Zäsur in der Raumfahrt

Erster Weltraumtourist auf der ISS leitet neue Ära der Raumfahrt ein und ermutigt andere, seinem Beispiel zu folgen

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Der kalifornische Millionär Dennis Tito hat sich seinen Lebenstraum erfüllt und dafür ein Zehntel seiner "Ersparnisse" geopfert. Schon in den sechziger Jahren arbeitete er für die NASA als Ingenieur. Als er den erhofften Astronautenjob nicht näher kam, gab er seine Stelle auf und gründete eine Investmentfirma - mit Erfolg. Sein Vermögen beläuft sich heute auf über 200 Millionen Dollar. 20 Millionen Dollar (44 Millionen Mark) davon haben sich jetzt in Luft aufgelöst, damit er in die Luft, besser gesagt in den Orbit steigen konnte. Ungeachtet dessen ist Tito jedoch glücklich und beschwört die nächste Weltraumtouristengeneration, auf seinen Spuren zu wandeln und einmal zur ISS zu fliegen, wo er sich derzeit pudelwohl fühlt.

"One small step for man - one giant leap for mankind" hat Neil Armstrong bei seinen ersten Schritten auf dem Mond noch ins Helm-Mikrofon gejubelt. Gleichwohl waren seine gewählten Worte keineswegs improvisierter Natur, sondern schon auf Mutter Erde festgelegt worden. Indes waren aber die letzten Worte, die ein Mensch auf dem Mond zum Besten gab, alles andere als im Vorfeld abgesprochen. Vielleicht hätte Eugene Cernan sich seinerzeit einer besseren Wortwahl bedient, hätte er gewusst, dass er der letzte Mann auf dem Mond sein sollte - bis heute. Womöglich hätte er dann, während er damals die Leiter der Landefähre emporstieg, sein Kollege Harrison Schmitt aber schon mit dem Countdown begann, für die Mondlandefähre wohl kaum folgende Worte gefunden: Let's get this motherfucker out of here!

Mögen Cernans Worte heute nur noch lunarer Schall und Rauch sein und höchstens Stoff für eine raumfahrthistorische Randnotiz bieten, so verfluchen mit Sicherheit einige Damen und Herrn von der NASA den ersten Weltraumtouristen im All, der seit letzten Sonntag auf der ISS Quartier bezogen hat, mit denselben Worten. Am liebsten hätten sie ihren Landsmann, den exaltierten, mittlerweile aber weltweit bekannten Multimillionär Dennis Tito dorthin geschossen, wo Cernan seinen prosaischen Spruch intoniert hat.

NASA verlangt Entschädigung

Wie NASA-Chef Daniel Goldin gegenüber dem Raumfahrt-Online-Fachmagazin space.com versicherte, werde er der russischen Raumfahrtbehörde nach Abschluss von Titos Flug eine Rechnung schicken. Darin werde die NASA die Kosten für entgangene Konstruktions- und Forschungszeit von den Russen wieder einfordern. Denn zurzeit müsse die ISS-Langzeitbesatzung "Babysitter für Herrn Tito spielen und sicherstellen, das nichts schief geht, denn Sicherheit ist unsere oberste Priorität", so Goldin in einer Rede vor Kongressabgeordneten in Washington. Wie hoch dabei die NASA-Rechnung sein werde, wisse er noch nicht, sagte Goldin. "Es wird mehr sein als die 1,75 Dollar, die ich für den Babysitter meiner Kinder gezahlt habe." Mit der Begründung, Tito sei nicht durchtrainiert und kompetent genug, um auf der ISS zu bestehen, hatte sich die NASA bekanntlich lange gegen den Flug des Hobbyraumfahrers zur ISS gesträubt. (Vgl.Streik der Astronauten)

Die russische Raumfahrtbehörde Rosawiakosmos konterte dagegen, der Aufenthalt des Millionärs an Bord habe die geplanten Arbeiten nicht behindert. Titos Training habe ihn zum Funker, Navigator und Bord-Elektriker qualifiziert. Sollte er im All Schaden anrichten, komme er dafür selbst auf, sagte ein Rosawiakosmos-Sprecher. Noch vorletzten Donnerstag registrierte Moskau die NASA-Forderungen nach Schadenersatz offiziell mit Verwunderung. "Jeder kümmert sich um seine Angelegenheiten, bislang gab es noch keine Klagen an Bord", sagte der stellvertretende Flugleiter Viktor Blagow am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur Itar-Tass.

Wie dem auch sei - das russische fait accompli ist perfekt. Trotz aller Streitigkeiten befindet sich der erste Weltraumtourist der Raumfahrtgeschichte nunmehr auf der ISS, wo er von der dreiköpfigen Crew ausgesprochen herzlich begrüßt wurde. Bei seiner Ankunft zeigte sich der US-Millionär insbesondere von der Raumstation beeindruckt. "Das ist ein tolles Schiff", schwärmte er, als er am Montag in seinem russischen Kosmonautenanzug von der Sojus-Kapsel in sein neues Domizil schwebte. "Ich glaube, die Berufsastronauten halten das für selbstverständlich. Aber ich kann Ihnen sagen, es ist einfach unvergleichlich. Das übertrifft meine schönsten Träume", sagte er am Montag in einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN. "Im Weltraum zu sein, dass ist als hätte man ein neues Leben, als würde man in einer anderen Welt leben. In Schwerelosigkeit zu leben und die Erde von oben zu sehen ist so spektakulär. Ich liebe den Weltraum", sagte Tito, der - nachdem er ein "wenig Saft und Trockenfrüchte" zu sich genommen hatte - von der Weltraumkrankheit heimgesucht wurde. Doch das kleine Tief habe er nunmehr vollständig überwunden. Es gehe ihm ausgezeichnet, sagte Tito. Er wolle mit seinem Flug ins All den Weltraum für "normale Menschen" öffnen. Er wolle den Menschen vermitteln, wie wunderbar der Weltraum sei und wie ein "ganz normaler Mensch, der kein Superheld ist, sich an den Weltraum anpassen kann". Für einen Aufenthalt im All müsse man kein Übermensch sein, sagte er. "Leider ist es zurzeit sehr teuer, aber es gibt andere, die sich das leisten können und ich möchte sie gerne ermutigen".

Endeavour wieder auf der Erde

Bereits letzten Sonntag dockte die US-Raumfähre Endeavour von der ISS ab und gab den Weg für die Ankunft des US-Millionärs Dennis Tito frei. Am Montag gegen 09.54 Uhr (MESZ) legte die Sojus-Kapsel an, die einen Tag zuvor vom kasachischen Raumfahrtzentrum Baikonur gestartet war. Unterdessen kehrte am Dienstag um 18:11 Uhr MESZ die US-Raumfähre Endeavour wohlbehalten zurück und setzte mit den sieben Astronauten an Bord - darunter der erste ESA-Astronaut, der die ISS besuchte (Erster ESA-Astronaut fliegt heute mit "Endeavour" zur ISS) - auf dem Luftwaffenstützpunkt Edwards in der kalifornischen Mojave-Wüste auf. Wegen schlechten Wetters war die Landung zunächst verschoben und später von Cape Canaveral in Florida nach Kalifornien verlegt worden. Während ihres 13-tägigen Fluges hatten die sieben Besatzungsmitglieder unter anderem einen Roboterarm an der ISS angebracht und geholfen, Computerprobleme an Bord der Station zu beheben. Die Endeavour war am 19. April mit mehreren Tonnen Ausrüstung und Verpflegung zur ISS gestartet. Dazu gehörte der über 17 Meter lange Roboterarm "Canadarm2", der 900 Millionen Dollar (rund 1,98 Millionen Mark) kostete und beim weiteren Aufbau der Station helfen soll.

Nachdem der Roboterarm montiert worden war, verweigerten auf der ISS die drei Kommando-Computer ihren Dienst. Dadurch bestand keine direkte Verbindung zwischen ISS und Erde. Nur über die Endeavour konnte Kontakt aufrecht erhalten werden, so dass der Flug der Raumfähre verlängert werden musste. Bis Sonntag waren die Computerprobleme der ISS nach Angaben der US-Raumfahrtbehörde NASA so weit behoben, dass die Endeavour die Heimreise antreten konnte. Als sie wieder von der ISS ablegte, funktionierte immerhin ein Computer wieder normal, während die anderen beiden ohne ihre Festplatten arbeiteten.

Läuft alles nach Plan, wird Tito zusammen mit den beiden Sojus-Kosmonauten Juri Baturin und Talgat Musabajew nach einer knappen Woche ISS-Aufenthalt mit der Sojus-Kapsel voraussichtlich am Sonntag um 7.41 Uhr MESZ in der kasachischen Steppe landen. Nach seiner orbitalen Fotosafari wird Titos Koffer angefüllt sein mit selbstgemachten Fotos- und Videofilmen. Summa summarum 30 Filme hat er bei nur sieben Kilogramm Gepäck mitgenommen, darunter ein hochwertiger Fotoapparat, eine Videokamera, ein Diktiergerät, ein CD-Player mit acht Disks. In der Tat - Dennis Tito ist beileibe kein gewöhnlicher Globetrotter.