Zuverlässigkeit spiegelt sich auch in der bisherigen Statistik wider. Sofern die Angaben nicht aus propagandataktischen Gründen schöngeredet sind, hat China nach Auskunft des Direktors des staatlichen Raumfahrtamtes, Luan Enjie, seit 1979 insgesamt 48 Satelliten ins All gebracht und zwölf verschiedene Raketen entwickelt. Die Erfolgsrate bei den 63 Starts betrage 90 Prozent, seit Oktober 1996 verbuche man eine von 23 gelungenen Starts in Folge, so Enjie.
Tatsache und nachprüfbar ist, dass China seit 1986 insgesamt 28 Satelliten für andere Länder wie die USA, Pakistan, Australien, Schweden, Brasilien und die Philippinen in den Weltraum gebracht hat. So verwundert es nicht, dass Peking in den nächsten fünf Jahren weitere 30 Satelliten im Auftrag starten will. Den wichtigsten Schritt in die bemannte Raumfahrt machte China indes am 20. November 1999, als es das unbemannte Raumschiff Shenzhou (Magisches Schiff) mit einer Trägerrakete vom Typ "Langer Marsch 2F" in den Orbit schickte. Die vorerst "menschenleere" Kapsel landete nach vierzehn Erdumrundungen wieder sicher in der Mongolei. Anfang des letzten Jahres konnte die CNSA-Behörde mit der Shenzhou -Mission II einen noch größeren Erfolg verbuchen: Erstmals sandte China einen Affen, einen Hund, ein Kaninchen und Schlangen auf eine kurze Weltraum-Reise, die den Flug zumindest körperlich unbeschadet überstanden.
Astronautenprogramm ein alter Hut
Es ist wohl gerade diesen Erfolgen zuzuschreiben, dass derzeit das Selbstbewusstsein der Chinesen sehr ausgeprägt ist. Belegen lässt sich dies anhand der Ausführungen des Vize-Direktors der chinesischen Nationalen Raumfahrtbehörde, Sun Laiyan, der im November 2001 während eines Festvortrags vor über 100 Experten und hohen Entscheidungsträgern in Beijing Auszüge aus dem White Paper on China's Space Activities zitierte und verkündete, dass China definitiv bis spätestens 2005 die erste bemannte Mission unternehmen und danach einen bemannten Flug zum Mond anstreben werde. China werde im kommenden Jahr drei Satelliten zur Wetterbeobachtung und Erforschung von Bodenschätzen ins All schicken, erklärte Sun Laiyan. Wie die (natürlich) regierungsnahe Zeitung "China Daily" berichtete, ließ Laiyan dabei jedoch offen, in welchem Jahr die erste bemannte Mond-Mission starten solle.
Auch Liang Sili von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften äußerte sich diesbezüglich nicht zu näheren Einzelheiten, verdeutlichte aber, dass die Erforschung des Alls im 21. Jahrhundert eine ähnliche Bedeutung erlangen wie Strom und Öl. Vor einem bemannten Raumflug seien aber noch weitere Tests notwendig: "We must be sure that the astronauts are 100 per cent safe in outer space before launching," zitierte die englischsprachige "China News" den führenden Raumfahrtexperten Chinas. Der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua news zufolge soll die bemannte Mondreise aller Wahrscheinlichkeit in der nächsten Dekade durchgeführt werden. Ferner berichtete die Agentur, dass China in Zusammenarbeit mit der Europäischen Raumfahrt-Agentur ESA plane, das Trägersystem "Langer Marsch" zum Einholen von Mondproben einzusetzen. Für Liang Sili Grund genug, dies in pathetischen Worten zu schmücken: "We are just in the first year of the new century and my prophecy will come true."
Dass mit Blick auf die chinesische Raumfahrt die Gerüchteküche schon seit langem kocht, hängt auch damit zusammen, dass China bis auf den heutigen Tag keinen Raumfahrer jemals namentlich vorgestellt hat, obgleich das Astronautenprogramm bereits seit 1968 existiert. Nahrung bekommen die Gerüchte immer wieder von Agenturmeldungen über Taikonauten-Trainingsprogramme, wie etwa im September 2000, als lanciert wurde, dass mindestens zwei angehende Taikonauten in Russland auf ihren Weltraumtrip vorbereitet werden, was zudem der Vorsitzende der "China National Space Administration" (CNSA)und Direktor des State Bureau of Aerospace Luan Enjie ebenfalls am Rande der Luftfahrtschau in Zhuhai im November 2000 bestätigte: "Die erste Astronauten-Generation des Landes unterzieht sich derzeit einem intensiven Training".
Raumfahrt hat in der Volksrepublik, in der eine Debatte über ihren Sinn und Unsinn nicht toleriert wird, für die Regierung einen hohen Stellenwert. Auf dem Sprung ins All könnte China nämlich gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einem könnte ein weitreichendes nationales Raumfahrtprogramm dabei helfen, von den eigenen inneren Problemen abzulenken. Andererseits glaubt Peking, auf diese Weise den Nationalstolz schüren und das kommunistische System konsolidieren zu können. Nicht zuletzt würde das Reich der Mitte auch in wirtschaftlich-technischer Hinsicht einen gewaltigen Satz nach vorn machen und im internationalen Weltraum-Wettbewerb Pluspunkte sammeln. Neben banalen Prestigegründen spielen demnach insbesondere handfeste kommerzielle Interessen eine essentielle Rolle.
ESA-CNSA Double Star Projekt
Wohl deshalb setzt China auch große Hoffnungen in das Double Star'-Programm. Im Rahmen dieser Mission, die eine umfassende Kooperation zwischen der CNSA und der ESA impliziert, soll eine gemeinsame Erforschung des Einflusses der Sonne auf das Umfeld der Erde vorangetrieben werden. Ein Schlüsselaspekt der Beteiligung der ESA an "Double Star" ist die Mitführung von zehn Instrumenten, die an Bord der vier "Cluster"-Satelliten auf Forschungsmission gehen werden.
Weitere acht Experimente werden von chinesischen Einrichtungen bereitgestellt. Die Mission besteht aus zwei von der CNSA entworfenen, entwickelten, zu startenden und zu betreibenden Satelliten, die in einander ergänzenden Umlaufbahnen die Erde umrunden sollen. Dank dieser orbitalen Konfiguration dürften die Wissenschaftler durch zeitgleiche Messungen Einblicke in die Veränderungen des Magnetfelds und in die Population elektrisch geladener Teilchen in unterschiedlichen Regionen der Magnetosphäre gewinnen. Beide Satelliten sollen im Dezember 2002 und im März 2003 mit zwei chinesischen Trägerraketen des Typs Langer Marsch 2C starten. Damit könnten sie parallel zu der Mini-Armada der vier "Cluster"-Satelliten der ESA betrieben werden, die im Sommer vergangenen Jahren in elliptische Umlaufbahnen gebracht wurden.
'Jahr im Pferd' - raumfahrtarbeitsintensivste Jahr aller Zeiten
Ende Januar vermeldete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, dass die Volksrepublik das Olympia-Wetter mit Hilfe eines eigenen Satelliten vorhersagen will. Zu diesem Zweck wird in der ersten Hälfte dieses Jahres die Raumsonde Fengyun D-1 für mittel- und langfristige Prognosen ins All fliegen - sechs Jahre vor den Olympischen Spielen 2008 in Peking. Der Satellit wird mit einer Rakete des Typs Langer Marsch 4 ausgesetzt. Darüber hinaus plane die Raumfahrtbehörde in Schanghai in diesem Jahr voraussichtlich zehn Starts, was der Direktor der Shanghai Academy of Spaceflight Technology (SAST) Yuan Jie wie folgt umschreibt: "Dieses Jahr, im Jahr des Pferdes, steht das arbeitsintensivste Jahr aller Zeiten an." Die langfristig gesehen hiervon wichtigste Mission für China dürfte fraglos der dritte unbemannte Start der Shenzhou (Magisches Schiff) im Rahmen der SZ-3-Mission mit einer Trägerrakete vom Typ Langer Marsch sein, der noch dieses Jahr stattfinden soll. Gelingt er, käme China seinen weitreichenden Plänen ein weiteres Stück näher. Vielleicht gewinnt ja in absehbarer Zeit doch noch der recht unrealistisch erscheinende Plan, den das "State Aerospace Bureau" jetzt bestätigt hat, an Konturen. Vielleicht ist ja Chinas großspurig wirkende Ankündigung, einen bemannten Mondflug durchzuführen, ja sogar an der ersten bemannten Mars-Mission teilnehmen zu wollen, keine leere propagandagefärbte Worthülse.