Reich und unabhängig

Die bolivianische Region Santa Cruz rebelliert gegen Regierung Morales. Autonomie-Abstimmung am Sonntag könnte Konflikte schüren

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Mit Spannung wird in Bolivien ein Autonomie-Referendum (Bolivien stehen neue Konflikte bevor) erwartet. Am Sonntag sind eine Million Wahlberechtigte in dem reichen Departement Santa Cruz im Osten des Landes aufgerufen, über die weitreichende politische Unabhängigkeit der Region von der Staatsführung in La Paz zu entscheiden. Die Regierung Morales bezeichnet den geplanten Urnengang als illegal. Unterstützt wird ihre Haltung vom Kongress und vom Obersten Wahlgerichtshof. Die Organisatoren ficht das nicht an. Droht Bolivien nun die Spaltung?

Der Präfekt von Santa Cruz ist kein Mann der zurückhaltenden Worte. "Die Regierung ist verzweifelt", sagte Rubén Costas noch vor wenigen Tagen, "weil hier am 4. Mai eine neue Republik entsteht, eine zweite, nicht zentralistisch regierte Republik, in der die Macht von den Regionen ausgeht." So unverhohlen hatte die Opposition gegen die sozialistische Staatsführung unter Präsident Evo Morales ihre separatistischen Bestrebungen noch nie zum Ausdruck gebracht. Nach der Abstimmung in dem von ihm regierten Departement würden weitere Autonomiereferenden folgen, kündigte Costas auf einer Kundgebung an: "Am Sonntag beginnt es bei uns, dann folgen (die Departements, d. Red.) Beni, Pando und Tarija."

Mit dem Plebiszit am Sonntag erreicht die Auseinandersetzung zwischen der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) und der rechten Opposition ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Verwaltung von Santa Cruz hält an der Abstimmung fest, ohne auf jüngste Gesprächsangebote der Regierung einzugehen. Mitte der Woche noch hatte ein Abgesandter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) versucht, zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln - ohne Erfolg.

Hintergrund der Krise ist die Verteilung der natürlichen Reichtümer in Bolivien. Gut 80 Prozent des Erdgases liegen in den Departements Santa Cruz und Tarijas. Die Regierung unter Evo Morales will die Einkünfte aus dem Verkauf dieser Ressourcen dem ganzen Land zugute kommen lassen, also auch den bedeutend ärmeren Regionen im indianisch geprägten Hochland. Dagegen laufen die Eliten im bolivianischen Osten Sturm.

Regionalorganisationen reagieren auf Krise

Mitte der Woche hatte die OAS einen letzten Versuch unternommen, die Krise beizulegen. Der Ständige Rat der Regionalorganisation mit Sitz in Washington sprach der demokratisch gewählten Regierung Boliviens seine Unterstützung aus. Zugleich forderten die OAS-Diplomaten die Oppositionspolitiker in Santa Cruz und anderen rebellierenden Provinzen im Osten Boliviens auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. In La Paz erklärte Verteidigungsminister Walker San Miguel zugleich die Bereitschaft der Staatsführung zu Gesprächen. Man wolle so versuchen, "die illegalen Autonomiereferenden mit der geltenden Verfassung in Einklang" zu bringen, sagte der Regierungspolitiker. Der "Autonomiesekretär" von Santa Cruz erteilte dem Angebot umgehend eine Absage: "Niemand kann diesen Prozess aufhalten."

Angesichts solcher Unnachgiebigkeit gingen die OAS und auch die Europäische Union auf Distanz zu den Separatisten. Keine der beiden Bündnisse wird am Sonntag Wahlbeobachter nach Santa Cruz entsenden. Solche Missionen würden schließlich bedeuten, die Abstimmungen anzuerkennen. "Überwacht" wird die Abstimmung nun ausschließlich von dem so genannten Nationalen Demokratischen Rat - einem Gremium, das von den Präfekten der vier oppositionell regierten Departements selbst ins Leben gerufen wurde.

Angesichts der verhärteten Fronten meldete sich OAS-Chef Miguel Insulza indes persönlich zu Wort. "Ein Dialog ist notwendig und möglich", sagte der ehemalige chilenische Außenminister. Kurz zuvor war er mit dem bolivianischen Außenminister David Choquehuanca zusammengekommen, um die Krisensituation in dem südamerikanischen Land zu beraten.

Fast zeitgleich zu den Schlichtungsversuchen der OAS kamen in Caracas die Vertreter des linksgerichteten Regionalbündnisses Bolivarische Alternative für Amerika (ALBA) zusammen. Die Regierungsvertreter aus Venezuela, Nicaragua und Kuba erklärten dem anwesenden bolivianischen Präsidenten Morales ausdrücklich ihre Solidarität. Die ALBA werde kein separatistisches Regime in Santa Cruz anerkennen, hieß es am Ende der eilends einberufenen Sitzung. Gastgeber Hugo Chávez fügte wenig diplomatisch an: "Bolivien wird den Faschisten eine Lektion erteilen."

Putschgerichte in La Paz

Für die Regierung in La Paz steht mit dem Autonomiereferendum in Santa Cruz trotz der mehr oder weniger entschiedenen Rückendeckung aus der Region die härteste Probe bevor. Obwohl eine gewaltsame Auseinandersetzung mit den Separatisten in La Paz derzeit ausdrücklich ausgeschlossen wird, liegen die Nerven blank.

Der deutsch-mexikanische Soziologe Heinz Dieterich berichtete am Freitag sogar von einem geplanten Putschversuch. Ohne Angabe von direkten Quellen bezog sich Dieterich auf eine Zusammenkunft von Evo Morales mit der Militärführung am Donnerstag. Dabei habe der Präsident den Oberkommandierenden der bolivianischen Armee, General Freddy Mackay Peralta, zur Rede gestellt. Dieser soll sich wenige Tage zuvor mit führenden Oppositionspolitikern in einem Offiziersclub getroffen haben, um die Chancen eines Staatsstreichs zu erörtern. Als Begründung wollten die Umstürzler demnach angeben, die Spaltung des Landes verhindern zu wollen. Tatsächlich, so schreibt Dieterich, sei es darum gegangen, die Regierung zu stürzen.

Nicht erst seit solchen Gerichten laufen soziale Organisationen gegen die Autonomiebestrebungen Sturm. Die Indigene Konföderation des Bolivianischen Ostens (CIDOB) etwa bezeichnet die Politik der Regionalregierung in Santa Cruz als "Aufstand" gegen die demokratisch gewählte Staatsführung. Auch der Gewerkschaftsdachverband COB kündigte Proteste für das Wochenende an. "Diese Abstimmung ist antidemokratisch und illegitim", sagte Gewerkschaftschef Sócimo Paniagua. Dass diese Stimmen durchaus Gewicht haben, hatten die sozialen Organisationen schon in der vergangenen Woche bewiesen. Zu einer Kundgebung von Präsident Morales in Santa Cruz waren über 50.000 Menschen gekommen.